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Kälte, Mystik, Einsamkeit. Der Trapper Leonardo DiCaprio. Am Mittwoch kommt der Film in Berlin in die Kinos.
© Verleih

Leonardo DiCaprio im Western-Härtetest: Der Eismann kommt

Ein Halbtoter nimmt Rache: Leonardo DiCaprio kämpft sich in Alejandro G. Inárritus Epos „The Revenant“ durch den Schnee. Der Film kommt am 7. Januar ins Kino.

Wie hässlich es werden wird, kündigt das berstende Geräusch der Pfeile an. Es sind Indianerpfeile. Wenn Indianer ihre lächerlich altmodischen Waffen im Kino abschießen, ist die Wahrscheinlichkeit, von einem dieser Holzdinger getroffen zu werden, für klassische Westernhelden klein. Altes Kinogesetz: Der weiße Mann hat die gefährlicheren Waffen. In Alejandro G. Inárritus Naturdrama „The Revenant“ ist das anders. Das Repetiergewehr ist um 1823 noch nicht erfunden. So krachen Pfeile in die Leiber einer vom Angriff der Indianer überraschten Gruppe von Fallenstellern. Sie durchbohren ihr Fleisch, lassen Knochen splittern. Die Gewalt zischt durch die Luft wie eine eigene elementare Wahrheit. Es ist die Wahrheit des Krieges, nach der es Zufall ist, getroffen zu werden oder zu überleben.

Dieser Wahrheit hat sich der Gewaltmagier des Kinos, der mexikanische Regisseur Alejandro G. Inárritu („Amores Perros“, „Babel“, „Birdman“), in einer Art monumentalem Frühwestern auf die Spur gesetzt. Erzählt wird die historisch verbürgte Geschichte des Jägers Hugh Glass, der sich in den Ebenen zwischen St. Louis und den Rocky Mountains so gut auskennt, dass er einer Expedition am Missouri River als Kundschafter dient.

Der Westen ist da noch nicht von Siedlern in Besitz genommen, sondern unbekanntes Terrain, in das Fellhändler vordringen. Es ist ein wilder Haufen von verängstigten, rohen Männern, denen sich Glass mit seinem halbindianischen Sohn angeschlossen hat. Bei dem Massaker kommt er gerade eben davon, um kurz darauf von einem Grizzlybär angefallen zu werden. Das wütende, gnadenlose Tier zerfetzt ihm mit seinen Krallen die Haut, reißt ihm die Kehle auf, aber es bringt ihn nicht um. Als die Trapper den Schwerverletzten in einem Tal zurücklassen, bleiben zwei aus der Gruppe sowie Glass’ Sohn bei dem auf einer Bahre röchelnden und zwischen Traum und Delirium driftenden Mann. Hilfsbereitschaft ist nicht, was er erwarten darf.

Leonardo DiCaprio spielt Glass als wortkargen Einzelgänger. Mit buschigem Vollbart und glühendem Blick. Er traut niemandem und herrscht seinen halbwüchsigen Sohn an, es ebenso zu halten, vor allem in Bezug auf die ungehobelten Männer. Es nützt nichts. Als Halbtoter muss er zusehen, wie der zu seinem Schutz dagebliebene Trapper Fitzgerald dem Jungen das Messer in den Bauch stößt. Dann wird auch er selbst aufgegeben.

An diesem Punkt hätte „The Revenant“ ein Film über Gerechtigkeit werden können. Doch Hollywood hat diesen Zivilisierungsaspekt des Western-Genres längst aufgegeben. Stattdessen geht es Inárritu um Rache, ein böses, archaisches Gefühl, allerdings von großer Antriebskraft, das schon in Michael Punkes Romanvorlage „Der Totgeglaubte“ (deutsch im Malik Verlag) den Ton vorgibt: „Mit aller Kraft, die er aufbieten konnte, rollte er sich auf den Bauch. Er spürte, wie die Naht aufplatzte, dann warmes Blut nass auf dem Rücken. Der Schmerz verflüchtigte sich vor dem Zorn, der in ihm aufbrandete. Hugh Glass begann zu kriechen.“

Odyssee in fantastischer Landschaft

Leonardo DiCaprio als Trapper Hugh Glass im Film "The Revenant - Der Rückkehrer". Der Film kommt am 07.01.2016 in die deutschen Kinos.
Leonardo DiCaprio als Trapper Hugh Glass im Film "The Revenant - Der Rückkehrer". Der Film kommt am 07.01.2016 in die deutschen Kinos.
© picture alliance / dpa

An Abenteuerfilmen in grandioser Landschaft, in denen sich Männer zurück ins Leben und die Zivilisation kämpfen, gibt es keinen Mangel. An Rache-Geschichten auch nicht. Warum nur zieht einen „The Revenant“, diese Verfilmung einer 200 Jahre alten amerikanischen Trapper-Legende, trotzdem in den Bann?

