Streit um die Frankfurter Paulskirche: Das doppelte Denkmal
Grabenkrieg um die Frankfurter Paulskirche: Soll sie an das Parlament von 1848 erinnern, wie es die AfD will, oder an den Wiederaufbau ein Jahrhundert später?
Man kennt die Frankfurter Paulskirche als den Ort, an dem alljährlich der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen wird. Weniger bekannt ist die doppelte Rolle der Paulskirche als historisches Denkmal: Einmal so, wie sie sich – mit manchen Veränderungen – seit dem Wiederaufbau 1948 darbietet, als Denkmal des westdeutschen Wiederaufbaus im Ganzen, und zum anderen in seiner in den Bombennächten des Zweiten Weltkriegs verlorenen Gestalt als Tagungsort der Nationalversammlung von 1848/49.
Man mag das Gebäude denn auch kaum im Alltag besuchen; dass es dringend renovierungsbedürftig ist, weniger aufgrund schwerwiegender Schäden als wegen seiner sicht- und spürbaren Vernachlässigung, ist mittlerweile unbestritten. Die Frankfurter Stadtverordneten haben sich dazu bekannt, Bundesmittel stehen in Aussicht. Nun aber nimmt die Debatte Fahrt auf, die unter anderem der „Zeit“-Autor Benedikt Erenz bereits vor zwei Jahren mit einer fulminanten Philippika angestoßen und den Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor einigen Monaten in ein etwas neutraleres Fahrwasser gelenkt hat. Es geht um die Frage, wie die Paulskirche angemessen an das nach ihr benannte, an den machtpolitischen Realitäten des Jahres 1849 zerbrochene Parlament erinnern kann. So wie bislang, darüber besteht Einigkeit, jedenfalls nicht.
Dass sich die AfD der Position der Verfechter einer historisierenden Rekonstruktion à la 1849 bemächtigt hat, führte die Debatte zumindest innerhalb der Frankfurter Lokalpolitik in einen reichlich fruchtlosen Grabenkrieg. Klar, dass nunmehr alle Parteien links von der AfD für die Sanierung des Nachkriegszustandes sind und dabei Gefahr laufen, die Erinnerung an die bürgerliche Demokratiebewegung von 1848 gleich mitzuverteufeln. Frankfurts OB Peter Feldmann (SPD) versucht, die Debatte offenzuhalten und vermeidet jedwede Festlegung auf ein bestimmtes Sanierungskonzept, hat dafür aber mit dem Vorwurf opportunistischer Vagheit zu kämpfen.
Schwarz war ein rheinisch-katholischer Kirchenbaumeister
In dieser Situation hat das Deutsche Architekturmuseum am Frankfurter Museumsufer die Initiative ergriffen und eine Ausstellung zur Baugeschichte der Paulskirche unter dem Titel „Ein Denkmal unter Druck“ zusammengestellt, die jedem Mitdiskutanten nur dringend zum Besuch empfohlen werden kann. In streng faktengestützter Weise werden die Stadien dargestellt, die die Paulskirche seit ihrer Inbesitznahme als Ad-hoc-Parlament 1848 durchlaufen hat. Nicht zuletzt werden die Wandlungen belegt, die der Wiederaufbau vor 70 Jahren durchlief, ehe Rudolf Schwarz sich mit seinem Konzept hochmoralischer Kargheit durchsetzte, das im Großen und Ganzen bis heute Bestand hat.
Rudolf Schwarz (1897-1961) war ein rheinisch-katholischer Kirchenbaumeister. Das zu erwähnen ist keine Nebensache. In seiner umfassenden Baugeschichte der Paulskirche hat es der zu früh verstorbene Architekturhistoriker Dieter Bartetzko 1998 so formuliert: „Ein gebändigter Furor der Reue, eine Art kaltes Fieber der Selbstbezichtigung nahm in der neu-alten Architektur der Paulskirche Gestalt an. Der tiefe Glaube des Rudolf Schwarz und das noch unverbrauchte und relativ unverdrängte Schuldbewusstsein der Deutschen fanden darin zueinander.“ Anhand zahlreicher Details lässt sich zeigen, dass Schwarz einen Sakralraum im Sinn hatte, mit der konkreten Erinnerung an das erste Parlament jedoch wenig anzufangen wusste.
