Karl Ove Knausgård in Berlin: Das Ich des kleinen Mannes
Zurück im Lebenskampf, in Kindheit und Jugend: Eine Begegnung mit dem norwegischen Erfolgsschriftsteller Karl Ove Knausgård.
Plötzlich steht da Karl Ove Knausgård, direkt am Eingang des Savoy-Hotels in der Fasanenstraße. Lang gewachsene graue Haare, grauer Bart, seine Markenzeichen, zerfurchtes Gesicht. Groß ist er, über ein Meter neunzig, die in dem grauem Sakko und dem dunkelblauen Seidenhemd gut zur Geltung kommen, ziemlich cool diese Erscheinung. Und dann raucht er noch Marlboro!
Mit einer gewissen Coolness scheint der norwegische Schriftsteller auch dem Trubel um seine Person zu begegnen. Lesungen in Hamburg, Wien und Zürich, in ausverkauften Häusern. In Berlin kommen am Freitagabend im Haus der Berliner Festspiele über 700 Menschen. Der Großteil davon aus seiner Generation, er ist Jahrgang 1968, all das erinnert an ein Pop-Konzert. Vor seinem Auftritt gibt er noch Interviews am Fließband, sechs oder sieben an der Zahl, so genau weiß er das nicht. Das sei alles in Ordnung für ihn, so Knausgård. Nur zu gut weiß er noch, dass nach der Veröffentlichung des ersten Teils seines „Min-Kamp“-Zyklus, „Sterben“, zu einer Lesung in einem Buchladen in Rostock gerade einmal zehn Menschen gekommen waren. „Doch, befremdlich ist das alles auch, ich mache ja nichts anderes als früher. Doch als Autor will man Leser erreichen, und es ist wirklich aufregend, dass sich so viele Menschen mit dem identifizieren, was ich schreibe, dass das wichtig ist für sie.“
Knausgård ist mit seinem sechsteiligen Bekenntniswerk „Min Kamp“ zu einem internationalen Literatur-Superstar geworden; auch in Deutschland avanciert er mit dem gerade veröffentlichten fünften Teil „Träumen“ zu einem Bestsellerautor, der mindestens so viel gelesen wird wie ein Jonathan Franzen oder ein Umberto Eco.
"Ich habe schon manchmal das Gefühl, mich zu verkaufen"
Wenn man ihm gegenübersitzt und befragt, stellt sich ein merkwürdiges Gefühl ein: Man glaubt, alles über ihn zu wissen – seine Bücher handeln ja von nichts anderem als ihm selbst. Vom Trouble mit dem Vater, dessen Alkoholismus und Tod, von Kindheit, Jugend und ersten Schreibversuchen, von seinem Leben mit Frau und Kindern, von allen möglichen Scheitereien und Krisen. Was soll man da groß fragen? Zum Beispiel, wie komisch, ja, wie nervenaufreibend es sein muss, über Literatur sprechen zu wollen und doch andauernd private Dinge erörtern zu müssen, das Verhältnis zum Vater, die Reaktionen seiner Frau Linda auf die Bücher etc. „Ich weiß nicht, ob ich das lange Zeit machen werde“, gibt er zu.
„Es ist ein Unterschied, über all das zu schreiben, da geht es um Literatur!, und in Interviews und auf Bühnen darüber zu sprechen. Ich habe manchmal das Gefühl, mich zu verkaufen.“ Dies ist nun einmal die Crux der autobiografischen Literatur, die Knausgård schreibt. Natürlich beantwortet er im Verlauf des Gesprächs Fragen zu der Bedeutung seines Vaters für ihn, für sein Werk – ursprünglich hatte er nur über dessen Tod schreiben wollen, damit hatte alles begonnen. Er gesteht, dass es darum gegangen sei, den Vater hinter sich zu lassen, ihn zum Verschwinden zu bringen, mit Erfolg, wie er anfügt. Routiniert klingt es, wenn Knausgård darüber spricht, er will ehrlich sein, korrekt Auskunft geben.
Viel lebendiger dagegen, weniger cool-stoisch wirkt er, als das Verhältnis von Wirklichkeit und Fiktion in seinem Werk zur Sprache kommt, wann erstere aufhört, letztere beginnt: „Es ist alles so passiert. Aber viele Details, Szenen, Dialoge sind erfunden, zeitlich ist einiges ineinander übergegangen. Es steckt vieles in mir drin, das mir zunächst nicht bewusst ist, das ich beim Schreiben ans Licht bringe. Ich habe kein Interesse daran, Wirklichkeit abzubilden. Ich möchte zeigen, wie die Wege des Vergessens und Erinnerns sich kreuzen. Erinnerungen sind fließend, ändern sich."
