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Schlafsaal des Vergessens. Szene aus „Cemetery of Splendour“.
©  Rapid Eye Movies

Das Kino des Apichatpong Weerasethakul: Der Bilderträumer

Künstler, Filmemacher, Geisterbeschwörer: Eine Begegnung mit Apichatpong Weerasethakul, dem Regisseur des Films „Cemetery of Splendour“.

Als der Regisseur im Berliner Soho Haus sitzt, um Interviews zu geben, hat er zuvor in einem anderen Hotel übernachtet, war zuletzt in Paris und freut sich auf ein Filmfestival. Er führt das Leben eines international gefeierten Künstlers mit der Wirklichkeit ständig flackernder Eindrücke. Aber so dicht sein Leben auch ist, auf seine Träume kann Apichatpong Weerasethakul sich verlassen. Er vertraut ihnen, schreibt sie auf. Sie seien in ihrer Struktur sogar linearer als seine Filme.

Und? Tatsächlich. Zuverlässig hat er in der Nacht geträumt. Von einem jung aussehenden thailändischen Schauspieler und einer Gesichtsstraffung. Er, Apichatpong, war dann auf einer Reise, um den richtigen Shop für eine Schönheitsoperation für seine Mutter zu finden.

„Logik und Unlogik, die Vorstellung von Zeit“ stelle sich im Träumen anders dar als im Wachen, sagt er. Doch Erinnerungen sind in der gebogenen Logik eines Traums nicht weniger wahr als in einer linearen Erzählung. Und hier geht es um die kollektive Erinnerung einer ganzen Nation.

Sein neuer Film „Cemetery of Splendour“ handelt von Träumen. Soldaten sind zu sehen, die in Betten liegen und schlafend nichts Soldatisches mehr haben. Angeschlossen an ein Gerät, das als farbige Lichtsäule in Erscheinung tritt und „auch bei amerikanischen Soldaten in Afghanistan eingesetzt wurde. Damit haben sie schöne Träume.“ Ein ganzer Saal voller mutmaßlich Träumender ist zu sehen, hingestreckt in wechselndem Licht, während der Pegel in ihren Urinbeuteln langsam steigt.

Diese Soldaten mit ihrer unerklärlichen Schlafkrankheit und den kurzen Wachzeiten liegen in einer ehemaligen Grundschule, „im Militärkrankenhaus nehmen sie zu viel Platz weg“. Sie werden von Verwandten und Pflegern umsorgt. Eine Frau, „sogar das FBI wollte sie haben“, bietet ihnen als Medium an, mit den Schlafenden in Kontakt zu treten. Aber was die dann bloß von ihnen wissen wollen! Hatte er eine Geliebte? Welche Farbe soll die neue Küche haben? Als der Soldat Itt schließlich erwacht, fragt er Jen, die sich um ihn kümmert, zuerst nach seinem Akkuladegerät. „Ich rieche sogar die Blumen in meinen Träumen.“ „Das ist eine wichtige Eigenschaft für einen Soldaten.“

2010 erhielt Weerasethakul in Cannes die Goldende Palme

Apichatpong Weerasethakul ist berühmt für seine poetischen, assoziativen Filme. Umso erstaunlicher ist die Welthaltigkeit dieses nur auf den ersten Blick traumwandlerischen Werks. Denn es ist auch ein fabelhafter Film in dem Sinne, wie es für ein unterdrücktes Volk nötig wird, in Fabeln über die wahren Zustände zu sprechen. Es begann damit, dass Weerasethakul, der Regisseur, den man für seine meditativen Filme gefeiert hatte, der in Cannes 2010 für „Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben“ mit der Goldenen Palme ausgezeichnet worden war, nach langer Zeit einmal wieder in den Nordosten Thailands zurückkehrte, an den Ort seiner Kindheit, in die Kleinstadt Khon Kaen. Auf dem Krankenhausgelände der Stadt war er aufgewachsen. Seine Eltern waren dort Ärzte und der Sohn hielt medizinisches und optisches Gerät für die tollsten Erfindungen. Er liebte es, wie sich die Welt unter dem Fokus eines Mikroskops auf einen Ausschnitt konzentrierte, wie sich das Licht unter einer Linse verstärkte.

