Berlins Künstlerseelsorger im Porträt: Das Kreuz mit der Kunst
Jesuitenpater, Lyriker und Künstlerseelsorger des Erzbistums Berlin: Georg Maria Roers bewegt sich zwischen zwei Welten, die nur auf den ersten Blick nicht zusammenzupassen scheinen.
Es gibt katholische Priester, und es gibt Georg Maria Roers: Jesuit, Lyriker, Künstlerseelsorger des Erzbistums Berlin. Sonntagabends lädt er zum Gottesdienst in die Kapelle St. Thomas von Aquin in der Katholischen Akademie in Mitte. Hier ist möglich, was woanders nicht geht: dass sich im Sommer ein Weihnachtslied in die Liturgie schleicht, dass die Gäste mit der „Valse d’Amelie“ im Ohr zur Kommunion gehen oder dass Roers Gedichte von Tomas Tranströmer liest. Sie handeln von der Unendlichkeit des Meeres und der Erinnerung. Man soll sich aufmachen ins Weite, predigt er später, sich bereichern lassen von den „Charismen“ anderer Menschen, „damit wir nicht verrückt werden in den eigenen vier Wänden“.
Roers kennt die Sorgen vieler Künstler. Er weiß um die Selbstisolation und Einsamkeit, in der viele vor sich hin werkeln: manchmal aus Weltverdruss, oft aus Furcht vor Verletzung, die sich leicht einhandelt, wer sich mit dem, was er selbst geschaffen hat, der Öffentlichkeit aussetzt. „Wir bitten für alle, die grenzenlos leben wollen, dass sie sich nicht verlieren“, spricht er in der Fürbitte. Gut 30 Leute sind an diesem Abend in die Kapelle gekommen, aus der ganzen Stadt, junge und nicht mehr so junge. „Gut, dass es so eine Künstlergemeinde gibt“, sagt eine Regisseurin. „Es ist wichtig, einen Raum zu haben, in dem man sich austauschen kann.“ Nach der Messe gehen einige mit dem Pater einen Wein trinken.
Am Pater wird geschätzt, dass er in der Kunstszene eine neutrale Person ist
„Man ist als Künstler viel auf sich selbst zurückgeworfen. Keine Institution ist dazwischen geschaltet wie bei anderen Berufen“, sagt die Schriftstellerin Christiane Neudecker ein paar Tage später. „Da ist es wichtig, jemanden zu haben, der eine Art Geländer bieten kann.“ Roers schreibe selbst Gedichte, er kenne die „Abgründe, in die einen das stürzen kann“. Der Maler Christopher Winter schätzt an dem Jesuitenpater, dass er in der Kunstszene eine neutrale Person ist, weder Galerist noch Sammler, und andere Sichtweisen einbringt.
In einem Gedicht von Roers erzählen „schräge Linien, was uns widerfahren wird“. Roers hat ein Gespür für Brüche und schräge Linien, für Widersprüche und Mehrdeutigkeiten. Die interessieren ihn als Künstler und als Theologen. „Ein Augenaufschlag soll mich aus der Bahn werfen“, heißt es in einem anderen Gedicht. Der iranisch-deutsche Dichter SAID kommentiert im Nachwort zu Roers’ Band „Bildrauschen“ von 2008: „Pater Roers wartet förmlich darauf, aus der Bahn geworfen zu werden; längst hat ihn die Poesie infiziert“.
Pater Roers’ Schreibtisch steht in der Galerie „Kunstbüro Berlin“ in der Uhlandstraße: Flügeltüren, stuckbekränzte Altbauräume. Unter Roers’ schwarzen Schuhen knarzt Parkett. Er hat den Priesterkragen zu Hause gelassen und trägt ein schwarzes T-Shirt. Die graumelierten Bartstoppeln des 50-Jährigen passen perfekt zur lässigen Leinenhose. An den Wänden hängt Malerei der Gruppenausstellung „Sommer jetzt oder nie“. Auf einer Stele steht eine Box. Pater Roers öffnet sie und holt Bilder heraus, die nachgebaute Behausungen von Obdachlosen zeigen. Es ist eine Installation von Sara F. Levin. „Die habe ich hier reingebracht“, sagt Roers. Er ist mit Sara F. Levin und der Galeristin Ruth Martius seit Langem befreundet. Schade, dass er bald in ein Büro des Bistums umziehen muss.
Georg Maria Roers ist am Niederrhein aufgewachsen. Sein Lehrer auf dem katholischen Internat Gaesdonck war der Künstler und Kunstsammler Franz Joseph van der Grinten, ein Freund von Joseph Beuys. Ein anderer Lehrer begeisterte ihn im Leistungskurs Theologie für Ignatius von Loyola, den Begründer des Jesuitenordens. „Sich aus der Welt zurückziehen, in einen Dialog mit Gott treten, das Leben Jesu nehmen und das eigene Leben danebenlegen“, das habe ihn fasziniert. Nach dem Abitur tritt er in den Orden ein und studiert Theologie, Philosophie, Kunstwissenschaft. Seine Abschlussarbeit schreibt er über die „Ästhetik des Heiligen“. Bevor er 2013 nach Berlin kommt, arbeitet er zehn Jahre als Künstlerseelsorger in München.
