Zehn Nominierungen für „Once Upon a Time in Hollywood“ bei den Oscars: Das Aufbäumen einer sterbenden Spezies
Märchen mit Mädchen: Quentin Tarantino setzt mit seinem Film „Once Upon a Time in Hollywood“ der ermordeten Sharon Tate ein Denkmal.
Zuletzt hat sich Quentin Tarantino wie ein alternder Rockstar auf Abschiedstour aufgeführt: launisch, dünnhäutig, unantastbar. In Cannes, wo sein neunter Film „Once Upon a Time in Hollywood“ im Mai Weltpremiere hatte, wies er eine Journalistin zurecht, die wissen wollte, warum die von Margot Robbie gespielte Sharon Tate, seine weibliche Hauptrolle, so wenig Dialogzeilen habe. Über den verstörend brutalen Showdown wollte er überhaupt nicht sprechen – um das Ende nicht zu spoilern.
Neonerleuchtetes Siechtum
Dabei gibt es so viel an „Once Upon a Time in Hollywood“ gar nicht zu verraten. Tarantino hat sich mit seiner Hommage an das Goldene Zeitalter des Fernsehens, dessen Niedergang sich in den späten Sechzigern in geografischer Nachbarschaft zur Krise der Filmindustrie vollzog, von einer klassischen Erzählökonomie weitgehend verabschiedet. Brad Pitt führt durch dieses neonerleuchtete Siechtum mit einem Anflug von euphorischer Apokalyptik.
Er spielt den Stuntman Cliff Booth, der seinen Kumpel Rick Dalton (Leonardo DiCaprio), einen in die Jahre gekommenen Fernsehcowboy, tagsüber herumkutschieren muss. Rick hat gerade seinen Führerschein verloren, wegen Trunkenheit am Steuer.
Das Ende dieses alten Hollywoods koinzidiert mit dem Tod der schwangeren Sharon Tate, die am 9. August 1969 von der „Family“ des Hippie-Gurus Charles Manson mit drei Freunden in ihrem Haus in den Hollywood Hills ermordet wurde. Mit ihr stirbt, im Jahr von Woodstock, „Easy Rider“ und der Mondlandung, auch die Hoffnung auf eine friedliche Revolution in Amerika. Das Massaker an der Kent State University, wo die Nationalgarde auf Studenten feuerte, folgte neun Monate später. Charles Manson verkörpert diesen Phantomschmerz wie keine zweite Figur der amerikanischen Popkultur.
Phantomschmerz der Popkultur
Kann man den bestialischen Mord an Sharon Tate heute also ohne einen Anflug von zynischer Verklärung der Sechziger erzählen? Beziehungsweise: Wer braucht das überhaupt noch? Doch die Frage, was Mansons dunkle Faszination ausmacht, interessiert Tarantino ohnehin nur als Drohkulisse. Manson hat lediglich einen Kurzauftritt (Damon Herriman spielt ihn demnächst auch in David Finchers Profiler-Serie „Mindhunters“) und er wirkt darin fast provozierend unscheinbar.
Es dauert eine Weile, bis der Regisseur inmitten dieses testosterongesteuerten Aufbäumens einer sterbenden Spezies einen angemessenen Platz für seinen eigentlichen Star findet. Die Pointe besteht darin, dass dieser Ort das Kino selbst ist.
Beim Cruisen landet Sharon Tate in einem dieser längst verschwundenen Filmpaläste, in dem sie sich, die schmutzigen Füße über den Vordersitz geworfen, auf der Leinwand bewundert. Margot Robbie, die Tate mit einer wunderbar geerdeten Unbeschwertheit spielt, benötigt nicht viele Worte. Vor allem braucht sie keine männlichen Begleiter – außer, in einer schönen Parallelmontage, den jungen Bruce Lee (Mike Moh) als Sparringspartner.
Die Kinoszene ist fast so perfekt wie Pam Griers unbeirrter Gang in der Eröffnungssequenz von „Jackie Brown“. Robbies Sharon Tate strahlt mit jeder Geste, mit jedem Blick, jedem Hüftschwung innerlich: „Once Upon a Time in Hollywood“ gehört ihr allein. Ein reizvolles Gedankenspiel: Was wäre aus Amerika wohl geworden, hätte dieser blendende Hoffnungsschimmer die Sechziger überlebt?
Selbstbewusstsein eines Kinnhakens
Pitts Stuntman Cliff ist die Antithese zu Robbies Sharon Tate, ein wandelnder Anachronismus mit einem Selbstbewusstsein wie ein Kinnhaken. Er hat seine Frau nach einem „Harpunenunfall“ auf dem Gewissen (ein Lacher, natürlich), Bruce Lee verpasst er eine Abreibung. Den gegenkulturellen Wind, der diesen Archetyp bald davontragen wird, spürt er nur, weil die süßen Blumenmädchen neuerdings am Hollywood Boulevard auf eine Mitfahrgelegenheit warten.
Rick Dalton dämmert hingegen, dass er schon bald obsolet sein wird. Sein Agent (Al Pacino) will ihn an die italienische Traumfabrik Cinecittà vermitteln, wo alternde Fernsehstars ein zweiter Frühling erwartet – ein Wink in Richtung des ehemaligen Fernsehcowboys Clint Eastwood, den Sergio Leone zum Weltstar machte. Sein Selbstwertgefühl verlässt Rick endgültig, als er realisiert, dass neben ihm Roman Polanski und seine junge Frau Sharon Tate eingezogen sind: das heißeste Pärchen im neuen Hollywood, das ihm keine Mitgliedschaft mehr gewährt.
