Mstislaw Rostropowitsch: Der Cellist und der Diktator
Mstislaw Rostropowitsch ist eine Jahrhundertfigur. Aber sein Ruhm als Freiheitskämpfer kennt auch eine Schattenseite.
Mstislaw Rostropowitsch ist als Meistercellist in die Musikgeschichte eingegangen, ebenso als Freiheitskämpfer. Ein Humanist, eine Jahrhundertfigur. Die Berliner lieben den 2007 gestorbenen Musiker nicht zuletzt deshalb, weil er am 11. November 1989, keine zwei Tage nach dem Mauerfall, aus seinem Wohnort Paris anreiste, um am Checkpoint Charlie für die wiedervereinigten Deutschen Bachs Cellosuiten zu spielen. Auch das ging in die Geschichte ein, als Geste der Freude und spontane Stellungnahme für Menschenrechte und Demokratie – von einem Künstler, der einst dem Dissidenten-Schriftsteller Alexander Solschenizyn in seiner Moskauer Datsche Asyl gewährte und deshalb 1971 mit Ausreiseverbot belegt wurde.
Ohne den musikalischen Ruhm Rostropowitschs schmälern zu wollen: Zum 90. Geburtstag des Musikers am 27. März soll hier auch einmal daran erinnert werden, dass bei seinem Ruf als unerschrockener Verfechter der Freiheit und des Humanismus auch Fragezeichen angebracht sind.
Zwar bezog Rostropowitsch oft mutig öffentlich Position. Zwei Jahre nach dem Mauerfall stand er mit dem Maschinengewehr in der Hand beim Moskauer Augustputsch unter den Verteidigern des Parlamentsgebäudes, auch war er in der späten Sowjetzeit zweifellos selber ein Opfer des Unrechtregimes. Aber gleichzeitig suchte er die Anerkennung und Aufmerksamkeit der Mächtigen, auch von Diktatoren. Einer von ihnen ist der KGB-General Heydar Aliyev, der langjährige Präsident von Aserbaidschan, ein korrupter Despot und Unterdrücker der Freiheit.
1927 im aserbaidschanischen Baku in eine Musikerfamilie hineingeboren und im Moskauer Konservatorium unter anderem von Schostakowitsch und Prokofjew ausgebildet, erhielt Rostropowitsch zahlreiche Auszeichnungen: den Stalinpreis (1951), den Leninpreis (1964), den Titel des Volkskünstlers der UdSSR (1966). Er lehrte am Moskauer Konservatorium, seine Platten wurden vom staatlichen Verlag Melodija publiziert, auch ging er mit Unterstützung der staatlichen Konzertorganisation auf Tournee, als Cellist wie als Dirigent. 1974 wurden er und seine Frau, die Sopranistin Galina Wischnewskaja, in die Emigration gedrängt, 1978 verloren sie die sowjetische Staatsbürgerschaft. Rostropowitsch, der Staatenlose, wurde Chefdirigent in Washington.
Bekannt war im Westen vor allem die Geschichte mit Solschenizyn. Ab 1969 lebte der Schriftsteller und Dramatiker für vier Jahr im Gartenhaus der Datsche von Rostropowitsch und Wischnewskaja unweit von Moskau. Das Paar hatte den von ihm bewunderten, politisch drangsalierten Autor bei einem Konzert kennengelernt, in der Datschen-Zeit entstand unter anderem Solschenizyns autobiografischer Roman „Krebsstation“. Der renommierte russische Musikwissenschaftler Solomon Wolkow merkt dazu an, dass dies mit Wissen und Erlaubnis aus dem Umfeld von Generalsekretär Breschnew vor sich gegangen sein muss. Wolkow weist darauf hin, dass die Datsche in Zschukowka lag, einer Art gated community für die sowjetische Elite. Ohne Anmeldung habe sich dort niemand aufhalten können. „Kein einziger Milizionär hat je die Datscha aufgesucht und gefragt: Wer ist dieser Mensch, der bei Ihnen wohnt?“, sagte Wolkow 2016 in einem Interview mit Radio Free Europe. Wolkow geht fest davon aus, dass Solschenizyn nicht ohne Duldung des Regimes dort gelebt hat.
Als Quelle beruft sich der Musikhistoriker, der an der Columbia University lehrt, auf niemand Geringeren als Galina Wischnewskaja. In ihren Memoiren, wie auch in einem Interview von 2010, erinnert sich die Sängerin daran, dass der sowjetische Innenminister Nikolai Schtscholokow den Bewohnern der Datsche mehrere Besuche abstattete. Er habe lange Gespräche mit Solschenizyn geführt und ihn mit Unterlagen aus den Archiven des Innenministeriums für den Revolutionsroman „August vierzehn“ versorgt.
