zum Hauptinhalt
Forscher in eigener Sache. André Kubiczek, 1969 in Potsdam geboren, in seiner Wohnung in Prenzlauer Berg. Foto: Georg Moritz
© Georg Moritz

André Kubiczek im Porträt: Kurzer Bericht über die Liebe

Moskau, Laos, Prenzlauer Berg: André Kubiczek hat mit dem Roman "Der Genosse, die Prinzessin und ihr lieber Herr Sohn" seine Familiengeschichte aufgeschrieben. Ein Besuch bei dem Berliner Schriftsteller.

Als André Kubiczek 2007 zusammen mit seinem Vater nach Laos fliegt, weiß er von dem kleinen Land in Südostasien fast nichts. Es ist das erste Mal, dass er die Heimat seiner Mutter besucht. Seit ihrem Krebstod 1986 in einem Ost-Berliner Krankenhaus hat er sich nicht mit seiner Herkunft auseinandergesetzt. Auch vorher konnte davon keine Rede sein. Da war er zu jung – und da lebte er mit seinen Eltern und seinem ein Jahr älteren Bruder ein durchschnittliches DDR-Familienleben in einer Potsdamer Neubausiedlung. Fragt man ihn heute danach, ob seine Familie nicht doch aufgefallen ist, sagt er: „Die Leute waren neugierig, aber das war nie böse oder aggressiv.“

Auch als seine Mutter pflegebedürftig wird, sie sich noch einmal ein halbes Jahr in Laos aufhält, hat er andere Sorgen: „Ich dachte nicht oft an sie in dieser Zeit. Ich musste für die Klausuren zum Abitur lernen und später für die mündlichen Prüfungen. Ich spielte mit Michael in unserer Band, ich lernte Katharina kennen.“

So steht es zu Beginn in Kubiczeks neuem Roman „Der Genosse, die Prinzessin und ihr lieber Herr Sohn“. Der 1969 in Potsdam geborene Autor erzählt darin, wie sein aus einer Harzer Industriestadt stammender Vater und seine Mutter, die Tochter des laotischen Außenministers, sich in den 60er Jahren während des Studiums in Moskau kennenlernen – und wie er sich auf den Weg nach Vientane macht. Bei der Ankunft fallen ihm die feuchte Hitze und die Dunkelheit auf. Und der Geruch, der ihm bekannt vorkommt, „der mit der Kindheit zu tun hatte“.

In André Kubiczeks Wohnung in der Dunckerstraße in Prenzlauer Berg deutet wenig auf einen laotischen Hintergrund hin. Eine Wand seines Wohn- und Arbeitszimmers ist tapeziert mit Kinderzeichnungen, sie stammen von seiner achtjährigen Tochter. An einer anderen hängt ein Andreas-Gursky-Plakat, darunter steht eine große Vinylplattensammlung. Erst auf den zweiten Blick fällt in einem der Bücherregale eine Reihe mit Büchern über Laos auf. „Ich habe ein Jahr recherchiert und war drei Wochen in Laos. Das Manuskript, das ich beim Verlag abgegeben habe, hatte fast 800 Seiten. Da ist viel rausgefallen, unter anderem lange Passagen über den Indochina-Konflikt und die politische Situation von Laos. Für den Roman waren die vielleicht wirklich nicht nötig.“

Kubiczek lag es fern, seine Familiengeschichte zum Thema eines Romans zu machen. Er mag einerseits nicht so viel von sich „preisgeben“, wie er sagt. Was man bei dieser Begegnung spürt. Andererseits hat er nie daran gedacht, dass das jemand interessieren könnte. Was erstaunlich und sympathisch ist in einer Zeit, in der viele halbwegs Prominente aus der ehemaligen DDR, aber auch viele jüngere Schriftsteller glauben, eine vermeintlich außergewöhnliche, erzählenswerte Familiengeschichte veröffentlichen zu müssen.

