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Gallery Weekend Berlin: Das Doppelherz

Eva & Adele sind die Maskottchen der weltweiten Kunstszene. Jetzt widmet ihnen der me Collectors Room Berlin eine Retrospektive.

Die Liebe ist eine Himmelsmacht. Oder was könnten sechs zu zweit durchtanzte Stunden auf einer Party in Umbrien anderes sein als Fügung? Aber Liebe ist auch Konzeptkunst. Zumindest bei Eva & Adele. Aus ihrer Idee eines hermaphroditischen Zwillingspaars, das sich einst beim Tanzen auf einem Künstlersymposium in Italien kennenlernte, ist eine Kraft geworden, die in ihrer lächelnden Omnipräsenz überirdisch ist. Ihre mehr als 25 Jahre währende, auf Vernissagen zwischen New York, Tokio, Paris, Venedig, Basel und Berlin aufgeführte Dauerperformance hat Eva & Adele zu Maskottchen des Kunstbetriebs gemacht. Oder zur Marke.

Eva & Adele sind Gegenstand von Büchern und Dokumentarfilmen. Doktorarbeiten analysieren ihre „lebende Skulptur“, die in der Performance-Tradition steht, die in den 60er und 70er Jahren Künstlerpaare wie Gilbert & George und Marina Abramovic und Ulay prägten. Ja, sogar ins Schulbuch für den katholischen Religionsunterricht in der Oberstufe haben Eva & Adele es gebracht. Und doch werden, wenn ihnen der Sammler Thomas Olbricht jetzt die Retrospektive „L’Amour du Risque“ im me Collectors Room Berlin widmet, wieder Leute zu ihnen sagen: „Ach, Sie malen auch?“ Wie es so geht, wenn die Performance sich vor das Werk schiebt, sich beides untrennbar durchdringt, bedingt, spiegelt. So wie die Trennung zwischen privatem und öffentlichem Raum, die Eva & Adele durch ihre Existenz einfach auflösen.

Hausbesuch in Charlottenburg

Hausbesuch bei Eva & Adele in Charlottenburg. Von ihrem Privatleben, den individuellen Biografien, ist wenig bekannt außer den Körpermaßen (Eva 176 und Adele 161 Zentimeter) und der Verpartnerung als Frauen-Duo 2011. Seit 1989 treten sie gemeinsam auf. Als Geburtsdatum des doppelten Ichs gilt die Performance „Hochzeit Metropolis“ im April 1991 im Gropius-Bau. Seither sind Eva & Adele ihrem dort gesetzten Slogan „Futuring“ treu und haben die Legende „aus der Zukunft“ zu stammen, niemals durch leichtsinnige Angaben zur vormaligen privaten und künstlerischen Identität ruiniert.

Klar, dass nicht Meier und Schulze, sondern Eva & Adele am Klingelschild steht. Dann geht es eine Hinterhausstiege rauf. Das Begrüßungskomitee wartet auf dem Treppenabsatz. Rosa Lurexpullis, schwarze Wollröcke, Silberstiefeletten. Wie immer steht die kleinere Adele links. Lächelnd korrigieren sie den Fauxpas, die „Frau“, also Adele, vor dem „Mann“, also Eva, begrüßen zu wollen, durchs Wegziehen und Hinstrecken der Hände. Natürlich! Für ein transsexuelles Paar mit dem per Stempelkunst verbreiteten Slogan „Over the Boundaries of Gender“ zählen Knigges Benimmregeln nicht. Bei Eva & Adele kommt die Erstgenannte zuerst.

Jeder Auftritt folgt einem strengen Kostümplan

In süddeutschem (Adele) und österreichischem (Eva) Akzent erläutern die zwei ihre in einem kleinen Showroom ausgestellten Werke. Ein paar Wochen später haben sie in der Auguststraße mehr Raum zum Atmen. Die antike Hochzeitstruhe mit dem darauf platzierten Kuhschädel aus Holz, die zu ihren „biografischen Skulpturen“ gehört, die großformatigen Bilder aus den Serien „Cum“ und „Transformer/Performer“, in denen Eva & Adele Schnappschüsse, die fremde Menschen von ihnen schießen und ihnen zusenden, oder ihr herzförmiges Doppel-Schädel-Logo in abstrahierte Gemälde verwandeln. Ergänzt wird die Retrospektive von Zeichnungen, Videos, und Kostümen wie der spacig-poppigen Serie „Wings“, die Eva & Adele etwa auf der Documenta Flügel verliehen hat.

