Slobodan Šnajder neuer Roman: Das Licht der Väter und die Finsternis
Der kroatische Theatergigant Slobodan Šnajder erzählt in „Die Reparatur der Welt“ eine Geschichte der Donauschwaben.
Wem sollte das gelingen: „Die Reparatur der Welt“? Jenem Gott, der sie erschaffen hat? Oder einer „neuen“, durch und durch gutwilligen Menschheit? Ein Roman mit einem so grundsätzlichen Titel verspricht tief zu graben, zumal die Handlung vom Teufel in Gang gesetzt wird. Ein metaphysischer Bogen überspannt die Erzählung, selten sichtbar, da der liebe Gott sich verbirgt und weit und breit kaum ein Licht leuchtet.
In solcher Finsternis zündet der Autor Slobodan Šnajder sein Lämpchen an. Er wurde berühmt als Dramatiker. „Der kroatische Faust“ wurde an vielen Theatern gespielt. Nun hat er die Lebensgeschichte eines Mannes namens Georg Kempf aufgeschrieben, auch die von Georgs Frau Vera und, in Andeutungen, die des Sohnes. Das klingt nach Familienroman, doch erzählt wird der Zweite Weltkrieg, der Šnajder, 1948 geboren, lebenslang beschäftigte. Sein Vater jedoch könnte erlebt haben, was Georg Kempf durchmacht, und genau das soll der Leser annehmen.
Fetzen und Flicken eines undurchschauten Gewebes
Georg Kempf stammt aus einer „volksdeutschen“ Familie. Um der Hungersnot in Schwaben zu entgehen, kamen seine Vorfahren auf Geheiß Maria Theresias in das fruchtbare Land um Vukovar an der Donau. Die Reise dieser „Urväter“ den Strom hinab, ihre ersten Erfahrungen mit Kroaten, Türken und Juden, die Ankunft sehnsüchtig erwarteter, heiratswilliger junger Mädchen schildert der erste Teil des Romans auf einem halben Hundert Seiten. Der zweite beginnt mit Georgs Geburt 1919.
Inzwischen gehört die Familie Kempf zum wohlhabenden Bürgertum. Als die Deutschen in das verbündete Kroatien einrücken, wird Georg wie die meisten Donauschwaben 1943 als „Zwangsfreiwilliger“ von der Waffen-SS rekrutiert, seine Division nach Polen geschickt. Doch Georg hat keinerlei Beziehung zum „Reich“, fühlt sich weder als Deutscher noch als Kroate und will vor allem nicht töten. Er „möchte unschuldig sein wie das Sein selbst. Aber ist das möglich? Muss man nicht doch einige Pflichten übernehmen? Das Sein ist nicht unschuldig…“ Nach einer Verwundung desertiert er in die polnischen Wälder, wo er die beiden endlos zerdehnten Jahre bis zum Kriegsende zu überleben versucht. Wie kann seine Geschichte von heute aus erzählt werden? Macht sie die Distanz deutlich und geht uns trotzdem nah?
Für den Autor Šnajder ist die Nähe nicht nur gegeben, sondern drängend. Auf über 500 Seiten reiht er die Fetzen und Flicken eines undurchschauten Gewebes aneinander, in dem die Lebensfädchen der Einzelnen heillos feststecken. So viele Grausamkeiten, Gefahren, Tode, so viele Personen, die auftreten und wieder verschwinden, so viel Entsetzliches, Menschliches und Unmenschliches. Die Schauplätze wechseln, die militärischen Fronten bewegen sich vorwärts und wieder zurück. Ohne Orientierungshilfen, vom Hunger getrieben, irrt Georg durch eine mitleidlose Natur. Er trifft Verzweifelte, die zu allem bereit sind, um ihre Haut zu retten, aber auch Helfer.
Metaphysik ex negativo
Die Richtung lautet: Abwärts, in immer tiefere Schrecken, bis er und mit ihm der Leser den Kern erreicht. In drei zentralen Kapiteln wird das Bibelzitat von der ehernen Schlange, das dem Roman vorangestellt ist, erläutert, wird Treblinka als Ahnung sichtbar und nicht nur die Reparatur der Welt, sondern ihre von Gott gewollte moralische Ordnung diskutiert. Denn für wenige Tage hat Georg einen Schicksalsgenossen gefunden, den frommen Juden Leon Mordechai, der ihm eine geheime Hoffnung erklärt.
Zwar sei die jetzige Welt die allerschlimmste, aber irgendwann, in ferner Zukunft, finde das in Millionen Funken zerstobene göttliche Licht wieder zusammen und erleuchte einen alle und alles umschließenden Kosmos. Das ist tikkum olum, die Reparatur der Welt und der Trost der Gläubigen. „Wenn dich keine jüdische Mutter geboren hat, kannst du dennoch Jude werden“, bietet er Georg an. Der antwortet: „Ich will nichts sein.“ Wenig später heißt es: „Er wäre am liebsten ein unsichtbarer Mensch.“
Das ist Metaphysik ex negativo und trotzdem ein Pfad durch das Dickicht des Bösen. Als Georg desertiert, lässt er sein Gewehr zurück. Ein Entschluss, der weder Theorie noch einem göttlichen Gebot entspringt, sondern der Erfahrung, dass er nicht töten kann. Und tatsächlich: In einem Meer von Gewalt erreicht Georg festes Land. Seine Heimkehr offenbart ihm allerdings, dass die Zeit der Ideologien, der Denunziationen und Lager noch längst nicht beendet ist. Jugoslawien wird sozialistisch, dem KZ folgt der Gulag.
Realismus mit fantastischen und lyrischen Elementen
Nüchtern, aber auch voller Schmerz schaut der Roman auf Krieg und Nachkriegszeit, auf den Alltag und menschliche Beziehungen. Er wirkt wie die Abtragung einer Dankesschuld an den Vater, wie ein Stück Befreiung des schreibenden Sohnes, unter psychischem Druck verfasst, eilig und unsentimental. Nicht alle Szenen überzeugen. Für Šnajder steht nicht die schriftstellerische Brillanz im Mittelpunkt, sondern die Genauigkeit des Blicks. Der Erzähler will den Figuren gerecht werden, deren Perspektive er einnimmt. Er will nicht belehren, sondern differenzieren, wie es wohl erst im zeitlichen Abstand gelingt.
Nach knapp hundert Seiten erscheint ein zweiter Erzähler, der in optisch abgesetzten Kommentaren Wissen und Entschiedenheit offenbart. Er gibt sich als Georgs noch ungeborener Sohn zu erkennen, ein Trick, um die Fesseln der realistischen Darstellung zu lockern. Der Roman nutzt fantastische und lyrische Elemente, um sein Spektrum zu erweitern, das ist legitim, wenn es glückt. Der Mensch im Chaos und Grauen des Krieges lebt von Tag zu Tag, von einer Angst und Sorge zur nächsten. Šnajders eindrucksvoller, humaner Roman verkündet keine Botschaft, er richtet ein durchdringendes Auge auf eine irreparabel erscheinende Welt.
Slobodan Šnajder: Die Reparatur der Welt. Roman. Aus dem Kroatischen von Mirjana und Klaus Wittmann. Zsolnay Verlag, Wien 2019. 536 Seiten, 26 €.
Gisela Trahms
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