Prince, Bowie, Lemmy: Das Jahr, in dem die Musik stirbt
So viele tote Stars. Ist das ein Zufall oder einfach nur zwangsläufig nach 50 Jahren Popgeschichte?
Den Tod kann man nicht kommentieren. Warum er den einen Menschen früher ereilt als den anderen, ist zum Leidwesen aller allein seine Sache. Und auch, dass er beliebt, sich, einmal in Fahrt gekommen, einen nach dem anderen zu holen, kann man nur folgenlos beklagen. Das Gefühl trügt nicht, dass es in diesem Jahr besonders traurig zugeht. Die Liste der berühmten Toten wird jede Woche um einen legendären Namen länger. Da war der schnelle Abgang Lemmys kurz vor Jahresbeginn, der einfach umkippte an der Münzmaschine seines Stammlokals, die man zu ihm nach Hause hatte schaffen lassen. Die Krebsdiagnose war ein paar Tage alt. Mit einem solchen Tod hätte man sich angesichts des Lebensstil des trinkfreudigen Godfathers of Heavy Metal noch klaglos abgefunden. Doch es folgten David Bowie, der an ebenfalls Krebs erkrankt war, der Schauspieler Alan Rickman, Glen Frey von den Eagles, die für Deutschland bedeutsamen Roger Willemsen und Roger Cicero – und jetzt Prince.
Dass es vor allem Popstars sind, die derzeit das Gefühl des Verlusts prägen, hat weniger mit der statistischen Häufung von Todesfällen im Jahr 2016 zu tun als damit, dass der Tod, das endgültige Ende, etwas für die Popkultur Widernatürliches ist. Sie ist in ihrer Struktur auf Wiederholung angelegt. Besonders die Musikindustrie bringt in ihrer Fixierung auf das Neue einen Heldentypus hervor, der seine Botschaften durch penetrante Wiederholung in die Köpfe der Menschen senkt und der, um nicht vergessen und von Newcomern verdrängt zu werden, ständig neue Songs und Alben veröffentlicht. Und ebbt seine Kreativität einmal ab und verschwindet er für eine Weile, zelebriert man sein nächstes Werk als Comeback, als Wiederkehr. Dass ein Popmusiker einmal nicht mehr für Nachschub an Neuigkeiten sorgen würde, und seien es Gerüchte über sein Sexleben, ist in dieser Welt der kollektiven Identifikation mit seinen Stars ein Schock.
Wer durch Popmusik sozialisiert worden ist, und das gilt für alle Generationen, seit Elvis die Dreistigkeit besaß, als weißer Lkw-Fahrer den Blues-Song „That’s All Right Mama“ zu singen, empfindet nach dem Muster einer endlosen Fortsetzung. Denn Pophits sind keine einmaligen Geschenke. Sie werden Teil von einem, indem sie mit Lebensabschnitten so fest verbunden sind wie die Erinnerung an diese selbst. Deshalb drückt ein Kulturstaatssekretär seine Trauer über Prince’ plötzlichen Tod mit der Bemerkung aus, dass er sich zu dessen Musik in seine Frau verliebt habe.
Einen Popstar zu betrauern, bedeutet, dass eine Brücke aus der eigenen Vergangenheit abgebrochen ist. Es ist so, als würde man des Zugangs beraubt, den man in die eigene verklärte Jugend hat. Für Prince mag das umso mehr gelten, da seine Karriere mit der Erfindung des Wortes Superstar einhergeht. Er, Michael Jackson und Madonna bildeten in den Achtzigerjahren das Dreigestirn einer Pop-Ära, die aus dem Feuer einer Kernschmelze hervorging. Vielleicht zum letzten Mal gelang es, die wilde, ursprüngliche Eleganz des schwarzen Soul und R ’n’ B mit der weißen Rockmusik zu verbinden. Miles Davis erkannte das früh und bezeichnete Prince einmal als Mischung aus James Brown, Jimi Hendrix, Marvin Gaye und Charlie Chaplin. „Wie soll man dem widerstehen?“, fragte der Jazztrompeter.
Tatsächlich war Prince ein brillanter Musiker, eine Ausnahmeerscheinung an technischem Können, verehrt vor allem von solchen, die von Traditionsbögen zehren. In seinen Liedern schien die gesamte Bandbreite schwarzer Musik auf und schwappte in Heavy-Metal-Riffs wie Wellen in einen Quallenschwarm. Neben der Musik selbst verhalf ihm eine gewaltige Marketingmaschinerie zu globaler Ausstrahlung. Die Musikindustrie hatte begonnen, Lifestyle zu verkaufen.