Über seinem Schreibtisch hängt das Werk „Untiefe“ von Norvin Leineweber, mit dem er zur Schule gegangen ist. „Sehen Sie das spektakuläre Licht auf dem Bild!“, ruft Roers. Die Sonne hat sich langsam übers Fenster vorgetastet und beleuchtet das Relief von unten. Was eben noch an auslaufende Wellen am Meeresstrand erinnerte, sieht jetzt aus wie Bergkuppen. „Wie Alpenglühen“, sagt Roers. Er ist begeistert. So hat er das noch nie gesehen.
Das Thema Gott müssen die Künstler von sich aus ansprechen
Er tauscht sich mit Malern aus, besucht sie in ihren Ateliers, spricht über Wahrnehmungen, Assoziationen, Farben. „Man kann sich an Kunst herantasten wie an Religion“, sagt Roers und zieht einen Katalog nach dem anderen aus dem Regal. Sie zeigen Ausstellungen, die er mit organisiert hat, von Künstlern, deren Werke er in Kirchen hineinholen will. „Es ist wichtig, dass man sich einlässt. Wer das tut, wird daraus Gewinn ziehen, aus der Kunst wie aus der Religion.“ Er geht zu Vernissagen und Theaterpremieren und trifft Schriftsteller bei Lesungen.
Wenn er einen Nachmittag in einem Atelier verbringt, erfährt er auch viel von Problemen mit Galeristen und großer Geldnot. 12000 bildende Künstler leben in Berlin und viele am Existenzminimum, Schriftsteller hangeln sich von einem Stipendium zum nächsten. Die Wertschätzung für Kunst sei zurückgegangen, sagt Roers. Die Sammlergeneration der 60er, 70er und 80er Jahre habe Kunst gekauft, weil sie sich für Kunst interessiert habe. Heute gehe es um Geldanlagen. Tolle Kunst liege in Safes.
Mit Gott kommt er den Malern, Schriftstellern, Schauspielern und Regisseuren nur dann, wenn sie das Thema ansprechen. Er möchte nichts aufdrängen.
Früher waren Bischöfe und Päpste große Mäzene. Heute ist es mit dem Kunstverständnis von Kirchenleuten oft nicht weit her. „Wissen Sie, wie die Jesuiten mit Kunst umgehen?“, fragt Roers – und erzählt eine Anekdote aus Dublin. In der Kommunität hing ein Caravaggio im Speisesaal. Jeden Tag wurde das Gemälde mit dem Suppenwagen angerempelt. Erst 1993 entdeckte man, was für ein Schatz da hängt. Heute ist die „Gefangennahme Christi“ in der Nationalgalerie in Dublin zu sehen.
"Reduzieren" ist sein Lieblingswort
Für Pater Roers ist Banausentum ein Zeichen von Geistlosigkeit und fast eine Sünde: „Die Künstler bringen das Schöpferische in die Gesellschaft ein. Das ist eine Tugend des Heiligen Geistes!“ Außerdem habe Jesus in Bildern und Zeichen gesprochen. „Das müssen wir auch“, sagt Roers – und zwar auf der Höhe der Zeit. Provinzialität ist ihm ein Graus, ebenso die weit verbreitete Haltung in der Kirche, Kunst am Lebenswandel des Künstlers zu messen. Ob ein Trunkenbold und Herumtreiber wie Caravaggio heute in einer Kirche ausstellen dürfte? Roers ist sich nicht sicher. Behutsam versucht er, Pfarrer und Kirchengemeinden für zeitgenössische Kunst zu öffnen. Gerne würde er viele Kirchen entrümpeln. „Reduzieren“ ist sein Lieblingswort.
Dass Kunst eine Zumutung sein kann, erlebt er auch an sich selbst. Es ist schon spät, aber ein Bild muss er noch zeigen: eine übermalte Kreuzigungsszene. Den Gekreuzigten sieht man nur noch schemenhaft, und oben, wo sonst INRI steht („Jesus von Nazareth, König der Juden“), hat der Maler „Rien de la Croix“ geschrieben. Roers erklärt, was er sieht: Die Tradition ist ausgelöscht, „Rien de la Croix“ erinnert ihn an das „Nichts geht mehr“ im Spielcasino. Da werde einem gesagt, alles ist sinnlos, egal, was du tust. „Das stellt mein ganzes Leben infrage.“ Das Bild hat Beklemmungen in ihm ausgelöst. Es war ein beglückender Moment.
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