Art Spiegelman: Der Bilderdenker
Der US-amerikanische Zeichner Art Spiegelman hat nicht nur mit seiner Holocaust-Studie "Maus" die Welt der Comics verändert. Ein Preis, ein neues Buch – und eine Retrospektive.
Auf die Frage, wie es denn um den Comic stehe, nun, wo er auch im Museum gezeigt werde, antwortet Art Spiegelman bei der Eröffnung seiner Retrospektive schelmisch: Wenn ein Medium nicht mehr Massenmedium sei, müsse es eben Kunst werden – oder sterben.
Der Zeichner hat leicht reden im Kölner Museum Ludwig, das mit „Co-Mix – Eine Retrospektive von Comics, Zeichnungen und übrigem Gekritzel“ eine große Werkschau seiner Arbeiten zeigt. Spiegelman hat das Seinige zur Kunstwerdung eines früher als Schundliteratur verrufenen Mediums beigetragen. Mit einer elektronischen Zigarette entspannt im Museum sitzend, immer ein Bonmot parat, wirkt er, als wäre er als Botschafter in Deutschland unterwegs. Und das ist er, ein Botschafter für Völkerverständigung und Comic-Kultur. Am Sonntag ist Spiegelman in Berlin mit dem Siegfried-Unseld-Preis ausgezeichnet worden, sein Buch „Metamaus“ erscheint nun auf Deutsch, die Analyse zu seinem Jahrhundertwerk „Maus“.
„Maus“ hat 1986 das Comic-Verständnis neu definiert. Spiegelmans Auseinandersetzung mit den Erlebnissen seines Vaters im Warschauer Ghetto und in Auschwitz, die Auswirkungen auf die Gegenwart und die Familiengeschichte ist ein ergreifendes Zeitzeugnis – und eine großartige Dokumentation dessen, was die Kunstform Comic zu leisten vermag. „Maus“ wurde einer der großen internationalen Comicbestseller und brachte dem Zeichner den Pulitzer-Preis ein.
Nun ist Spiegelman also zu musealen Ehren gekommen, obwohl er dem Museumsbetrieb eher kritisch gegenübersteht. Aber der große Preis der Stadt Angoulême 2011 und die Ausstellung dazu haben ihn zu einem Umdenken bewogen. Und das Museum Ludwig freut sich mit. Schon 2004 hatte man mit Robert Crumb („Yeah, but is it art?“) eine recht erfolgreiche Comic-Ausstellung präsentiert, nun ist Köln nach Paris die dritte Station der Spiegelman-Retrospektive. „Diese Ausstellung muss auch in Deutschland gezeigt werden“, so war man sich einig – die Betonung auf Deutschland legt nah, dass die Bedeutung hierzulande vor allem aufgrund des Themas seines berühmtesten Buches zustande kommt.
Originalseiten gibt der Künstler nicht heraus, die seien mittlerweile zu fragil
Doch damit wird man dem großen Vordenker der Form kaum gerecht. Der 1948 geborene Art Spiegelman ist seit den 1960er Jahren im Comic-Geschäft tätig. Indem die Schau seine Karriere vollständig abdeckt, kommt der Zuschauer auch in den Genuss einer kleinen Kulturgeschichte des amerikanischen Comics – ohne die Superhelden.
Begonnen hat Spiegelman in der Zeit, als die Underground-Comics gegen Zensur aufbegehrten, Tabus brachen und für erwachsene Inhalte eintraten. In den Siebzigern spielte er mit den Formen und probierte sich an autobiografischen Comics. Als Herausgeber war er an RAW beteiligt, dem bahnbrechenden Avantgardemagazin, das ab 1980 an der Schnittstelle von Kunst und Comic experimentierte und wo Spiegelman den Brückenschlag zwischen europäischen und amerikanischen Künstlern vollzog. 1986 dann „Maus“, ein Comicroman, der das literarische Potenzial des Mediums ausschöpfte und wegweisend wurde. „Im Schatten keiner Türme“, seine Reaktion auf 9/11, legte der Zeichner als großseitige Collagecomics an, als Hommage an die alten Zeitungsstrips, eine postmoderne Herangehensweise. Heutzutage arbeitet er an der Renaissance von Kindercomics mit.
So zeigt „Co-Mix“ anhand zahlreicher Comicseiten, Illustrationen und Skizzen auch verschiedene Stadien des Comics. Die von Spiegelman und Rina Mattotti kuratierte Retrospektive beeindruckt zwar durch eine konzentrierte Darstellung der Karriere des Zeichners, von Kaugummisammelkarten über Comic-Essays bis zu provokanten Illustrationen für den „New Yorker“. Aber schon bei den frühen Arbeiten wird deutlich, dass sich Spiegelmans Werk weniger über die Zeichnung, sondern über die konzeptionelle Herangehensweise definiert. Die Comics sind von Intellekt durchdrungen, alles wird seinem Ruf als Comic-Theoretiker gerecht.
Daher gibt es auch viel zu lesen im Museum Ludwig, denn für Spiegelman war es wichtig, ganze Sequenzen zu zeigen, vergrößerte Einzelbilder sucht man vergebens. Mehr als 300 Exponate sind zu sehen, im Mittelpunkt der in drei schmalen Räumen etwas gedrängt gehängten Ausstellung steht „Maus“. Reproduktionen aller Seiten sind ausgestellt, dazu Skizzen. Originalseiten gibt der Künstler nicht heraus, die seien mittlerweile zu „fragil“.
So ist die Ausstellung liebevoll im Detail, dort liegt aber auch die Kritik: Durch das Platzproblem ist die Chronologie der Werke jäh durchmischt, hinzu kommen kleinere Unachtsamkeiten, etwa die falsche Reihenfolge einer vierseitigen Geschichte. Um das Werk auch ganzheitlich greifen zu können, wären zudem Arbeiten notwendig, die den Zeichner beeinflusst haben, womöglich Comics von Wegbegleitern. Spiegelman redet zudem gerne von der „Grammatik des Comics“, doch auch diese muss sich der Zuschauer selbst erarbeiten. So bietet die Ausstellung zwar eine umfangreiche Schau der Comics von Spiegelman, dreht sich aber um sich selbst.
Das Ambiente des Museums Ludwig, in dem auch Maler des deutschen Expressionismus gezeigt werden und das eine der größten Pop-Art-Sammlungen beherbergt, könnte geeigneter nicht sein. Wie schön wäre es gewesen, Spiegelman auch in den Kontext bildender Kunst zu setzen – die Nähe von „Maus“ zu den Expressionisten wäre eine genauere Betrachtung wert. Da aber für Spiegelman – wie damals für Robert Crumb – das Kunstwerk im gedruckten Objekt besteht und nicht im Original einer einzelnen Seite, ist der Ausflug der Comics ins Museum sowieso nur eine Stippvisite. Die Kunst des Comics lässt sich noch am besten im Buch bewundern. „Der Comic ist in eine andere kulturelle Liga aufgestiegen“, hat Spiegelman vor einiger Zeit festgestellt. Das ist nicht mehr von der Hand zu weisen.
Ausstellung „Co-Mix“ bis 6. Januar 2013 im Museum Ludwig, Köln, Heinrich-Böll-Platz. Art Spiegelmans Buch „Metamaus“ erscheint am 26. September bei S. Fischer (300 Seiten, 34 Euro).
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