Seine Agentin war es, die ihn zu diesem eher autobiografischen Roman riet. Zur gleichen Zeit wollte sein Vater noch einmal die Familie seiner ersten Frau sehen und fragte den Sohn, ob er ihn begleite. „Ich habe gemerkt, dass mein familiärer Hintergrund mir nicht so egal ist, wie ich mir das eingeredet hatte. Es geht einen schon emotional an, wenn man nach 35 Jahren seine Großmutter wiedersieht, die Cousins, Cousinen, überhaupt diese immer größer werdende Familie.“

André Kubiczek gibt zu, viel ausgeblendet zu haben – anders als sein Vater, der immer Kontakt nach Laos hielt. Erst jetzt, anlässlich des Buchs, hat er ihn genauer ausgefragt zu der Moskauer Zeit, zu seiner Beziehung zu Tèo, wie Kubiczeks Mutter genannt wurde. „Ein kurzer Bericht über die Liebe“ heißt das Romankapitel, in dem der mit einem Aufnahmegerät ausgerüstete Ich-Erzähler vor dem Treffen mit dem Vater konstatiert: „Es war wenig verwunderlich, aber ausgerechnet in der Silvesternacht war mir klar geworden, dass auch er bald sterben könnte und ich dann der Allerletzte wäre von jener kleinen Gruppe, die ich mir als Kind immer vorgestellt hatte, wenn ich an das Wort Familie dachte: die beiden Großeltern aus dem Harzrandstädtchen, der Vater, die Mutter, der Bruder und ich. Der Gedanke hatte mich in eine ungewohnte Panik versetzt.“

Es ist nicht ganz leicht, sich mit Kubiczek über seine Familie zu unterhalten. Das autobiografische Romangerüst ist das eine: Kubiczek bemüht sich, Auskunft zu geben. Trotzdem ist er sich der Privatheit des Ganzen stets bewusst, hat man den Eindruck, dass er nicht allzu viel an sich heranlassen oder an mögliche alte Wunden rühren möchte.

Sein Roman spricht eine deutlichere Sprache. Viel Wut steckt darin, Trauerarbeit, auch eine gewisse Grundtraurigkeit. Schließlich musste Kubiczek auch den Tod des Bruders verkraften, der an den Folgen eines Fahrradunfalls starb. „Scheiße“, heißt es einmal im Roman, „er ist ein verdammtes Ausschussmodell mit seinen paar Lebensjahren, er geht dauernd kaputt wie irgendein beschissener Fernseher, den jede Woche ein Mechaniker inspizieren kommt und der trotzdem nie richtig funktioniert.“ Tatsächlich ist „Der Genosse, die Prinzessin und ihr lieber Herr Sohn“ nicht nur ein Familien-, sondern auch ein Erziehungsroman. Die Geschichte der Eltern bildet nur den einen Teil: Aufzeichnungen der Mutter aus dem Krankenhaus, das lange Gespräch mit dem Vater, die Laos-Passagen am Anfang und am Ende. Der andere Teil besteht aus den Leiden und dem Heranwachsen des jungen „Kubi“, wie er später von Freunden genannt wird. Er erzählt von seiner Zeit bei der NVA, erinnert sich an die Großeltern und wie er sich in Berlin nach der Wende durchschlägt.

Man erkennt hier in der Themenwahl den Autor von Romanen wie „Junge Talente“ (2002), „Die Guten und die Bösen“ (2003) und „Oben leuchten die Sterne“ (2006). Mit ihnen erschrieb sich Kubiczek einen ausgezeichneten Ruf in der Literaturszene. Sein neuer Roman ist sein wildester, verschlungenster, stilistisch abwechslungsreichster, bis hin zu einem Gedichtteil: „Die Gedichte sind schon älter. Ich schreibe keine mehr, wollte die aber mal alle veröffentlicht haben.“

Dass das geklappt hat, darüber freut er sich offenkundig. Auch über weitere Projekte gibt er freimütig Auskunft, über eine Idylle á la „Schloss Gripsholm“, die er einmal schreiben will zum Beispiel. Oder dass er eine Passage, die dem Rotstift seines Lektors zum Opfer fiel, zu einem Buch ausbauen will über die Zeit kurz nach dem Mauerfall 1989/90. Fragt man ihn jedoch abermals nach den Lehren aus der Familiengeschichte, nach Auswirkungen, wird Kubiczek erneut einsilbig: „Das ist abgeschlossen. Ich drifte wieder in mein altes Leben.“ Dennoch fügt er an, dass Laos vielleicht eine Alternative ist. „Wenn mir hier alles zum Hals raushängt, könnte ich dahin gehen.“

André Kubiczek: Der Genosse, die Prinzessin und ihr lieber Herr Sohn“ Roman. Piper Verlag, München 2012. 480 Seiten, 22,99 €. Der Autor liest am 6. Juni um 20 Uhr in der Staatsgalerie Prenzlauer Berg, Greifswalder Straße 218.

Zur Startseite