Peter Wawerzinek: Der Feuerwerker lässt es wieder krachen
Nach dem Sieg in Klagenfurt: Acht Hurras zum Comeback des Schriftstellers Peter Wawerzinek.
Wir alle lieben solche Geschichten, können gar nicht genug davon haben: Jemand verliert nach zähem Kampf, verschwindet von der Bildfläche, lässt Tränen und Trauer zurück, wird abgeschrieben („Gibt’s ihn überhaupt noch?“) – und dann, Überraschung, ist er wieder da, voller Energie, setzt alles auf eine Karte, platzt vor Vorfreude und gewinnt. Das gibt’s im Film, manchmal im Boxsport oder in der Politik, ganz selten in der Literatur. Deshalb ist der Erfolg von Peter Wawerzinek beim Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb Balsam nicht nur auf seine, sondern auf viele wunde Seelen. Im offenem Wettkampf hat da jemand gezeigt, dass man den Parcours der Literatur mit einem Husarenritt aufs Schönste durcheinander bringen kann. Wer aber ist dieser Kühne?
Peter, der Wanderdichter. Das war er früher. Zog durch Wohnungen, kam immer ohne Manuskript, hatte alles im Kopf und konnte zu jedem Anlass perfekt unpassende Worte finden, auf Wunsch auch gereimt, im klassischen oder modernen Stil, ganz nach Belieben. Wenn es ihm zu langweilig wurde, sang er mit heller Stimme frisch erfundene Texte und übertönte mit Leichtigkeit jedes konkurrierende Instrument, ob Trompete, Schalmei oder Klavier. Das machte manche Dichterkollegen misstrauisch oder eifersüchtig: Wie kann man denn die hohe Kunst einfach so aus dem Handgelenk auf den Küchentisch plumpsen lassen? Und machte ihn beliebt im unseriösen Fach: bei Schauspielerinnen, Gauklern, Straßenmusikanten und Suffköppen. Aber auch im westlichen Ausland, etwa im fernen Ravensburg: Da saßen sie mit offenem Mund, weil da ein Dichter aufstand und solo ein triumphales „La Paloma“ schmetterte, das sie Hans Albers für immer vergessen ließ.
Peter, der Star. War er nur kurz. Nach der Wende, man hatte sich an die kurz geschorenen Haare der Dissidentenschar aus Prenzlauer Berg gewöhnt, trat jemand auf mit rosaroter Sonnenbrille und lockigem Schopf, Typ Entertainer, manchmal geschminkt im Stil der Andy-Warhol-Porträts. Angeblich aus dem Osten. Glaubte aber keiner. Die echten Dissidenten runzelten die Stirn: „Keiner von uns!“ Und Peter W. schrieb Bücher mit provokanten Titeln: „Nix“ oder „Moppel Schappik“. Der „Spiegel“ liebte ihn damals.
Peter, der Zauberer. Das ist er immer. Er zaubert mit Worten, mit Sätzen, mit Pausen. Manchmal allerdings auch mit Launen. Er setzt die deutsche Sprache neu zusammen, schüttelt vertraute Wendungen durcheinander und montiert sie, nicht wiedererkennbar, zu einem eigenen Dialekt, zum Peter-Ton.
Peter, der Schmeichler. Nichts tut er lieber als das. Er streichelt, wenn er liest, seine Worte , so lange, bis ihm auch die widerspenstigsten Zuhörer verfallen sind. Einmal, bei einer Lesung in Waidmannslust, kurz vor Weihnachten, las er nur kurze Passagen über seine Heimkindzeit; die anwesenden Damen wussten gar nicht mehr wohin mit ihren Tränen, hätten ihm auf der Stelle die liebevollste Adoption angeboten, trösteten ihn nach der Lesung aber mit anderer Wohltätigkeit. Kauften pro Dame zwei Bücher und ließen sie mit wunderhübschen Zeichnungen (Peter W. ist ja von einzigem Beruf Zeichner) zur Zierde ihres Bücherschranks geraten. Manchmal geht es mit der Schmeichelei aber auch zu weit. Er bezirzte eine stolze Charlottenburger Buchhändlerin dermaßen, dass sich diese, als ich auf dem Weg zum nächsten Lokal die Überlänge der Lesung kritisierte, zu mir hochreckte und kommentarlos in meine Wange biss – ein Signal, dass Kritik an diesem wunderbaren Autor auf keinen Fall geduldet werde.