Apropos Kostüme. Sie male durchaus auch im Tutu, bemerkt Eva bei der Besichtigung des treppauf gelegenen Ateliers, in dem die Farbtuben so akribisch geordnet sind wie die Leinwände in den Regalen. Die Arbeitskleidung ist nicht auf dem Kostümplan verzeichnet, den sie beim Kaffeekränzchen in ihrer mit Gemälden und Fotografien behängten Küche zeigen. Die Pläne dokumentieren die Kleiderordnung für öffentliche Auftritte – von der Art Basel bis zur Biennale in Venedig. In der Ausstellung hängen 163 davon. Haarklein listen Eva & Adele unterteilt in Kategorien wie Mieder, Strümpfe, Schuhe, Taschen ihr Outfit auf. Eine Packlisten-Performance, die ein kurioses Schlaglicht auf die ungeheure Kraftanstrengung eines künstlerischen Lebensentwurfs wirft, der zwar den Rückzug in die eigenen vier Wände kennt, aber keine Pause voneinander.

Was sie zum Gallery Weekend anziehen? Eva & Adele zucken die Schultern. „Wissen wir noch nicht.“ Wer’s glaubt. Aber sie verbrächten es anders als jedes Gallery Weekend zuvor, wo sie von einer Adresse zur nächsten schwirrten, sagt Adele. „Wir halten Stallwache in unserer eigenen Schau.“ Wie es sich als Einheit von Person und Werk gehört.

"Unsere Waffe war unser Lächeln"

Die hat ihnen zu Beginn ihrer in den 90ern deutlich schriller als heute aufgetakelten Zweisamkeit nicht nur Sympathien eingetragen. „Wir sind mit dem Lächeln als Waffe rausgegangen“, sagt Eva. Und Adele ergänzt, dass sich ernst zu nehmende Künstler damals nur mit Flunsch fotografieren ließen. Wer lächelte und sich wie sie einer damenhaften Höflichkeit befleißigte, war sofort Avantgardist.

An Hass und Häme hat es nicht gefehlt, wenn sie sich damals am Nollendorfplatz, wo die erste Atelierwohnung lag, auf der Straße blicken ließen. „Das hätte auch nach hinten losgehen können“, sagt Eva. Das könnte es immer noch. Immer wieder kommen die beiden in Situationen, wo ihre androgyne Erscheinung Aggressionen erregt. In Berlin fahren sie spätabends lieber nicht U-Bahn. In Venedig sind sie beinahe vom Vaporetto ins Wasser geworfen worden. In Weimar hat sie eine Gruppe Skinheads eingekreist. Immer konnten sie die Eskalation durch direkten Blickkontakt brechen. Oder wie Eva sagt, „durch Freundlichkeit den Menschen die Furcht vor dem Anderssein nehmen“. Und doch sei ihre Existenz ein Risiko, sagt Adele. „L’Amour du Risque“, der Ausstellungstitel, ist nicht nur künstlerisch und menschlich, sondern auch politisch aufgeladen. Auch durch das Pink, das Eva & Adele als Referenz an den Rosa Winkel, den Homosexuelle im KZ tragen mussten, als Signalfarbe verwenden.

Nachthemden, Morgenröcke - alles ist identisch

Von Nahem betrachtet sind die zwei in Sachen Gesichtsmalerei, Körpersilhouette und Charakter so unterschiedlich, wie zwei Künstlerinnen nur sein können. Erstaunlich, wie verführerisch Eva & Adeles diszipliniert erarbeitete Aura zugewandter Herzlichkeit wirkt. Ihre Legende, über eine Zeitmaschine zu verfügen, ist wahr. Sonst könnten vier Stunden Plauderei nicht einfach so verfliegen. Und noch immer sind die wesentlichen Fragen zur symbiotischen Lebensweise ungeklärt. Essen Eva & Adele das Gleiche? Ja, und zwar vegetarisch. Tragen sie auch daheim das Gleiche? Sie nicken. Nachthemden, Morgenröcke, alles identisch. Sogar Puschen? Eva trägt zwei Paar rosa Glitzer-Schlappen herbei. Wahren Visionären entgeht nun mal kein Detail.

me Collectors Room, Auguststr. 68, bis 27. August, Mi–Mo 12–18 Uhr

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