Die Paulskirche sollte als Sitz des Bundestags dienen
Das nimmt der Schwarz’schen Gestaltung nicht ihren Denkmalcharakter; wohl aber bleibt ihr Mangel hinsichtlich der Erinnerung an 1848/49. Nicht zu rütteln ist freilich an der Tatsache, dass die Paulskirche nach dem verheerenden Luftangriff vom März 1944 bis auf die Außenmauern ausgebrannt war. Es gab im Inneren nichts wiederherzustellen. Fotografien der unmittelbaren Nachkriegszeit zeigen die eindrucksvolle Ruine und machen den hochmoralischen Ton zumindest nachvollziehbar, in dem die Wiederaufbaudebatte geführt wurde. In Frankfurt machte man sich bekanntlich Hoffnung auf den Status als Hauptstadt der jungen Bundesrepublik. So sollte die Paulskirche als Sitz des Bundestages dienen, als ein Ort, in dem „kein unwahres Wort“ jemals gesprochen werden könne.
Mit dem Bundestag wurde es 1949 nichts; es blieb nur die Aufgabe eines unbestimmten Festraumes, den der Buchhandelspreis seither idealtypisch ausfüllt. Als nennenswerte Hinzufügung – neben allfälligen Sanierungsmaßnahmen des stets als etwas schäbig empfundenen Raumgefüges – kam 1991 das noch vor der deutschen Einheit entworfene Wandbild „Zug der Volksvertreter“ im düster- drückenden Untergeschoss hinzu, einem wesentlichen Bestandteil der Konzeption von Rudolf Schwarz.
Das sich um einen ovalen, stets verschlossenen Innenraum windende Bild von Johannes Grützke springt weniger als Würdigung denn als Ironisierung der Parlamentarier von 1848 ins Auge, jedenfalls nicht als Bereicherung der ohnehin dürftigen Dokumentation, die im Untergeschoss beiläufig herumsteht. Der Besucher hakt sie pflichtschuldigst ab, ehe er über schmale Treppen in die Helligkeit des ohne seine ursprünglichen Emporen sehr voluminösen Kirchenraumes – samt Orgel! – entlassen wird.
Nicht nur eine Frankfurter Lokalangelegenheit
Es hat – auch das zeigt die Frankfurter Ausstellung – verschiedene Anläufe gegeben, den wenig befriedigenden Zustand der Paulskirche sowohl im Inneren wie in ihrer stadträumlichen Lage zu verbessern. Sie verliefen alle im Sande. Immer deutlicher wird jetzt die Unmöglichkeit beklagt, im Schwarz-Bau so etwas wie lebendige Demokratie zu üben und ein jüngeres Publikum anzusprechen. Die Frankfurter Lokalpolitik spricht sich für ein Haus der Demokratie in Nachbarschaft zur Paulskirche aus.
[Deutsches Architekturmuseum, Schaumainkai 43, bis 16. Februar 2020. Katalog bei av edition (Stuttgart), 29 €, im Buchhandel 39 €. www.dam-online.de]
Ganz Verwegene schlagen den Wiederaufbau der benachbarten, als Kriegsruine noch nach 1950 abgerissenen Alten Börse vor, eines Entwurfs des Baumeisters der Berliner Alten Nationalgalerie, Friedrich August Stüler. Heute befindet sich dort eine von niedrigen Platanen beschattete Freifläche, auf die Frankfurter Gastwirte ihre Tische stellen. Den Protest, der im Falle einer Beschneidung dieses öffentlichen Raumes aufwallen würde, kann man sich ausmalen – für Politiker wie Feldmann, noch dazu im Frühstadium eines Lokalwahlkampfes, der schiere Horror.
Es läuft auf die Sanierung des Schwarz’schen Neubaus innerhalb der alten Mauern hinaus, ohne das hohe Dach der einstigen Kirche und ohne die Emporen, auf der 1848/49 die Zuschauer saßen, nicht zuletzt die noch nicht wahlberechtigten Frauen. Was sich an der Frankfurter Paulskirche paradigmatisch studieren lässt, ist die Nachkriegsdebatte um einen moralisch gerechtfertigten Wiederaufbau nach der Katastrophe von Nazizeit und Krieg. Nur die 48er-Nationalversammlung bleibt dabei außen vor, und das ist ein Mangel, der mit einem Schulklassen-Veranstaltungshaus allein nicht zu beheben ist. Es ist hoch an der Zeit, dass sich die ganze Bundesrepublik der Paulskirchenfrage annimmt. Sie ist weit mehr als eine Frankfurter Lokalangelegenheit.
Bernhard Schulz