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"Der Himmel wird überschätzt", sagt Boonmees verstorbene Frau (Natthakarn Aphaiwonk) und umarmt ihren schwerkranken Mann (Thanapa Saisaymar).
© Movienet

"Uncle Boonmee": Apichatpong Weerasethakul: Der Geisterbeschwörer

"Dschungel ist Heimat. Wir alle kommen dorther": Apichatpong Weerasethakul, Kinorebell aus Thailand, und sein Cannes-Siegerfilm "Uncle Boonmee" kommen am Donnerstag ins Kino.

Wenn er Tiere filmt, sieht man, dass sie eine Seele haben. Zum Beispiel der Wasserbüffel: Er reißt sich vom Baum los, läuft durchs Reisfeld, schnaubt kurz, bleibt stehen. Seine Flanken glänzen, ein schwerer Leib in der Dämmerung, ein Wesen voll Würde und Melancholie.

Es kann auch vorkommen, dass ein Fisch Sex mit einer Prinzessin hat oder ein Affe weise Worte sagt (mit Untertiteln!): Apichatpong Weerasethakul, Filmemacher aus Thailand, glaubt an die Wiedergeburt. Das heißt, er sagt, er weiß es nicht, es ist egal, ob man es glaubt, nur das Vergessen tut den Menschen nicht gut. Das Kino ist allemal Reinkarnation. Man muss sich nur die alten Filme mit den schönen jungen Stars anschauen, die heute längst tot sind.

Die Dinge werden einfach, wenn man Weerasethakul zuhört, seinem weichen, asiatischen Englisch. Oder wenn man seinen jüngsten Film sieht, „Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben“, der in Cannes die Goldene Palme gewann und nun ins Kino kommt. Der Wasserbüffel ist eigentlich Onkel Boonmee, bloß in einem früheren Leben.

Der nierenkranke Boonmee (Thanapat Saisaymar) kehrt zum Sterben in seine Heimat im Nordosten Thailands zurück, mit der Schwägerin, dem Neffen (Weerasethakuls Stammschauspieler Jenjira Pongpas und Sakda Kaewbuadee) und einem Krankenpfleger aus Laos. Vielleicht hat Boonmee einst zu viele kommunistische Bauern getötet: Die verdrängte Erinnerung vergiftet den Körper. Abends auf der Veranda gesellt sich seine tote Frau zu ihnen, auch der verstorbene Sohn kehrt in Affengestalt zurück. Die Frau verrät: „Der Himmel wird überschätzt.“ Boonmee denkt an seine Vorleben, an seine Zeit als Prinzessin, die auf der Suche nach ihrer verwelkten Schönheit am Wasserfall einen Fisch konsultierte.

Zum Sterben begibt sich der Kranke in den Dschungel, in eine Höhle mit atemberaubend glitzernden Wänden, die von Zottelbiestern mit rotglühenden Augen bevölkert wird. Langsam schiebt die Morgensonne den Schatten der Nacht weg, ein Bild, das sich auf die Netzhaut brennt.

Apichatpong Weerasethakul. Als sein Film „Tropical Malady“ 2004 in Cannes lief, war es ein Wunder, ein Schock. Die Festivalbesucher übten den Namen dieses Kinozauberers, der einen in die Wildnis entführt, in eine hypnotische Dschungelwelt voller Totengeister, Affengötter, Comicfiguren und Rebellen. Kino als magisches Ritual: Diesseits und Jenseits sind nicht voneinander geschieden, und die Menschen wechseln ihre Gestalt wie ihre Kleider.

Wer glaubt, er sei im Märchenfilm, der irrt sich. Der in Bangkok geborene Arztsohn, der in Chicago Experimentalfilm studierte und wieder zurückging, um im Kino von Thailand zu erzählen, von der Freiheit „die wir nicht haben“, von den alten und neuen Gespenstern des Landes – dieser Künstler ist ein hochpolitischer Kopf. Er kämpft für die Demokratie und gegen die Zensur, er hat erreicht, dass die Filmfreigabe nicht mehr Sache der Polizei ist, sondern des Kulturministers. Seine Filme zeigen, was die Regierung gar nicht gern sieht: verdrängte Geschichte, Bürgerkriegs-Traumata, Migranten aus Laos und Burma, Diskriminierung, expliziten Sex, Homoerotik. Weerasethakul entgrenzt die Wahrnehmung und macht das Unsichtbare sichtbar, alles, was den politischen Unruhen seines Landes vorausging.

Die thailändische Bevölkerung, sagt er, hungert nach Wahrheit. „Bisher waren wir noch viel besser darin, Dinge zu vergessen, als ihr Deutschen. Weil die Modernisierung so rasend schnell geht.“ Das will er ändern, als Seelenwanderer, als politischer Geisterbeschwörer.

