„Bin ein Schreiberling“ von Peter Wawerzinek: Der Autor als Testpilot
Die Biografie reich an Wechselfällen, die Prosa voll überbordender Fabulierlust: In „Bin ein Schreiberling“ zieht Peter Wawerzinek eine Bilanz aus der Melange, die seinem Leben und Schreiben erwächst.
Was Freunde und Gefährten an Peter Wawerzinek, gerufen „Schappy“, nicht alles an ihm schätzen: die überbordende Fabulierlust samt zärtlicher Attacken, Großzügigkeit im Verteilen von Einfällen. Und die Kraft, trotz vieler Rückschläge als Autor seinem Lebens-Masterplan treu zu bleiben, wofür er mit dem späten Erfolg seiner Romane „Rabenliebe“ und „Schluckspecht“ belohnt wurde. Er selbst betitelt seine Schreibbiografie mit „Bin ein Schreiberling“, und da sich dieses Wort wie ein roter Faden durch das Buch zieht, kommt man schlecht an ihr vorbei.
Zur Gegenfigur kürt er den Schriftsteller: „Ich bin ein Schreiberling, bin kein Fallen- oder Schriftsteller, der den Texten nachstellt wie der Jäger dem wilden Tier.“ Der Schreiberling ist für ihn ein Handwerker, umtriebig und überall da schreibfähig, wohin man Bleistift oder Laptop mitnehmen kann, ja der „Schreiberling sieht in den radikalen Einschränkungen all seiner sonstigen Gewohnheiten den hohen Sinn der Sache insgesamt und ist im richtigen Leben schon auf allen Gebieten der Lebensführung eingeschränkter, bescheidener als Schriftsteller es je sind und wohl auch nicht sein mögen.“ Für ihn zählen „Schlafsack, Hartbrot, Fusel. Schriftsteller dagegen duften nach Manschette, Lack und Siegel.“ Dieses von Adoptivmutter Alice übernommene Plebejertum ist als Leitmotiv indes wenig tragfähig, zumal Wawerzinek Beispiele und Namen schuldig bleibt. Und natürlich ist Wawerzinek nie nur Handwerker, sondern ein gewiefter Poet.
Der Schreiber als unermüdlicher Arbeiter am Text
Peter Wawerzineks Konfessionen sind in Kapitel unterteilt, die grob chronologisch den Lebensstationen folgen. Ein Leben reich an Wechselfällen, Halteorten, Begegnungen. Schon deshalb gestaltet sich die Lektüre ausgesprochen reizvoll. Vor allem aber gewährt der Autor Einblicke in die äußeren Bedingungen und inneren Zusammenhänge seiner Schreibwerkstatt. Wir erfahren, dass er konzentriert von November bis März schreibt und in den wärmeren Jahreszeiten eher sammelt, sinnt, sichtet. Dass er beim Schreiben Musik hört und diese auf den zu schreibenden Text einwirken lässt. Dass er am liebsten für die Liebste liest, „die nackt in der Badewanne liegen soll, weil man nackt viel mehr für den Lektüregesang empfänglich ist.“
Wawerzinek sieht sich beim Schreiben als Feldarbeiter, an der Werkbank, als Testpilot. Der Schreiber als unermüdlicher Arbeiter am Text, das ist das eine. Das andere ist, dass ein Besessener spricht, der leidenschaftliche Spieler am Wort, am Satz, am Romangestänge: „Ich bündle meine Erlebnisse zu Mikadostäben, die ich zu Hause über meinem Schreibtisch auswerfe, und dann versucht bin, sie nacheinander aus der Gesamtheit des Textes zu lösen, ohne am Stapel etwas zu verrücken.“ Das dritte ist das „ewige Heimkind in mir, das ich bleibe“. Aus dieser Melange von Lebens- und Schreiberfahrungen erwächst die Unverwechselbarkeit seiner Prosa: Authentizität durch konsequentes Heraufholen einer „wundervollen Karawanserei“, spröder Charme durch die Einnahme einer die Kindheitserfahrungen stets einschließenden Erzählposition.
Die unüberlesbare Disziplin, der sich Wawerzinek unterwirft, hat Kehrseiten. Auf seine Schreibbiografie fokussiert, vernachlässigt er, was er anderen Ortes kongenial bewerkstelligt hatte: die Zeichnung von Weggefährten und -gefährtinnen oder Widersachern.
Peter Geist
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