Zunächst erst mal kriecht DiCaprio ziemlich hingebungsvoll über die gefrorene Erde einer Winterlandschaft, sämtliche Stufen der Qualskala durchleidend. Er ächzt, schreit, müht sich voran, seine Wunden eiternd. Aber er kommt einem bei dieser Schinderei niemals lächerlich vor. DiCaprios ausgeprägte Leidenschaft für physisch anspruchsvolle Rollen und innerlich lodernde Charaktere macht auch diesen Hugh Glass zu einem unvergesslichen Typen, der einfach nicht aufgibt.

Jedes Bild des Totgeweihten ist überdies in eine fantastische Kulisse gestellt. Man sieht märchenhafte Kiefernwälder im Dampf der letzten warmen Tage des Jahres, verschneite Berge und Schluchten, Lawinenabgang inklusive, Schneestürme und die Klarheit des Himmels danach. Aber derlei Überwältigung ist es nicht, was „The Revenant“ zu einem fesselnden und dreifach Oscar-nominierten Kinoereignis macht. Es ist die Gleichzeitigkeit von Brutalität und Glückseligkeit, wie sie nur das naive Zeitalter kennt. So trifft Glass einmal einen anderen Streuner, einen einzelnen Indianer, der ihm seine Wunden mit Kräutern heilt. Sie sitzen da, als es schneit und lassen in kindischer Verzückung die Flocken auf ihren ausgestreckten Zungen niedergehen.

Wenn die Froststarre dazu führt, dass Menschen und Wölfe, Trapper und Arikara-Indianer sich noch unerbittlicher um das Wenige an Nahrung reißen, so steht der erzählerische Bogen unter einer unheilvollen Spannung. Sie wird zusätzlich verstärkt durch den sublim drohenden Soundtrack, für den Ryuichi Sakamoto und Carsten Nicolai alias Alva Noto zusammengearbeitet haben. Ihre sphärischen Orchester- und Elektroklänge lösen das Geschehen aus dem Naturzusammenhang und Überlebenskampf heraus. „The Revenant“ ist denn auch weniger eine Story über Survival-Techniken als vor allem ein poetisches Traktat, eine Erörterung in Bildern, deren Frage lautet: Wie ist Seelenfrieden möglich?

„Ich bin schon tot“, sagt Glass einmal. Ein Schon-Toter kann nicht mehr sterben. Dass er das Duell mit seinem Peiniger und Mörder seines Sohnes sucht, dem habgierigen Fitzgerald mit der Wolfsfellmütze – umwerfend furchtlos gespielt von Tom Hardy – ist als Akt der Genugtuung von Anfang an ausweglos. Denn was soll aus der Rache folgen? Andererseits, was sollte sie zähmen in einer Umwelt, in der Barmherzigkeit töricht wäre? Inárritu hat eine philosophische Antwort darauf gefunden, die nur in dem Gepeinigten selbst zu finden ist.

Es ist wahrscheinlich kompletter Irrsinn, einen derart ambitionierten Film in freier Wildbahn zu drehen. Doch von John Fords „Der schwarze Falke“ bis zu Terrence Malicks Pocahontas-Adaption „The New World“ verläuft eine inspirierende Spur für solche Vorhaben. In den Erläuterungen des Regisseurs nehmen die Mühen des Drehs großen Raum ein. Fünf Jahre hat er Landschaften gesucht, die noch unberührt sind, und sie im Norden Kanadas gefunden. Als auch hier der Schnee zurückging, ergänzte er die Schauplätze um Orte in den Anden Argentiniens. Da er auf Spezialeffekte verzichten wollte, drehte er nur mit Tageslicht. Es sei ein Wunder, dass ihn der Aufwand nicht selbst umgebracht habe.

Wie „Dead Man“ von Jim Jarmush in den 90ern zielt auch Inárritus Wildwest-Odyssee auf eine tiefgründige Mystik. DiCaprio schleppt sich wie vormals der Untote Johnny Depp vor allem am Herz schwer verwundet durch die Natur. In seinen Träumen tauchen Bilder einer verflossenen Indianerdorf-Idylle auf. Sie sollen zeigen, wie Glass, der Aussteiger, seinen Frieden gefunden hatte bei einem Stamm, der von Soldaten eliminiert worden ist. Dann wieder streift Glass eine aus Totenschädeln aufgeschichtete Pyramide oder eine verfallene Kapelle. Man könnte diese Halluzinationen für ausgemachten Kitsch halten, aber sie ordnen sich zu einer Allegorie der Grenzüberschreitung. Dass wir sterben können, ist eine überwältigende Erfahrung.

Sie überträgt sich mit Wucht auf die Leinwand, wenn Inárritu die Kontrahenten Fitzgerald und Glass in einer letzten Jagd aufeinander losgehen lässt. Hier ist Rache nicht das „süße Dessert“, das Tarantino verherrlicht hat. Sondern der einzige menschliche Zug in einer ansonsten vollkommen gleichgültigen Welt.

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