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Nachruf auf Luc Bondy: Der Gedankenfühler

Menschenfischer und Menschenerfinder: Der Regisseur Luc Bondy hat das europäische Theater seit den siebziger Jahren geprägt. Jetzt ist er mit 67 Jahren gestorben.

Das letzte Mal hatten wir uns, die wir sonst meist zusammen gelacht haben, auf einem Begräbnis gesehen. Es war im September 2014, wir folgten dem Sarg unseres Freundes Gert Voss, der, wie bei allen großen Schauspielern der Wiener Burg, ein Mal um das Theaterhaus getragen wurde. Luc Bondy ging schwer, ein wenig humpelnd, doch aufrecht. Dann sank er in den Sessel im Bus, der den engeren Kreis der Trauergäste auf den Wiener Zentralfriedhof brachte.

Dort konnte Luc Bondy kaum noch stehen und musste sich bei der Grabrede von Hermann Beil selber hinlegen. Auf ein Stück Wiese, nahebei. Da lächelte er wieder, wirkte fast wie ein später Sommergast, allein der Picknickkorb und der Sonnenhut fehlte, und er sagte nur entschuldigend: „Mein Rücken!“

Schmetterling mit angesengten Flügeln

Tatsächlich war der Tag nicht nur wegen des Abschieds von Gert Voss voller Schwermut, ihn quälte das eigene, längst marode Gebein. Bondy war mehrfach am Rückgrat operiert worden, in ihm steckten Schrauben und Schienen – in ihm, der schon als fünfundzwanzigjähriges Junggenie des Welttheaters gegen Hodenkrebs und Jahre später nochmals mit einem Tumor kämpfen musste und dabei in seinen Inszenierungen und bei jedem persönlichen Treffen doch immer voller Charme und Lebensheiterkeit wirkte. Wie ein Schmetterling, der weiß, was angesengte Flügel sind, und der dennoch anderen voranfliegt, leuchtend, graziös.

Er war körperlich eher klein, und als er noch Locken hatte, zwirbelte er sie beim Reden gern mit den Fingern, um die er auch Schauspieler, Frauen und Freunde wickelte. Denn Luc Bondy war ein großer Verführer. Mussets „Man spielt nicht mit der Liebe“, das war 1977, nach einem Erfolg mit Else Lasker-Schülers Wunderstück „Die Wupper“, seine zweite Inszenierung in Berlin, noch an der damals jungen alten Schaubühne am Halleschen Ufer. Und er spielte fast immer mit der Liebe, im Theater wie im Leben, aber das Spiel nahm er ernst.

Als Sohn des einst sehr berühmten Zürcher Literaturkritikers François Bondy (eines gebürtigen Berliners) und Enkel des Regisseurs und Autors Fritz Bondy alias N. O. Scarpi wuchs er in der Schweiz und in Frankreich auf, in einer bildungsbürgerlichen jüdischen Familie mit zehntausend Büchern, von denen er zunächst kein einziges las. Luc war als Kind legasthenisch, später ein sanfter Rebell. Nicht politisch. Lieber Drogen, Mädchen, Alkohol, Musik. Auch die Literatur, die er dann zu lieben begann, sollte möglichst kurz sein, poetisch dicht, Gedichte eben. Später verwandelte er Dramen von Marivaux, Molière, Ibsen, Tschechow, Beckett und auch Yasmina Reza: in Theaterdichtung und subtilstes Spiel.

Ein Anfang als Wunderkind

Mit zwanzig lernte er an der Pariser Schauspielschule des Pantomimen Jacques Lecoq die gleichsam musikalische, wortfreie Geste, arbeitete ab Ende der 60er Jahre als Regieassistent am Hamburger Thalia Theater – und wurde über Nacht ein Star. In München, am damals etwas verschnarchten Residenztheater, gelang ihm mit Edward Bonds merkwürdigem Drama „Die See“ auf der großen Bühne 1973 mit 25 Jahren ein Riesenstreich. Schauspieler wie Siegfried Lowitz und Walter Schmidinger waren da sehr spooky, ganz geisterhaft gut. Luc Bondy konnte Akteure schon früh zum Schweben bringen und schaffte es, dass man als Zuschauer gleichfalls in oszillierende Zwischenzustände geriet. Dass man beim Denken zu fühlen und beim Fühlen zu denken glaubte.