Der Regisseur ist zu Besuch im Münchner Haus der Kunst, hier zeigte er 2009 seine Installation „Primitive Project“ über den armen Nordosten und das, was dort einst geschah. Ausgerechnet im Monumentalbau der Nazis, das hat dem Filmemacher gefallen: „Diese hohen Räume, in denen so viel Gewalt steckt, beherbergten eine Videoinstallation, die von Gewalt in der Geschichte Thailands handelt.“ Im Nordosten flohen die kommunistischen Intellektuellen in den Siebzigerjahren vor den Regierungstruppen in den Dschungel, auch Bauern wurden brutal ermordet.

Weerasethakul schimpft auf die Nationalisten, auf die Komplotte gegen die Freiheit. Bei der Frage nach dem Mönch, dessen Buch über den echten Boonmee ihn auf die Filmidee brachte, kommt er auf die Geistlichen zu sprechen, die in den Siebzigern das Morden sanktionierten. Und auf den jungen Mönch, der kürzlich twitterte, es sei eine größere Sünde, Zeit totzuschlagen als Menschen. Wenn die religiösen Autoritäten die Regierung auffordern, mit den Rothemden kurzen Prozess zu machen, das macht ihm Angst.

Er ist ein sanfter Regimegegner. Seit Tagen reist er für Interviews durch Europa, seine Zurückhaltung legt er nicht ab. Man wird selber scheu in Weerasethakuls Gegenwart, zögert, ihn mit Fragen zu bombardieren. Seine Worte sind entwaffnend. Er sei schrecklich vergesslich, gesteht er, Filmemachen sei seine Therapie. „Und die Kamera ist ein wunderbares Instrument für schüchterne Leute, die sich einmischen wollen.“

Wenn er also im Nordosten dreht, dann nicht nur, weil er hier aufwuchs, sondern weil er jene ins Licht setzen will, die wegen ihrer Armut, der dunklen Haut und des Dialekts diskriminiert werden. Wenn er in den Dschungel geht, dann nicht nur, weil es „der Ort ist, der uns Angst macht und fasziniert, weil wir ahnen, wir kommen dorther“, sondern weil er Schauplatz politischer Greueltaten war.

Kein Naturidyll also, sondern ein Ort der Heimsuchungen. Weerasethakuls Sounddesigner hat mehr noch als in seinen früheren Dschungelfilmen, in „Blissfully Yours“ von 2002 oder in „Tropical Malady“, eine wahre Urwaldsymphonie auf die Tonspur gebannt, voller Tier-, Wind- und Waldeslautmalereien und mit einer vor Vitalität dröhnenden Erde. Die Präsenz von allem, was lebt: Bei Weerasethakul ist auch das ein Politikum. Zu Hause hat er zwei Hunde und einen Teich mit 300 Fischen, an den Zimmerdecken sitzen die Geckos.

Seit seinem Debüt „Mysterious Object at Noon“, in dem eine Fischverkäuferin eine Fabel über einen Jungen im Rollstuhl ersinnt, die von Thailändern im ganzen Land fortgesponnen wird, lässt er die Bilder driften. Seine Geschichten verweigern die lineare Logik, sie sind nur bei sich, wenn sie den Faden verlieren. Weerasethakul liebt das Unvollkommene, die Traumzeitsprünge. Was damit zu tun hat, dass er im Provinzkrankenhaus seiner Eltern aufwuchs. Als Kind war er von Krankheit umgeben. In all seinen Filmen gibt es Versehrte, Behinderte. „Blissfully Yours“ beginnt mit einem Arztbesuch wegen einer mysteriösen Hautkrankheit. „Uncle Boonmee“ ist eine Hommage an den Vater, der an Nierenversagen starb. „Syndromes and A Century“ (2006) drehte er in der Klinik der Eltern. Der sterile Geruch, das Leichenschauhaus, der Teich, um den die Kranken schlafwandelten, als seien sie Geister, es war so normal. „Mit der Krankheit“, sagt Weerasethakul, „ist es wie mit der Liebe. Irgendwann erwischt sie uns.“

Am Ende von „Uncle Boonmee“ kommt Tong als Mönch in Jens Hotelzimmer, er will duschen. Ein buddhistischer Mönch, der Schicht um Schicht seines Gewands ablegt, das gab’s im Kino noch nie. Es ist ein Abschied, sagt Apichatpong Weerasethakul. Er will andere Filme drehen, noch politischer werden, der Zensur trotzen: „Das Internet ist voller bewegter Bilder. Die Filme kursieren, obwohl die Regierung zurzeit mehr als 100 000 Websites blockiert hat.“ Zur Freiheit in Thailand ist es noch ein weiter Weg.

Ab Donnerstag im Kant, Babylon Kreuzberg (OmU) und Hackesche Höfe (OmU)

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