Apichatpong Weerasethakul, thailändischer Künstler und Filmemacher.
Apichatpong Weerasethakul, thailändischer Künstler und Filmemacher.
© AFP

Erst im Nachhinein begriff der Spezialist für das Thema Erinnerungen, dass das Arztkind von damals die Lebenswelten der anderen kaum mitbekommen hatte, obwohl es mitten unter ihnen aufgewachsen war. Wie in einer Blase. Seine Spielkameraden waren damals die anderen Ärztekinder. „Wie sicher, normal und langweilig mein Leben war!“

Weerasethakul erzählt von Thailand als einem Volk zwischen Konflikt und Koma

Der Erwachsene stellte plötzlich die große Anzahl an Leberkranken in Zusammenhang mit dem Alkoholkonsum im Land. Und er stellte den Alkoholkonsum in Zusammenhang mit der politischen Realität, in der der Alkohol als Fluchthelfer in eine andere, eigene Welt dient. Er begriff, was es hieß, dass sein Vater ständig viele Antidepressiva verschrieben hatte. Hatte er doch jahrelang im Hintergrund gespielt, während die Dorfbewohner seinem Vater ihre Sorgen erzählten wie einem Psychotherapeuten.

Diese Erinnerungen sind nun Grundlage für diesen Film, der ein Volk zwischen Koma und Konflikt beschreibt, das heute von einer Militärjunta regiert wird.

Die Welt bemerkt erstaunt, dass Weerasethakul für seine Filme immer die gleichen Darsteller wählt. Er arbeite mit „unprofessionellen Schauspielern“, heißt es, mit Laien. „Aber so sehe ich das nicht.“ Er findet, er arbeite mit Experten für das echte Leben, ihre vielschichtige Identität verbessere das Produkt. „Ich möchte Leute, die Erfahrungen mitbringen, die ich nicht habe. Ihr Leben soll meine Filme beeinflussen.“ In der Tat hat seine Hauptdarstellerin Jenjira viele andere Identitäten gehabt, als Näherin in einem Sweat- Shop, in einer gewaltsamen Beziehung, als Mutter, irgendwann wurde sie auf einem Golfplatz zum Caddy. Jenjira hatte einen Motorradunfall, ein lahmes Bein, er hat sie das Skript ändern lassen. „Film ist eine gute Entschuldigung, um sich als Introvertierter die Welt anzueignen“, sagt Weerasethakul. „Und Jenjira hat mir so viel über das Überleben beigebracht, über die Geschichte dieses Ortes, die ich selber nicht erlebt hatte, über die lange Zeit, in der Bomben auf den Platz fielen.“ 

Weil so viel echtes Leben in ihnen steckt gilt für ihn: Wenn Filme zensiert werden, wie in Thailand, werden Leben zensiert. Eine Finanzierungshilfe von der Regierung gebe es etwa, wenn man das Gute im Buddhismus beschreibe. „Alles, was kollektiv ist und nicht persönlich.“ Weerasethakul interessiert sich aber für Individuen, nicht für Nationalisten. Die Militärregierung interessiert sich für die Facebook-Einträge des Volkes, viele kommen ins Gefängnis. Automatisch setzt in diesem Umfeld die Selbstzensur ein. „Man fühlt sich wie in einem Traum, aus dem man aufwachen will.“ Nur dass man es nicht kann.

„Könige benutzen die Energie der Soldaten, um eigene Schlachten zu schlagen“, heißt es im Film. Die Gegenwart ist da nur eine mühelose Transferleistung entfernt.

Ab Donnerstag in den Berliner Kinos Sputnik, fsk am Oranienplatz, Lichtblick, Brotfabrik und b-ware! Ladenkino

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