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Reste der Residentur der deutschen Tschadseeländer in Kamerun.
©  Andréas Lang

Deutscher Kolonialismus im DHM: Das Phantom des Uropas

Der Fotograf Andréas Lang machte sich in Kamerun auf die Suche nach Spuren der deutschen Kolonialherrschaft. Das Deutsche Historische Museum zeigt die Ergebnisse in einer Ausstellung.

Eine Ansammlung von Hütten mit steilen Dächern, notdürftig geschützt durch eine Hecke aus Gestrüpp und Ästen, im Vordergrund nur noch Baumstümpfe – wahrscheinlich brauchte man ein sauberes Schussfeld. Über dieser Szenerie flattert stolz am Fahnenmast die kaiserliche Flagge. „Nguko – Neu-Kamerun“, schreibt dazu Reinhold Koblich unter das Foto im Album. Neu-Kamerun oder Deutsch-Kongo hieß seit 1911 eine Gebietserweiterung der deutschen Kolonie Kamerun im Osten und Süden, auf die sich Frankreich und das Deutsche Reich 1911/12 im Marokko-Kamerun-Vertrag geeinigt hatten, um einen Ausgleich für den französischen Einfluss in Marokko zu schaffen.

Das Album mit den Fotos der deutschfranzösischen Grenzmarkierungsexpedition 1911/12 fand der Fotograf Andréas Lang auf dem Dachboden seiner Mutter, dazu Briefe und ein Tagebuch. Reinhold Koblich war sein Urgroßvater. Als Soldat gehörte er von 1909 bis 1914 zu den kaiserlichen Schutztruppen, unter anderem unter Gouvernementsadjutant Jesco von Puttkamer. Sie nahmen gewaltige Urwaldgebiete in Besitz – und bekämpften Widerstand mit aller militärischen Härte. Koblich stellte das Kolonialsystem nicht in Frage, aber aus seinen Schriften geht hervor, dass er um Gerechtigkeit und menschliches Handeln bemüht war.

Fotografien von verstörender und betörender Schönheit

Lang war fasziniert vom Dachbodenfund, er hat die Dokumente studiert und sich aufgemacht in den Norden Kameruns und die angrenzenden Staaten, um auf den Spuren seines Urgroßvaters Reste des deutschen Kolonialismus aufzuspüren. Nach einer zweiten Reise 2016 und einem Artists-in-Residence-Stipendium auf dem Dach des Auswärtigen Amtes in Berlin, das ihm auch Zugang zum Politischen Archiv verschaffte, ist das Ergebnis seiner künstlerischen und historischen Spurensuche in der Ausstellung „Kamerun und Kongo. Eine Spurensuche und Phantomgeographie“ im Deutschen Historischen Museum zu sehen.

Langs analoge Fotos sind von verstörender und betörender Schönheit, sie zeigen das ehemals deutsche Fort von Doume, dessen alte Backsteinmauern mit den verrosteten Wellblechdächern und Satellitenschüsseln unserer Tage kontrastieren. Sie zeigen Landschaften wie von Caspar David Friedrich, in deren nebeliger oder staubiger Monumentalität verloren zwei Dorfbewohner laufen. Sie zeigen Mauerreste von Gebäuden, die sich der tropische Regenwald zurückgeholt hat, und sie zeigen eine „Koloniale Landschaft“, deutsche Häuser und Palmen, als wäre in 100 Jahren nichts geschehen. Ein steinernes Grab mit Kreuz im Hinterhof eines Hauses, ein verlassenes Farmerhaus inmitten halb vertrockneter Vegetation – unheimlich, gespenstisch, verstörend. Die Kameruner gehen selbstverständlich mit diesem Erbe um, nutzen, was zu nutzen ist, und lassen liegen, wofür sie keine Verwendung haben, wie das Haus mit Turmruine an einem Fluss, das zwischen Neubauten und Anbauflächen verloren wirkt.

Videocollage zeigt Absurdität der deutschen Unternehmung

Eingestreut in die epischen, meist großformatigen Bilder sind immer wieder historische Aufnahmen des Urgroßvaters oder des Schutztruppenoffiziers Jesco von Puttkamer. Eine großartige Videocollage kombiniert historische Aufnahmen zu einem Kaleidoskop des Kolonialismus, das gleichzeitig die Absurdität der deutschen Unternehmung entlarvt. Man fragt sich: Wozu das alles?

Anrührend ein Videointerview mit dem Schauspieler und Regisseur Gérard Essomba. Dessen Großvater Many Ewondo war von den Deutschen unter dem berüchtigten Offizier Hans Dominik aufgehängt worden, doch der Kameruner hegt keine Rachegefühle. Unbehagen auch angesichts des Videos über eine deutsche Hängebrücke im Urwald mit neogotischem Pylon, über die plötzlich ein Tropengewitter herniederprasselt. Lang geht mit distanziertem Blick durch Kamerun, sucht Spuren und Kontakte, verortet die „Phantomgeographie“, wie er die Gebiete nennt, die der französische Botschafter 1911 auf einer Kongo-Karte blau schraffiert hatte – Neu-Kamerun. Und dennoch kann auch Lang sich, genauso wie der Ausstellungsbesucher, dem Reiz des Exotischen nicht entziehen.

Deutsches Historisches Museum, bis 26. Februar, täglich 10–18 Uhr. Die Alfred Erhardt Stiftung zeigt bis zum 23. Dezember unter dem Titel „Das erstaunte Schweigen“ Landschaftsfotos von Andréas Lang aus Deutschland. Di, Mi und Fr–So 11–18, Do 11 – 21 Uhr.

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