Vieles, was Knausgård sagt, erinnert an therapeutische Sitzungen
Proust-Vergleiche lässt er zu, ohne sich anzumaßen, literarisch Schulter an Schulter mit diesem zu stehen. Klar, er kenne das Wechselspiel aus willentlicher und unwillentlicher Erinnerung, daraus habe er beim Schreiben geschöpft und Verstecktes zu Tage fördern können. Manchmal hat es etwas arg Verinnerlichtes, was Knausgård sagt, sagen muss, das erinnert an therapeutische Sitzungen. Großartig in diesem Zusammenhang, wie der norwegische Schriftsteller am Abend im Haus der Berliner Festspiele die Frage nach seiner vermeintlich fehlenden politischen Haltung gerade als junger Mensch beantwortet, nach dem Fehlen des Mauerfalls 1989 in seinen Büchern, seiner Betonung darauf, Zeitgenosse von Popkünstlern wie Duran Duran zu sein - warum nicht von Mandela, von Gorbatschow?. Knausgård schweigt auf diese Frage vielsagend. Nicht jeder war 1989 gleich politisiert, historische Umwälzungen hin oder her, schon gar kein 20-jähriger, der Pop, Ausgehen und sein Schreibstudium wichtig fand. „Und Norwegen war nicht Deutschland“, sagt Knausgård.
Auf der Terasse des Savoys spricht er davon, keinen genauen Plan für sechs Bände gehabt zu haben. Da seien erst „nur“ 1200 Seiten über den Vater und sein Familienleben mit kleinen Kindern gewesen und die Frage, wie man die am besten veröffentlicht. Erst danach kam die Idee auf, einen Zyklus zu verfassen. Wobei er einschränkend sagt: „Ich wusste zunächst gar nicht, was ich da alles im Einzelnen schreiben sollte“. Der fünfte Band jedoch, „Träumen“, entstand innerhalb von acht Wochen, „das war das erste Mal, dass ich das Schreiben richtig genoss, dass ich das total leicht fand.“
Der sechste Band von "Min Kamp" erscheint 2017 auf Deutsch
Was sich beim sechsten und letzten Teil wieder änderte. In diesem erschließt sich der provokante Titel des Ganzen, „Min Kamp“, mit einer langen Auseinandersetzung über Hitlers „Mein Kampf“. Und wieder wird Knausgård lebendiger, drängender, das ist ihm ein Anliegen: „Es geht bei mir um das Kleine, das Banale, das in allem von uns steckt, um das Ringen im Alltag, um den Kampf eines kleinen Mannes, um Scheitern, Raserei, Kontrollverlust, Hass, all diese Dinge – nichts davon ist in Hitlers „Mein Kampf“, nichts, da ist kein bisschen vom Kampf eines kleinen Mannes. Wir hatten eine „Mein Kampf“-Ausgabe auch in unserer Familie, wie so viele in Norwegen, das war ein Bestseller!, wir fanden das Buch nach dem Tod meiner Großmutter versteckt in einer Schublade.“
Dieser sechste Band, der auf Deutsch 2017 erscheint, noch keinen Titel hat und über 1000 Seiten fasst, ist die Zusammenfassung des ganzen Knausgård-Werkes. Es geht darin auch um die Folgen, die sich aus seinem Schreiben ergeben haben, „die ethischen“, wie er sagt, die für seine Familie. „Es ist das detaillierteste Buch von allen und beginnt mit der Zeit kurz vor Veröffentlichung von ,Sterben’. Der Band hat kaum Handlung, ich glaube, er ist enorm befremdlich und langweilig, ich bin gespannt auf die Reaktion in Deutschland. Ob er das wirklich meint? „Da stapelt er tief“, sagt später ein Mitarbeiter seines deutschen Verlages.
Karl Ove Knausgård erzählt noch, nun wieder entspannt Marlboro rauchend, dass er natürlich weiterschreibe – obwohl „Min Kamp“ damit endet, dass er nie wieder eine Zeile schreiben will. Demnächst erscheinen vier Bücher von ihm in Norwegen, darin jeweils sechzig kurze Betrachtungen über Objekte oder Bilder, über den Mond, Wasser, Autos oder Ähnliches: „Ich wollte mich überzeugen, dass ich auch über Anderes schreiben kann als über mich selbst.“ Im Moment jedoch, auf Lesereisen überall in der Welt, wird er stets in sein früheres Leben gestoßen. Er erkundet sich noch nach Berlin und meinem Leben hier – und dann wartet die nächste Kollegin, die ihn befragen möchte: zu seinem Leben, seiner Literatur, seinem Kampf.
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