Film mit Colin Firth und Jude Law: "Genius": Der Dichter und sein Lektor
"Schau heimwärts, Engel", das Debüt von Thomas Wolfe, ist ein legendärer Roman-Brocken. Aber wie kommt so ein Werk zum Leser? Regisseur Michael Grandage erzählt davon in "Genius": unvermutet spannender Kinostoff.
Eins ist schon mal klar: Besonders genial finden die US-Filmkritiker „Genius“ nicht gerade. Die „New York Times“ watscht beide Hauptdarsteller gleichermaßen unbarmherzig ab: Jude Law als jungwilder Schriftsteller Thomas Wolfe „brüllt und gestikuliert“ bloß rum, während Colin Firth als dessen Lektor Max Perkins „grimassiert und seufzt wie ein Vaudeville-Puritaner“. Der „Hollywood Reporter“ diagnostiziert seinerseits, die Szenen hätten „weniger Leben als viele Hörbücher“, ja, selbst dramatische Höhepunkte wirkten nur wie „Reanimationsversuche an einer Leiche“. Und „Variety“ verkündet, der Film sei so tot wie eine „zwischen die Seiten der Erstausgabe von ‚Schau heimwärts, Engel' gepresste Blume“ – nun, Thomas Wolfes legendäres Romandebüt über seine Südstaatenkindheit ist bereits 1929 im New Yorker Verlag Scribner's Sons erschienen.
Was die Kritiker allerdings besonders erbost, ist die Tatsache, dass sich hier ausgerechnet Briten und Australier über ein uramerikanisches Erbe hergemacht haben. Tatsächlich ist nicht nur der Stab, angeführt von dem gefeierten Theatermann und Kinoregie-Debütanten Michael Grandage, überwiegend britisch, sondern neben den Briten Firth und Law – plus Guy Pearce und Dominic West in Nebenrollen – agiert zu allem Überfluss die „Aussie“ Nicole Kidman als Geliebte Wolfes. Nur Laura Linney als Perkins' Ehefrau und Drehbuchautor John Logan halten das Sternenbanner hoch.
Angesichts von solch nationalem Echauffement möchte man in ähnlicher Diktion zurückfragen: Wie wär's, liebe Kollegen, wenn ihr nicht auf anderen Angelsachsen herumtrampelt, die immerhin erwachsene Filme wagen? Sondern euch eure eigenen Produzenten vornehmt, die das globale Publikum überwiegend mit durchgeknallten Actionhelden, putzigem Plüschtierkram und anämischen Aliens aus der Digitalretorte abspeisen?
Statt Literaturverfilmung das Abenteuer des Entstehens
Dabei hat Michael Grandage nicht einmal „Schau heimwärts, Engel“ klassisch literaturverfilmt, jenen Riesenroman, vor dessen Sprachwucht und Erzählfuror sich die bedeutendsten US-Autoren verneigen, von William Faulkner über Jack Kerouac bis zu Philip Roth und Jonathan Franzen. Sondern er ging ein viel größeres Risiko ein: die Begegnung zwischen dem kaum lenkbaren Schreibekstatiker Wolfe und seinem umsichtigen, disziplinierten, selbstkritischen, ja, weisen Dompteur – dem Scribner's-Cheflektor Perkins, der schon die anfänglichen No-Names F. Scott Fitzgerald und Ernest Hemingway im Verlag durchgesetzt hatte. Also: eine Arbeitsbeziehung. Also der Kampf um das unfilmischste Material überhaupt: Buchstaben. Wörter. Sätze. Text.
Schon das ungestüme erste Aufeinandertreffen der beiden Kontrahenten, Partner und späteren – zeitweiligen – Freunde zeigt, wie viel Vitalität in einem solchen Verhältnis stecken kann. Da stürmt ein von anderen Verlagen bereits allseits abgelehnter Jungautor, prophylaktisch wütend eingestellt auf die nächste Pleite, in das staubgraue Büro eines staubgrau anmutenden Lektors, und der bringt den wilden Kerl mit einem leisen Kürzestsatz völlig aus dem Konzept: „Wir veröffentlichen Ihr Buch“. Und sogar 500 Dollar Vorschuss gibt's obendrauf – und die Tränen eines Künstlers, der sein Glück nicht fassen kann.