Gewiss erforderte es trotzdem Mut, Solschenizyn öffentlich zu verteidigen, wie Rostropowitsch es tat, als der GulagÜberlebende nicht 1970 nach Stockholm zur Verleihung des Literaturnobelpreises reisen durfte. Aber die andere Seite der Medaille – die schützende Hand der Politik, die Privilegien eines Zschukowka-Bewohners, die Nähe zur Macht – gehört zur Legende vom Freiheitshelden dazu.
1969 war auch eine historische Zäsur für Aserbaidschan: Heydar Aliyev wurde Diktator der Sowjetrepublik. Viele Jahre später, nach der Unabhängigkeit, wurde er in einer zweifelhaften Abstimmung 1993 zum Präsidenten gewählt. Zeitlebens festigte er seine Macht mit Gewalt, kontrollierte alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, vernichtete fast die gesamte Opposition. Die ersten Keime der Meinungsfreiheit nach dem Ende der Sowjetunion – wo Aliyev bis zu Gorbatschows Perestroika dem Politbüro der KPdSU angehört hatte – wurden erstickt, die Medien für propagandistische Zwecke instrumentalisiert.
1997 lud Aliyev Mstislaw Rostropowitsch zu dessen 70. Geburtstag in sein Heimatland ein. Die Rückkehr des weltberühmten Sohns von Aserbaidschan wurde pompös gefeiert, mit einem „Volksfest“ zu Ehren des Großen von Baku. Kinder trugen Trachtenkostüme, traditionelle Sänger priesen ihn als Freund von Aliyev, dem Maestro wurden Orden verliehen. Der 2008 gestorbene Opern- und Popsänger Müslüm Maqomayev berichtete in einem Interview, dass der Cellist den Präsidenten selbst um die Einladung gebeten habe. Er, Maqomayev, sei dabei der Mittelsmann gewesen. Der Besuch – dem viele weitere folgen sollten – kam Aliyev gerade recht. Einheimische Musiker hatten ihm sinfonische Werke gewidmet, aber fürs internationale Renommee brauchte er einen Weltstar wie Rostropowitsch.
Eine seltsame Beziehung: der große Künstler, Dissident und Humanist Rostropowitsch ist mit einem früheren KGBMann und Feind der Freiheit befreundet. Warum suchte Rostrowitsch die Nähe zu den Staatschefs in postsowjetischen Zeiten? Er unterhielt auch gute Beziehungen zur Jelzin-Familie und zum georgischen Präsidenten Eduard Schewardnadse.
Heydar Aliyev starb am 12. Dezember 2003, seinen Nachfolger hatte er noch vor seinem Tod installiert, seinen Sohn Ilham Aliyev. Auch mit ihm verstand Rostropowitsch sich offenbar gut, der Musiker kam weiter jedes Jahr mit seiner Frau nach Baku. Mehriban Aliyeva, die Frau des Präsidenten, wurde First Lady Aserbaidschans und bald auch Sonderbotschafterin der UNESCO, wie der Maestro selbst. Und er nahm von Ilham Aliyev einen weiteren Orden entgegen, der nach dessen Vater benannt ist.
Als Rostropowitsch, Ehrenbürger zahlreicher Städte, am 27. April 2007 mit 80 Jahren starb, zählte der Aliyev- Clan – erst kürzlich ernannte der Präsident seine Ehefrau zur Vizepräsidentin – zum prominenten Beerdigungszug. Ein in Baku ins Leben gerufenes Rostropowitsch-Festival, geleitet von der Tochter des Musikers, wird von der Heydar-Aliyev-Stiftung finanziert. Zwar musste es 2016 aus Geldgründen abgesagt werden, aber dieses Jahr findet es wieder statt. Nicht wie bisher im Winter, sondern im April, zum zehnten Todestag des Maestros.
Als Ignat Solschenizyn, der Sohn des Schriftstellers, an einem kalten Tag im Dezember 2011 auf dem Festival in Baku die Ouvertüre von Verdis „Macht des Schicksals“ dirigierte, war das ein historisch bewegender, bitterer Moment. Der Musiker, der Dissident und die Macht – schlagartig blitzte das ungeheuer komplizierte und gern verschleierte Verhältnis zwischen Kunst und Politik, Mythos und Wahrheit auf. Ein moralisches Dilemma, nicht nur im Leben der Jahrhundertfigur Mstislaw Rostropowitsch.
Elmir Mirzoev, geb. 1970, ist Komponist und Journalist aus Aserbaidschan. Sein Land musste er verlassen, weil er dort politisch verfolgt wird. Zur Zeit lebt er in Köln.
Elmir Mirzoev