Nachruf auf Jeanne Moreau: Der dunkle Engel
Weltstar im Film und auf der Bühne: Zum Tod der französischen Schauspielerin Jeanne Moreau.
Eine junge Frau streicht durch eine nächtliche Stadt, verführerisch, ratlos, auf der Suche. Wie auf einer dünnen Folie bewegt sie sich in Richtung auf ihren Untergang. Das Verbrechen, das sie mit ihrem Liebhaber geplant hat, um ihren älteren Ehemann aus dem Weg zu räumen, ist gescheitert. Sie weiß es noch nicht, ihr ganzes Leben ist in diesem Augenblick eine einzige mutwillige Behauptung, aufgespannt über dem Abgrund.
Wie Jeanne Moreau 1957 in Louis Malles „Fahrstuhl zum Schafott“ zu Miles Davis schwebenden Trompetentönen trotzig durch die Nachtseite des Lebens und seiner Leidenschaften geht, das ist unvergesslich. Diesem Film, der sie international bekannt machte und zu den Gründungswerken der französischen Nouvelle Vague wurde, hat François Truffaut mit „Jules et Jim“ 1962 die Lichtseite der Jeanne Moreau zur Seite gestellt. Mit Oskar Werner und Henri Serre spielt sie die junge Catherine in einer Dreiecksgeschichte voll melancholischer Heiterkeit, voll graziösem Witz, selbst über einen Weltkrieg zwischen Deutschen und Franzosen hinweg mit einer wunderschönen Leichtigkeit des Seins.
Ihren Blick geht hinter den schönen Schein
Aber auch hier folgt vielen Umarmungen und Küssen die plötzliche Verdunkelung des Blickes, Moreaus unvermittelte Erkenntnis vom Ende allen Glückes. Dieser Blick in nur für sie sichtbare Bereiche der Geschichte, nur ihr vorbehaltene Erkenntnisse der menschlichen Seele haben sehr früh ihren Ruf als Star begründet, der komplexe Charaktere besser als alle anderen ihrer Generation verkörpern konnte. Ihren Blick hinter den schönen Schein hat sehr viel später und ganz anders Wim Wenders zum Thema gemacht, als er für und mit Jeanne Moreau 1991 in seinem enigmatischen „Bis ans Ende der Welt“ eine Hommage dreht.
Sie spielt da eine ältere blinde Frau, der eine futuristische Apparatur das Sehen erlauben soll. Wie sich der Blick der Kamera, dieser Beginn und Zweck allen Filmens, wie sich das Schauen in den Augen der Schauspielerin doppeln, spiegeln und brechen kann, wie es vom heiteren Sehen ins finstere Ahnen übergeht, das hat die Moreau in allen ihren Rollen wie keine andere vorgeführt und ihren Charakteren abgründige Tiefe verliehen.
Sie besuchte heimlich Schauspielkurse
Jeanne Moreau wurde am 23. Januar 1928 in Paris geboren. Ihre Anfänge hat die Ausnahmeschauspielerin im Theater gemacht. Die Tochter einer Tänzerin besucht zunächst heimlich Schauspielkurse bei einem alten Akteur der Comédie Francaise, absolviert dann eine Ausbildung an der Schauspielakademie und wird kurz Ensemblemitglied an der Comédie Française. An der Seite von Star Gérard Philipe spielt sie 1951 die Infantin in Corneilles „Cid“ und eine Jahr später die Prinzessin Nathalie in Kleists „Prinz von Homburg“, in der kurz nach dem Zweiten Weltkrieg mit diesem Preußendrama fast epochal kühnen Inszenierung von Jean Vilar. Beide Male macht sie dabei die Erfahrung der gigantischen Papstpalastbühne im frisch gegründeten Festival d’Avignon, an das sie auch im hohen Alter noch einige Male zurückkehren wird.
Große Erfolge erlebt sie mit George Bernard Shaws „Pygmalion“ und Jean Cocteaus „Die Höllenmaschine“, beides in der Regie von Jean Marais. Diese begründeten auch ihren frühen Ruf als beste Schauspielerin ihrer Generation. Wahrscheinlich spannender als Cocteaus Theatersurrealismus mussten ihr die ersten Ansätze eines radikal zeitgenössischen Versuchs erscheinen, gesellschaftliche Verkrustungen im Film zu überwinden. Louis Malles „Les Amants“ von 1958 wird aufgrund einer Liebesszene mit Jean-Marc Bory zum Skandalfilm, gegen den in den USA vor Gericht eine Klage wegen Obszönität erhoben wird.