Er war jünger als Peter Brook, Peter Zadek, Peter Stein, Giorgio Strehler oder George Tabori. Aber in dieser künstlerischen Liga, wie sonst nur noch der vor zwei Jahren gleichfalls zu früh verstorbene Patrice Chéreau. Mit Chéreau übrigens hatte Bondy nicht allein das Talent gemein, aus einer psychologischen Binnenspannung heraus enormes, großbildhaft explodierendes Menschentheater zu kreieren. Die beiden verband auch der Sinn für die Musik. Anders als Chéreauwar Bondy gewiss kein Wagner-Regisseur, seine schönsten Musiktheaterinszenierungen galten Mozart in Brüssel, Salzburg und Mailand, auch Verdi und in Hamburg mal Alban Bergs „Lulu“ und „Wozzeck“.

In der Erinnerung treten nun viele magische Momente auf mit Bondys Zauberspielern. Mit Christa Berndl als Winnie 1981, ihr sprechender Kopf im Erdhügel von Becketts „Glückliche Tage“. In Paris 1984 Schnitzlers „Weites Land“ mit Michel Piccoli und Bulle Ogier, mit denen er später in Lausanne auch Ibsens „Borkman“ inszeniert hat. Libgart Schwarz und Thomas Holtzmann 1985 in Marivaux’ „Triumph der Liebe“ an der Berliner Schaubühne.

In Berlin in den 80er/90er Jahren natürlich die grandiosen Interpretationen der Stücke seines Freundes Botho Strauß: „Kalldewey Farce“ auf der Bühne von Karl Ernst Herrmann mit Jutta Lampe, Edith Clever, Otto Sander; und wieder Libgart Schwarz, die Flirrende, ungreifbar Unbegreifliche in „Die Zeit und das Zimmer“, oder das ganze Schaubühnenensemble nach der Wende in Straußens Neudeutschland-Stück „Schlusschor“. Diese Geschichte ging dann weiter, bis 2005, als Bondy im Berliner Ensemble in „Die eine und die andere“ die beiden Strauß-Spielerinnen Jutta Lampe und Edith Clever noch einmal als gealterte Sonny-Girls zusammenbrachte. Sehr melankomisch.

Dazu Gert Voss: Voss und Lampe als virtuoses Künstlerliebeskampfpaar in Bondys (und Tschechows) Wiener „Möwe“. Voss dann als König Lear 2007 am Burgtheater (und später zu Gast im Berliner Festspielhaus), wo Bondy Shakespeare so nahekam wie sonst nie. In Wien hat er dann mit Voss 2013 noch Molières „Tartuffe“ gemacht, Voss’ letzte Rolle, schon von Krankheit gezeichnet, ein großer stolzer Schwanengesang.

Winterstädte, weiß wie Pierrot-Masken

Luc Bondy war zudem Intendant: an der Schaubühne als einer der Stein-Nachfolger, in Salzburg und bei den Wiener Festwochen, seit 2012 am Pariser Théâtre de l’Odéon. Doch war dieser Künstler, der als Kind das Lesen und Schreiben erst spät gelernt hatte, auch das: ein Schriftsteller. Ein Erzähler und Lyriker, dem im vor drei Jahren erschienenen Bändchen „Toronto“ die winterlichen Städte so weiß „wie Pierrot-Masken“ erscheinen, und der wie das Kind im Dunkeln den diebischen Tod fürchtete: „Die Nacht stiehlt, deshalb wache ich.“ Jetzt ist er mit 67 Jahren in Paris gestorben. So früh.

Vor dem Begräbnis von Gert Voss hatte er im Burgtheater eine Rede auf den Toten gehalten. Bondy sagte da: „Spiel – doch nie als bloße Nachahmung, sondern als tiefe Wiedererfindung von Menschen, die man durch dich wiedererkannte, auch wenn sie nie existiert haben.“ Es war sein eigenes Credo.

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