Kontrast zwischen Überschwang und Reserve
Das ist großes Kino – oder sollte man sagen: großes Theater, weil der mit Preisen überschüttete Michael Grandage seine Schauspieler so ausgezeichnet führt? Es gibt viele solcher Szenen, die vom Kontrast zwischen dem Überschwang Thomas Wolfes und der klugen, vorantreibenden Reserve seines Lektors leben, dem es gelingt, das „Engel“-Konvolut im Einvernehmen mit dessen Erfinder um ein gutes Drittel zu kürzen – und für sich fragt er sich zugleich: „Machen wir die Bücher wirklich besser, oder machen wir sie bloß anders?“ Und es gibt Szenen, die das Duo vor dem Hintergrund von Perkins’ Familie zeigen: mit den fünf Töchtern, die in Wolfe eine Art älteren Bruder kichernd umschwärmen – und mit Perkins’ Frau, einer sensiblen und loyalen Persönlichkeit, in jenen fernen 1920er Jahren bereit, sich mit einer Rolle im Hintergrund abzufinden.
Den Gegensatz dazu markiert die von Nicole Kidman fragil unberechenbar angelegte Bühnenbildnerin Aline Bernstein: Wolfes ältere Geliebte, mit einem Geschäftsmann verheiratet und selber Mutter von zwei Kindern, rebelliert offen gegen die Ersatzvater/Ersatzsohn-Beziehung, die bald in der Editionsarbeit an dem noch umfänglicheren Roman „Von Zeit und Fluss“ fast alle Zweisamkeitsnähe verschlingt. Aline prophezeit Perkins mit einigem Tremolo, dass Wolfe auch ihn und den Verlag mit wachsendem Erfolg verlassen wird. Als ob der lebenskluge Mann – einmal sagt er zu einer Tochter: „Manchmal gehen Menschen einfach weg. Das wirst du eines Tages auch tun“ – das nicht selber wüsste.
Der Feuermensch und sein kongenialer Konterpart
All diese Details sind im Wesentlichen belegt, durch A. Scott Bergs Biografie mit dem doppelsinnigen Titel „Max Perkins: Editor of Genius“ (1978), auf die die Filmemacher sich stützten, aber auch durch Zeugnisse von Zeitgenossen und Briefe. Mag sein, dass Jude Law, ginge es um die authentische Abbildung des Altersabstands zwischen den realen Figuren, für die Rolle ein bisschen zu alt ist (ursprünglich war der fünf Jahre jüngere Michael Fassbender im Gespräch), aber er hat dasselbe Feuer, dieselbe Wörterverliebtheit, die Freunde auch dem echten Thomas Wolfe nachsagten. Colin Firth ist sein kongenialer Konterpart: Beide Männer eint das leidenschaftliche Verhältnis zur Literatur, bis hin zu jenem – schriftlichen – Bekenntnis in der Schlussszene, das man sentimental nennen könnte. Wenn es denn nicht ebenfalls von A bis Z verbürgt wäre.
Wer die inspirierende Kraft des Kinos liebt, ist in diesem Film zu Hause. Und wer die Literatur liebt, sowieso. Wie schön, dass Irma Wehrli vor einigen Jahren Thomas Wolfes „Schau heimwärts, Engel“ furios neu übersetzt hat, diesen autobiografischen Roman von „enormer Imaginationskraft, phänomenalem Erinnerungsvermögen und eruptiver poetischer Ausdrucksenergie“, wie Klaus Modick in seinem Nachwort schreibt. 718 Seiten. Buchstaben. Wörter. Sätze. Kapitel. So viele Filme, wie es Leser gibt.
Ab Donnerstag in Berlin in den Kinos Cinemaxx, FaF, Passage und Toni; die OmU wird gezeigt im b-ware, Filmkunst 66, Rollberg und in der Kulturbrauerei
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