Peter, der Historiker. Das wird keiner glauben. Doch es stimmt, und ich sage es ohne Zittern : Neben Uwe Johnson gibt es keinen, der die Realität der DDR so witzig, weil detailgenau beschrieben hat. Wozu Tellkamp (respektable!) tausend Seiten braucht, erledigt Peter W. in zwei Absätzen, wenn zum Beispiel die Schweinezüchterin Oma Piesche am 1. Mai zur Kundgebung mit ihrem knatternden Moped, dem „Hühnerschreck“, auf den mecklenburgischen Dorfplatz fährt und dem Bürgermeister mitten in seiner feierlichen Ansprache ihre Meinung sagt: „Schau Bürgermeister. Mein Mobil und eure falschen Nelken – das passt sich gut zusammen. Für Frieden und Freundschaft!“
Peter, der Feuerwerker. Dass er mit Worten Feuerwerke entfachen kann, wird der Leser ahnen. Dass er auch praktisch gern als Feuerwerker tätig ist, erfuhren wir auf einer Leipziger Messe in den frühen neunziger Jahren, als er zu einer Lesung einen sehr eindrücklichen Kollegen, Harry Hass, mitbrachte, beide in Tüten kramten und auf einen Schlag etwa fünfzig echte chinesische Kracher entzündeten. Das Publikum vermutete den Beginn eines Bürgerkriegs, die Sicherheitskräfte einen heimtückischen Anschlag, die Sprinkleranlage einen Zimmerbrand: die Autoren wurden nach allen Regeln der Kunst gefilzt, die restlichen Kracher konfisziert, und beide konnten, ziemlich durchfeuchtet, aber glühend vor Stolz mit ihrem eigentlichen Auftritt beginnen.
Peter, der Schreckliche. Ja, auch den gibt’s. Wer Genaueres darüber erfahren möchte, wende sich bitte an das Bordpersonal und die Piloten der Lufthansa-Linie Friedrichshafen–Berlin. Der Passagier Peter W. zelebrierte eine dermaßen aufwändige Betreuung des gesamten Personals, dass sich dieses panisch im Cockpit einschloss und bis zur Landung nicht mehr zu erkennen gab.
Peter, der Eigentliche. Kennengelernt haben wir uns bei Tilo Köhler, der damals gerade an einer schönen Geschichte über die Stalinallee schrieb. Aber irgendwie kamen wir von dem etwas klamaukigen Thema ab und landeten an der Ostsee, er in Rerik, ich an der Flensburger Förde, und stellten fest, dass die Dorfgeschichten gar nicht so weit auseinanderlagen, die im Westen und die im Osten, probierten unser Plattdeutsch aus und beschlossen auf der Stelle, so eine Kindheit im Mecklenburgischen doch mal genauer zu beleuchten. Nach einigen Wochen kam eine Erzählung („Das Kind das ich war“), die so begann: „Meine Heimat ist Mecklenburg. Meine Vaterstadt Grimmen. Meine Muttersprache wohnt in der Gesichtsfarbe der wetterfesten Bauern. Von den Tieren im Wasser habe ich meine Fröhlichkeit. Ich bin ein großer Wolkengucker.“ Wer konnte da noch widerstehen?
Rainer Nitsche, 1945 in Swinemünde geboren, leitet zusammen mit seiner Frau Gudrun Fröba den Berliner Transit Verlag (www.transit-verlag.de).
Rainer Nitsche
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