Abschied auf Ansage
Nimmt man Tarantino beim Wort, ist „Once Upon a Time in Hollywood“ sein vorletzter Film. Nach dem zehnten, hat er wiederholt verkündet, sei Schluss. Schon nach seinem Meisterwerk „Jackie Brown“ hatte der damals 34-Jährige geunkt, er müsse sich etwas einfallen lassen, sonst drohe die Frühvergreisung. Die nächsten zwanzig Jahre verbrachte er damit, seine Sozialisation als Videothekar systematisch aufzuarbeiten: mit Hommagen an den Kung-Fu-Film, an italienische Naziploitation und das Grindhousekino.
Oft am Rande der Redundanz, wenn auch mit Tarantino-typischer Finesse: sei es der Fetisch für Uma Thurmans Füße oder sein Faible für vergessene B-Stars. Irgendwann verkamen die Privatobsessionen zum bloßen Fanservice. Er durfte trotzdem weitermachen, denn er genoss den Schutz des Paten von Hollywood: Harvey Weinstein.
Tarantino gehört zu den wenigen Vertrauten, die den Absturz des Filmmoguls unbeschadet überstanden haben. Im Zuge der Weinstein-Enthüllungen machte er dennoch keine glückliche Figur. Lange schwieg er zu den Vorwürfen gegenüber seinem Freund, schon 2003 hatte er Roman Polanski, den die US-Justiz noch immer wegen Sex mit einer Minderjährigen verfolgt, verteidigt. Und dann musste er sich von Uma Thurman noch seinen rücksichtslosen Regiestil vorwerfen lassen. Tarantinos Ansehen hat Dellen erlitten.
Abgestandene Männlichkeit
Mit seinem Nimbus der Unantastbarkeit spielt er in „Once Upon a Time in Hollywood“, Tarantino überreizt seinen angekratzten Status als letzter Autorenfilmer in einer Blockbuster-Monokultur. Mit zwei Stunden 40 Minuten fällt der Film nur unwesentlich kürzer aus als der mäandernde „Hateful Eight“, er zelebriert die Starpower von DiCaprio und Pitt mit verschwenderischer Dekadenz – und gipfelt in einem misogynen Gewaltexzess. Als müsste Tarantino allen beweisen, dass für ihn eigene Regeln gelten. Dass er sein Idol Polanski (Rafal Zawierucha) als Jüngelchen im Piratenkostüm vorführt, über das Steve McQueen (Damian Lewis) indirekt bemerkt, dass ein ganzer Kerl wie er selbst nie eine Chance bei Sharon Tate gehabt habe, passt in dieses Bild von Männlichkeit, das Tarantino nicht ohne ironische Bewunderung entwirft.
Doch weder Pitt noch DiCaprio neigen zu der Sorte performativer Selbstbefriedigung, für die Tarantinos Filme so anfällig sind. „Once Upon a Time in Hollywood“ zeichnet eine gut abgehangene Zurückgelehntheit aus. Einen weiteren lustlosen Genre-Abklatsch hätte sich Tarantino auch nicht leisten können, will er seinen Dekalog zu einem rühmlichen Abschluss bringen. Seine Lieblingsgenres spielt er diesmal nur im Schnelldurchlauf durch: Wer auf seine Version eines „Poliziottesco“, des italienischen Polizeifilms, gewartet hat, wird nicht enttäuscht.
Flexible Moral
Es war einmal in Hollywood. Tarantino ist ein Märchenonkel mit flexibler Moral. Weil er in „Inglourious Basterds“ die jüdischen Opfer der Nazis rächt und in „Django Unchained“ einem Sklaven die Freiheit schenkt, nimmt er sich Dinge heraus, die man keinem anderen durchgehen ließe. Die Gewalt gegen Frauen. Oder seinen lockeren Umgang mit Geschichte, in dem nicht nur eine kreative Ader, sondern auch seine Selbstüberschätzung zum Ausdruck kommt. Tarantinos Erwachsenenmärchen waren lange vor Donald Trump ein historisches Spiel mit „alternativen Fakten“ – für eine gute Sache zwar. Doch damit ließ sich auch bequem die reaktionäre Rächermentalität seiner Filme verharmlosen.
„Wir töten die Schweine, die uns im Fernsehen das Töten beigebracht haben.“ In dieser Kulturkritik eines Manson-Mädchens, als sie bereits vor dem Polanski-Anwesen am Cielo Drive stehen, ist die Saat für Tarantinos jüngsten Revisionismus gelegt. Das Grundübel der Vietnam-Generation sei Rick Dalton, der zur Primetime seine Gegner mit dem Flammenwerfer abfackelt. Typen wie Rick haben auch dem Filmfan Tarantino das Töten gezeigt, eine ganze Karriere hat er den Helden seiner Kindheit gewidmet.
Gehört er damit ebenfalls zum alten Eisen? In manchen Momenten fühlt sich „Once Upon a Time in Hollywood“ tatsächlich an wie sein erstes Alterswerk. Das aber handelt nicht etwa vom Mord an Sharon Tate. Ihr setzt es, im Gegenteil, ein Denkmal. Es geht vielmehr um die symbolische Ermordung jenes Kinos, mit dem Quentin Tarantino aufgewachsen ist.
„Once Upon a Time in Hollywood“ kommt am Donnerstag in die Kinos