Kultur: Diesen Kuss der ganzen Welt
Cellovirtuose, Freiheitskämpfer, Menschenfreund. Zum Tod des großen russischen Musikers Mstislav Rostropowitsch
„Als Rostropowitsch und Karajan einander umarmten – umjubelt von Tausenden –, da wurde mit dieser Geste noch einmal besiegelt, wovon alle große traditionelle Musik spricht: Menschlichkeit, Bereitschaft zum Miteinander, zur Kommunikation, zum brüderlichen Verstehen. Fast verlorene Möglichkeiten, verschüttet im Mahlstrom des Musikbetriebs. Hier aber in diesen wenigen Minuten in der Philharmonie, wurden sie noch einmal Gegenwart, erfüllter Augenblick.“ Im Tagesspiegel vom 20. September 1969 feiert Wolfgang Burde zwei der größten Künstler des 20. Jahrhunderts, denen gerade eine unvergessliche Aufführung von Dvoraks Cellokonzert gelungen ist – und fasst in wenigen, euphorischen Worten zusammen, was nicht nur den Musiker, sondern den Menschen Mstislav Rostropowitsch auszeichnete.
Daniel Barenboim einmal ausgenommen, hat wohl kein anderer Klassik-Interpret des vergangenen Jahrhunderts eine derart bedeutende politische Rolle gespielt wie der am 27. März in Baku am Kaspischen Meer geborene Rostropowitsch. Sein mutiges Eintreten für den vom Sowjetregime verfemten Alexander Solschenizyn kostet ihn letztlich die Staatsbürgerschaft. Für einen zutiefst der Heimat verbundenen Menschen wie Rostropowitsch der schwerste Schlag. Oft wirkt er danach wie ein Getriebener, entfaltet er eine geradezu beängstigende Aktivität, absolviert bis zu drei Auftritte am Tag. Und äußert sich immer wieder dezidiert zu tagesaktuellen Fragen.
Schon mit zwölf Jahren kommt der hochbegabte „Slawa“ ans Moskauer Konservatorium, studiert Violoncello bei seinem Onkel Semyon Kozopulow und wird musikalisch geprägt von seinem Instrumentationslehrer, dem Komponisten Dmitri Schostakowitsch. „Er ist, neben meinem Vater, der wichtigste Mensch in meinem Leben“, sollte der Musiker später dankbar sagen. Und Schostakowitsch widmet ihm seine beiden Cellokonzerte.
Als Aushängeschild des sowjetischen Kulturbetriebs wird Mstislav Rostropowitsch seit den vierziger Jahren um die Welt geschickt, die Stalinsche Repressionspolitik scheint für ihn nicht zu gelten, die eisernen Vorhänge des Kalten Krieges öffnen sich wie samtene Bühnenvolants für den umjubelten Star. Spätestens die Hochzeit mit der gefeierten Moskauer Operndiva Galina Wischnewskaja macht Rostropowitsch 1955 endgültig zum Yellow-Press-tauglichen Künstlerprominenten. Im Jahr darauf debütiert er in der Carnegie Hall, 1960 lädt ihn Benjamin Britten zu seinem Festival im südostenglischen Aldeburgh ein. Drei Jahre nach dem Mauerbau tritt er in West-Berlin auf.
„Rostropowitschs interpretatorische Arbeit adäquat zu beschreiben ist so schwer, wie von der Gewalt eines Naturereignisses gründlich Rechenschaft zu geben. Seine musikalische Leidenschaftlichkeit ist intensiver als die aller anderen Cellovirtuosen, seine Ausdrucksskala komplexer als die vergleichbarer Interpreten und seine technische Beherrschung des Instrumentes selbstverständlicher, unmerklicher“, schwärmt der Tagesspiegel nach dem erneuten Gastspiel bei den Berliner Philharmonikern im September 1969. Eigentlich hätte man den Begriff „Teufelscellist“ für ihn erfinden müssen.
