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Das Leben ist ein Eiertanz. Szene aus „Skizze eines Sommers“.
© HL Böhme

„Skizze eines Sommers“ am Hans Otto Theater: Dekadent in der DDR

Ein Stück für Jugendliche und nostalgische Erwachsene. André Kubiczeks Roman „Skizze eines Sommers“ kommt in Potsdam auf die Bühne.

„Mensch, du siehst aus wie ein Leichengräber“, sagt der Vater zu René. Kein Wunder, der ist ja auch in der finalen Phase seiner Pubertät. Da ist diese Melancholie. Und da ist diese bohrende Frage, morgens vor dem Spiegel, ob es nun besser aussieht, wenn der Scheitel links liegt oder rechts. Im Potsdam des Jahres 1985 haben sich René und seine Freunde der französischen Décadence hingegeben, im größten denkbaren Kontrast zur real existierenden DDR-Tristesse. Sie gehen in schwarzen Anzügen zur Schule, lesen Baudelaire und hören dazu The Cure. Anders als ihre Altersgenossen aus dem Westen sind sie keine Null-Bock-Generation. Denn sie wissen wenigstens, was sie nicht tun: sich möglichst unbemerkt im System durchschummeln. Als offene optische Provokation hocken sie vor der Kaufhalle im Neubaugebiet am Stern.

2016 erst ist „Skizze eines Sommers“ erschienen, André Kubiczeks siebter Roman. Er spielt die traumhafte Vision von sieben Wochen sturmfreier Bude durch. So lange nämlich ist der Vater des gerade 16 gewordenen Halbwaisen René in Genf auf einer Friedenskonferenz. Also kontrolliert keiner, was er mit seiner Zeit anstellt. Und mit den 1000 Mark, die ihm der von Gewissensbissen geplagte Erziehungsberechtigte zum Abschied überreicht hat.

Drei Kumpels stehen ihm beim Dauerabhängen zur Seite, drei Mädchen wird René kennenlernen – um am Ende siegreich zu landen bei Victoria, seiner Traumfrau, die im Jugendclub Orion immer nur zu den richtigen Songs tanzt.

Quatschen, diskutieren, flirten

„Skizze eines Sommers“ ist der ideale Stoff für die Kooperation des Potsdamer Hans Otto Theaters mit den Schauspielstudierenden von der Filmuniversität Babelsberg. Die von Ausstatter Bernd Schneider entworfenen Achtzigerjahre- Klamotten tragen sie vielleicht nicht durchweg mit authentischer attitude, gefühlsmäßig aber stimmt alles ganz genau bei der Bühnenadaption des Buches, die Regisseur Niklas Ritter erarbeitet hat. Angenehm nah am literarischen Text bewegt sich die Szenenfolge, ganz ohne Videokamera-Nahaufnahmen, Gezappel und Geschrei.

Quatschen, diskutieren, flirten, viel mehr passiert nicht. Viel mehr muss auch nicht passieren, um diesen Sommer der emotionalen Aufbrüche für alle Beteiligten unvergesslich zu machen. Ein Laufsteg, eine Tanzfläche, jede Menge alkoholische Getränke vorn an der Rampe: Sie bechern, um ihre Unsicherheit zu überspielen, klammern sich an ihre Zigaretten, hocken in wechselnden Konstellationen am Bühnenrand, versuchen das Unmögliche, nämlich ein nicht vollkommen peinliches Gespräch hinzubekommen. Und im Bauch kribbelt es.

Erinnerung an die Achtziger

Für den Unterhaltungsfaktor des 110- Minüters ist es dabei durchaus förderlich, dass die angehenden Filmprofis offensiver auftreten als die Charaktere der Romanvorlage. Frederik F. Günthers René ist ein hellwacher Strubbelkopf, die verhuschten Bohèmeliteratur-Jünger Micha und Dirk werden bei Dominik Matuschek und Tom Böttcher zu ziemlich schrägen Vögeln. Zusammen mit dem Casanova- Typ Mario (Steven Sowah), der es weniger mit den „Blumen des Bösen“ hat als mit den Busen in Blusen, bilden sie ein cooles Quartett. Lässigkeit ist gefragt, wenn es darum geht, Connie (Clara Mariella Sonntag) und Bianca (Sarah Schulze Tenberge), die beiden Mädels aus der „Arbeiterklasse“, anzugraben. Künstlertochter Rebecca (Amina Merai) steht dagegen eher auf den intellektuellen Diskurs. Und bei Victoria (Lilly Menke) ist einfach alles perfekt. Mal abgesehen von ihrer kleinen Schwester vielleicht.

Ob diese szenische „Skizze eines Sommers“ Jugendlichen- oder Erwachsenentheater ist? Beides natürlich: Zuschauern, die noch in der Selbstfindungsphase stecken, bieten sich hier jede Menge Identifikationsmöglichkeiten. Wer dagegen in den Achtzigern ein Teenager war, wird gerne dem nachgeben, was übrigens auch beim Autor André Kubiczek den Schreibimpuls ausgelöst hat, wie er im Vorfeld freimütig zugab: „Ich wollte mich noch mal jung fühlen.“

Wieder am 16. und 30. Dezember sowie am 6. und 25. Januar.

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