Nur Madonna konnte sich halbwegs unbeschadet vor den Folgen dieser Überhöhung und Verdrehung retten. Als Michael Jackson 2009 mit 50 Jahren an seiner Medikamentenabhängigkeit starb, blickte man bestürzt auf ein von seinen Wurzeln abgeschnittenes Leben. Prince reagierte auf seine Weise nicht weniger verhängnisvoll auf den Ruhm. Sein von jeher ohnehin stark ausgeprägtes diktatorisches Wesen, das ihn seine Platten praktisch im Alleingang hatte aufnehmen lassen, wandelte sich in Größenwahn.
Mit Schaudern erinnert man sich der Tiraden gegen die Plattenbosse, die Prince, der seine Schulden nicht mehr in den Griff bekam, dafür scholt, ihm seine künstlerische Freiheit nehmen zu wollen. Dabei war er es gewesen, der sich zum Vizepräsidenten des Plattenmultis hatte machen lassen, obwohl er sich nie um ökonomische Belange gekümmert hatte. Als er den Markt mit immer mehr eigenen Songs in immer kürzeren Abständen überschwemmen wollte, forderte er die Machtprobe – und unterlag.
Es folgten beschämende Auftritte eines Mannes, der sich als unverstandenes Genie gerierte und sich als „Artist Formerly Known As Prince“ oder „Symbol“ anreden ließ. Er wirkte wie einer, der sich selbst nicht mehr verstand. Doch seine Instinkte funktionierten. Nahm er mit seinem Wunsch, nicht Kaufleute mit ihren PR-Budgets über die Menge seiner Platten entscheiden zu lassen, doch den Zusammenbruch des Systems nur um wenige Jahre vorweg. Das Internet war das bessere Medium für ihn.
Trotzdem hatte er nach dem Verlust seiner Privilegien erhebliche Mühe, auch nur eine gute Platte zu machen, die mit seinen früheren Meisterwerken „Purple Rain“ (1984), „Parade“ (1986), „Sign O’ The Times“ (1987), „Lovesexy“ (1988) hätte mithalten können. Er verlor sich in einem funky Gniedel-Kosmos, der seinem Vorbild James Brown zur Ehre gereicht hätte. Das war nicht, was man von ihm erwartete. Doch Größe zeigte sein nimmersatter Furor darin, noch immer die besten Konzerte zu geben, die man sich wünschen konnte. Welche Wahl hätte er auch gehabt? Prince war die Musik, die er spielte. So wie der Blues-Musiker B. B. King noch im biblischen Alter von annähernd 90 Jahren nicht aufhörte, die Akkorde und Klänge anzuschlagen, mit denen er verwachsen war, verkleinerte Prince die Maßstäbe seines Erfolgs und schlug sich ohne die Unterstützung einer fremden Infrastruktur durch.
Warum denkt man bei der Nachricht seines Todes oder der von Bowies Tod, dass es einen wie ihn nicht wieder geben kann? Weil in der Popularität, die sie verkörperten, Kunst, Glanz und Reichtum zusammenkamen. Sie agierten im Bann von Traditionslinien, die sie zum Wohl der Popkultur insgesamt aufbrachen und modernisierten.
Das ist Musikern heute nicht mehr möglich. Als Agenten dessen, was populär, also in Mode und cool ist und den Menschen kollektive Glücksgefühle gibt, sind sie durch Fußballspieler und andere Helden der Wiederholung abgelöst worden. Die Popmusik ist in Puzzlestücke zerfallen, die zwar immer wieder neu und aufregend zusammengesetzt werden, aber durch wen, ist eigentlich egal, weil jeder auf alles zugreifen kann.
Früher war das nicht egal. Sich eine Musik zu erschließen, die einem fremden sozialen Zusammenhang entstammte, die an die Hautfarbe der Akteure gekoppelt war oder an die Art, in der sie sprachen, war ein biografisches Abenteuer. Und für viele setzte Prince dabei Standards, an denen weniger begabte Musiker vor dem Gericht des eigenen Geschmacks scheiterten. Insofern war er ein Lehrmeister, wie es sie heute nicht mehr gibt.
Am Donnerstag wurde Prince mit nur 57 Jahren leblos in einem Fahrstuhl seines Anwesens in Paisley Park gefunden, nachdem er Tage zuvor an Grippe erkrankt sein soll. Was so ernüchternd an dieser Ursache wäre: Dass sie so normal ist. Es ist die Art Tod, die jeden ereilen kann. Ob nun genial oder nicht.