Just in dem Moment aber, wo Rostropowitsch auf dem Zenit seiner Karriere angekommen scheint, stürzt er in der Gunst des Sowjetregimes: Dem gerade aus dem Schriftstellerverband der UdSSR ausgeschlossenen Alexander Solschenizyn, der mittellos in einer ungeheizten Hütte haust, bietet Rostropowitsch seine komfortable Datsche an. Eine Geste der Nächstenliebe, die von den Machthabern als politischer Affront verstanden wird. Doch statt Selbstkritik zu üben, legt der Musiker nach, veröffentlicht ein „moralisches Bekenntnis“ zu seinem Freund: „Ich kenne viele Werke Solschenizyns, ich liebe sie, und ich glaube, dass seine Leiden ihm das Recht geben, die Wahrheit zu schreiben.“
Dass der Schriftsteller 1970 den „westlichen“ Literatur-Nobelpreis erhält, verschärft die offizielle Reaktion auf den offenen Brief noch. Rostropowitsch darf nicht mehr am Bolschoi-Theater dirigieren, Auslandstourneen und Plattenaufnahmen werden unterbunden. Der Musiker ist verzweifelt, sucht immer öfter Trost im Wodka. Einziger Ausweg bleibt der Ausreiseantrag. Im Mai 1974 geht der Verstoßene in London von Bord einer Aeroflot-Maschine – und schwört, so lange keinen russischen Boden mehr zu betreten, wie Unfreiheit in seinem Land herrsche. Bis zum April 1989 hält er durch, dann aber kündigt er eine Tournee nach Moskau und Leningrad an, mit dem Washingtoner National Symphony Orchestra, das er seit 1977 leitet. Gorbatschows Glasnost-Politik hat ihn überzeugt.
Kein Wunder, dass Mstislav Rostropowitsch sofort nach Berlin jettet, als er im November von der Öffnung der Mauer erfährt. Am 11. November 1989 gibt er auf seinem 1,5 Millionen Euro teuren Stradivari-Cello ein Straßenkonzert am Checkpoint Charlie. Das Bild vom beglückt lächelnden Instrumentalisten am Grenzübergang wird zu einer Bildikone der deutschen Wiedervereinigung – im Tagesspiegel freilich findet sich keine Zeile über den spontanen Open-Air-Auftritt mit Bachs Solo- Suiten. Im Ereignisstrudel der Waaahnsinns-Tage war dieses kammermusikalische Weltereignis wohl einfach durchgerutscht.
Im August 1991 steht der Musiker dann wieder auf der Straße, diesmal ohne Cello und in Moskau. An der Seite Boris Jelzins verteidigt er das Parlamentsgebäude gegen die altkommunistischen Putschisten. Zwei Jahre später donnern Jubelklänge über den Roten Platz: Rostropowitsch spielt mit „seinen“ Washingtonern die „1812“-Ouvertüre, mit der Pjotr Tschaikowski einst Napoleons Niederlage in Noten gefasst hatte.
Zu seinem 80. Geburtstag vor genau vier Wochen nahm der gerade von einer Leberoperation genesene Rostropowitsch gerne vom Jelzin-Nachfolger Wladimir Putin im Kreml einen Verdienstorden entgegen. Am Montag meldeten dann russische Nachrichtenagenturen, der Musiker sei erneut in eine Moskauer Klinik eingeliefert worden. Am Freitag ist er dort seinem Krebsleiden erlegen.
Dass dieselben Leute, die ihn als größten Cellisten seit Pablo Casals feierten, über die Kapellmeisterambitionen des Autodidakten die Nase rümpften, hat Rostropowitsch übrigens nie verstanden. „Ich will dirigieren bis zu meinem letzten Atemzug, denn auch das ist meine Welt“, beharrte er 1988 trotzig in einem Interview. Seinen letztes Konzert als Cellist spielte er im Mai 2005 in Wien. Als Dirigent hatte Rostropowitsch 2007 80 Auftritte geplant. Auch in diesem Punkt ist er sich bis zuletzt treu geblieben.
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