Kunstausschuss berät über Schwabinger Kunstfund: Der Fall Gurlitt, das Recht und die Moral
Während das Kunstmuseum Bern über die Annahme des Gurlitt-Nachlasses entscheidet, spricht die Chefin der Taskforce "Schwabinger Kunstfund", Ingeborg Bergreen-Merkel, in Berlin über die Grenzen von Moral und Verantwortung - und darüber, wie der Fall Gurlitt jämmerlich enden könnte.
Es ist still geworden um den „Schwabinger Kunstfund“, der vor bald einem Jahr den größten Kunstskandal der Nachkriegszeit evozierte. Zuletzt war noch die Rede von einer Papierarbeit Claude Monets, die in einem von Cornelius Gurlitt im Krankenhaus zurückgelassenen Koffer aufgetaucht war. Immerhin steht das Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste in Magdeburg kurz vor seiner Gründung, das Kabinett hat gerade zugestimmt. Alles wartet nun darauf, wie sich das Kunstmuseum Bern entscheidet, dem der NS-Kunsthändlersohn Gurlitt seinen Nachlass vermacht hat. Der Stiftungsrat des Schweizer Ausstellungshauses will in seiner Abendsitzung am 26. November darüber beschließen, ob das Museum das schwierige Erbe annimmt oder die Sammlung an die Familie fällt.
Dieser Schwebezustand scheint günstig, um über die „Grenze zwischen Recht, Moral und Verantwortung“ zu räsonieren, wie es Ingeborg Berggreen-Merkel, die Leiterin der Taskforce „Schwabinger Kunstfund“, jetzt bei der Deutsch-Israelischen Juristenvereinigung getan hat. Bis Mai 2013 noch Amtschefin des Kulturstaatsministers, war Berggreen-Merkel involviert in die Entscheidung, den spektakulären Kunstfund der Öffentlichkeit zu verschweigen, den die Augsburger Staatsanwaltschaft im Frühjahr 2012 in Gurlitts Münchner Wohnung gemacht hatte. Im November 2013 wurde die spektakuläre Beschlagnahme der über 1000 Bilder bekannt, zu dem Konvolut gehören mehrere hundert Werke, die unter Raubkunst-Verdacht stehen. Das Land Bayern, das ermittelnde Amtsgericht Augsburg und die Bundesregierung sahen sich mit schweren Vorwürfen konfrontiert, die darin gipfelten, der Bund habe nur den Tod der im Nationalsozialismus beraubten Sammler abwarten wollen. Die Gründung der Taskforce zur Erforschung der Provenienzen war ein Gebot der Stunde, nicht zuletzt ein Mittel der Begütigung.
Die privaten Rechte Cornelius Gurlitts waren zu schützen
Berggreen-Merkels Vortrag im Tucher-„Literatursalon“ am Brandenburger Tor konnte also nur in die Defensive gehen, zumal vor diesem Auditorium. Für die Verwaltungsjuristin stellt sich das Procedere, die Geheimhaltung als rechtens dar: Die privaten Rechte Cornelius Gurlitts waren zu schützen, gegen den in einem Steuerverfahren ermittelt wurde, mochte die Beschlagnahmung noch so überzogen sein. Es galt die Unschuldsvermutung. Stehen also die Rechte eines Einzelnen gegen die Rechte von Millionen Schoah-Opfern, wie es die Referentin zuspitzt? „Die Würde der Opfer steht nicht zur Disposition, wenn man versucht eine Antwort zu geben auf das Unsagbare“, weicht sich Berggreen-Merkel selber aus, um auf den deutschen Rechtsstaat und sein Grundgesetz als letzte Instanz zu verweisen.
Anfang April war die Beschlagnahmung aufgehoben worden, einen Monat später wurde auch das Ermittlungsverfahren nach dem Tod Gurlitts eingestellt. Kurz zuvor hatte er sich noch bereit erklärt, jene Bilder zu restituieren, die jüdischen Sammlern während des NS-Regimes durch seine Vater entzogen worden waren. Zuletzt erwachte bei ihm also doch ein Unrechtsbewusstsein, obgleich er sich als Privatmann – anders als die öffentlichen Museen – auf das Argument der Verjährung hätte zurückziehen können.
Zu den Taskforce-Ergebnissen wollte sich Berggreen-Merkel nicht äußern
Die Frage nach dem Schutz der Persönlichkeitsrechte stellt sich auch nach Gurlitts Tod. Schließlich gibt es Geschäftsbücher und Korrespondenzen, die über die Herkunft der Bilder Auskunft geben könnten, aber auch über intime familiäre Verhältnisse. Allein die Taskforce hat hier Zugang. Über deren Ergebnisse mochte Berggreen-Merkel keine Auskunft geben. Nur so viel, dass 300 Anfragen möglicher Anspruchsteller bearbeitet werden.
Restituiert werden kann erst, wenn das Testament vollstreckt ist. Daraus macht Berggreen-Merkel keinen Hehl: Sie wünscht sich das Kunstmuseum Bern als Erben, da es am einfachsten Rückgaben abwickeln könnte. Sollte die Sammlung an die Familie gehen, würde eine komplizierte Suche nach Berechtigten beginnen. Außerdem nähme das Dilemma mit der Erbschaftsteuer seinen Lauf, die Bilder könnten erneut verschwinden. Der Fall Gurlitt würde noch jämmerlicher enden. Und die Verantwortung wäre endgültig verloren.
Mehr zum Fall Cornelius Gurlitt unter www.tagesspiegel.de/cornelius-gurlitt