„Jules et Jim“ erschien als Allegorie eines utopischen Liebeskonzepts
Noch einmal begehrt da eine Frau nach dem Bovary-Muster gegen die eheliche Verödung und Erstarrung auf, ist der Eros die treibende Kraft beim Aufsprengen auch der gesellschaftlichen Konventionen. Dabei wird Jeanne Moreau für die jungen wilden Regisseure der Nouvelle Vague zur Muse. Für François Truffaut, dessen „Jules et Jim“ in Frankreich als Allegorie eines utopischen Liebeskonzepts erscheint. Die befreundeten Jules und Jim lieben beide dieselbe Frau, und sie liebt die beiden Männer, gleichermaßen, hintereinander, und immer wieder und das alles ohne Schuldgefühle.
In Truffauts „Die Braut trug schwarz“ spielt sie mit Projektionsflächen, mit männlichen Vorstellungen vom Bild der Frau. Ihren Bräutigam hat ein Mann aus Versehen erschossen, als er zusammen mit vier weiteren Junggesellen aus verspielter Langeweile heraus mit einem Jagdgewehr herumhantierte. Die Moreau nimmt sich als schwarzer Racheengel Jahre später einen nach dem anderen vor, indem sie für jeden eine Todesart inszeniert, die dessen Charakter auf fatale Weise spiegelt.
Aber auch außerhalb des Autorenfilms der französischen Nouvelle Vague fasziniert die Actrice; mit Louis Bunuels „Tagebuch einer Kammerzofe“ (1964), Orson Welles’ „Der Prozeß“ – gerade in der Kafka-Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau wiederzusehen – und Peter Brooks „Moderato Cantabile“ (1960) an der Seite von Jean-Paul Belmondo. Wiederum eine Reise in die Nacht der Erkenntnisse realisiert Michelangelo Antonioni 1961 mit „La Notte“, wo die Moreau an der Seite von Marcello Mastroianni in einer Mailänder Welt aus Wohlstand und Langeweile das Ende einer Ehe erlebt: Ein Film wie ein langsam wirkendes Gift, das nach und nach den schönen Schein wegräumt, um mit bitteren Erkenntnissen aufzuwarten.
In den Siebzigern kommt sie sporadisch ans Theater zurück
In „Querelle“, dem letzten Film von Rainer Maria Fassbinder, spielt sie 1982 eine Puffmutter. Danach als Celestina, nunmehr aber in einer Rolle des spanischen Barockautors Fernando de Rojas, begeistert die Moreau wiederum die Theaterzuschauer bei den Festspielen in Avignon, zu denen sie nach ihren Anfängen zurückgekehrt war.
Bereits in den 70er Jahren kommt sie sporadisch ans Theater zurück und feiert mit der von Klaus Michael Grüber inszenierten „Die Erzählung der Magd Zerline“ (nach Hermann Broch) einen triumphalen Erfolg. Das war 1986, Hanns Zischler war im Hintergrund ihr Partner. Als Celestina stand die Diva mit tiefen Falten im männlich wirkenden Gesicht auf der Bühne und krähte ihre provozierenden Texte den spanischen Granden ins Gesicht.
1989 hat Antoine Vitez der Moreau diese Rolle anvertraut: die „Hure Babylon“, die, weil sie das Begehren kennt wie keine andere, in einem pessimistischen Weltbild leben muss. Moreaus dritte Karriere hatte begonnen. Kein weiblicher Film- und Theaterstar hat das Alter so vorbehaltlos angenommen wie sie, die nun robust breitbeinig im weiten Rock, als Mutter Courage auf dem Kriegsfeld der Erotik, an den Nervenfäden der Liebenden zieht, wie an einer Marionette. Die unvergleichliche, raue und herbe Stimme hat die Zuschauer auch später in ihren Bann gezogen, als sie den antiken Chronisten in Amos Gitaïs „La Guerre des Juifs“ sprach.
Ihre komödiantisches Können zeigt sie in "Viva Maria!"
Aus der Schauspielerin wurde immer mehr die unnachahmliche Stimme, mit der die Moreau, wiederum in Avignon, in einer sprachlich-musikalisch hochkonzentrierten Hommage die frühen Gedichte ihres einstigen Freundes Jean Genet sprach. Das waren, für jeweils zweitausend Zuschauer, Feiern des Wortes und Feiern einer Aktrice, die nun schon mehr als ein halbes Jahrhundert ein Bild zwischen moderner Androgynität und urfeminine Erotik verkörpert hatte. Eine komödiantische Wucht war sie auch neben dem Sexidol Brigitte Bardot in der Westernparodie „Viva Maria1“ von Louis Malle.
Auf der Leinwand sah man sie ein letztes Mal als mürrische Alte, die in „Eine Dame in Paris“ mit einer lettischen Hausangestellten eine kuriose Freundschaft erlebt. Die mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Diva und gelegentliche Chansonière erhielt in Berlin im Jahre 2000 den Goldenen Bären für ihr Lebenswerk. An diesem Montag ist sie tot in ihrer Pariser Wohnung aufgefunden worden. Sie wurde 89 Jahre alt.
Eberhard Spreng
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