Filmfestival Cottbus: Dämonendämmerung auf dem Lande
Krimis, Krisen, Frauenpower: Das Festival des osteuropäischen Films in Cottbus feiert sein 25. Jubiläum. Ein Ausblick.
Bei strahlend blauem Himmel sieht die Stadthalle Cottbus richtig schick aus. Ihre nüchterne Siebziger-Jahre-Eleganz kommt gut zur Geltung und die grau-braune Fassadengestaltung wirkt weniger fragwürdig als an bedeckten Tagen. Anfang November wird ein kurzer blauer Teppich auf dem riesigen Vorplatz ausgerollt, der gut ins Bild passt und auf das spannendsten Herbstereignis der Lausitzstadt verweist: das Festival des osteuropäischen Films. Dessen Zentrum und Wettbewerbskino ist die Stadthalle – quasi der Berlinale-Palast von Cottbus.
Dort gehen im Jubiläumsjahr von Mittwoch bis Samstag zwölf Filme ins Rennen um den Hauptpreis, die Lubina. Es ist eine starke Konkurrenz, vor der hoffentlich einige Produktionen ihren Weg in die deutschen Kinos finden werden. Ganz besonders gilt das für „Dämon“ des polnischen Regisseurs Marcin Wrona, der eine Hochzeit auf dem Land erzählt. Schon am Vortag, als Bräutigam Piotr (Itay Tiran) aus London anreist, scheint etwas nicht zu stimmen mit ihm. Beim Fest selber benimmt er sich immer merkwürdiger, verwechselt Namen und Rituale, bis er schließlich von Anfällen geschüttelt zu Boden fällt und beginnt Jiddisch zu reden – ein Dibbuk hat sich seiner bemächtigt.
Der 1973 geborene Marcin Wrona inszeniert diese auf einem Theaterstück basierende Geistergeschichte über die Verdrängung der Judenvernichtung in entbleichten Farben und bei Dauerregen, wobei die Atmosphäre ein wenig an die frühen Werke von M. Night Shyamalan erinnert. „Dämon“ hatte seine polnische Premiere auf dem Festival von Gdynia, wo auch die Entscheidung fiel, ihn nach Cottbus einzuladen. Doch hier wird der Regisseur den Film nicht mehr vorstellen können, denn er nahm sich während des Festivals in Gdynia das Leben. Das Filmland Polen, dessen derzeitige Blüte sich nicht zuletzt im Oscar-Erfolg von „Ida“ zeigte, verliert mit ihm ein großes Talent.
Ein anderes Land, aus dem momentan viele beeindruckende Filme kommen, ist Kroatien, das mit zwei Werken in den Cottbuser Wettbewerb geht. „Kroatien hat eine unglaublich geschickte Filmförderung aufgebaut, die sehr transparent ist und strategisch Filmemacher unterstützt. Sie sind gerade auf allen internationalen Festivals vertreten“, sagt Bernd Buder, Programmdirektor des Cottbuser Festivals. So hatte etwa der kluge, sensible Episodenfilm „Mittagssonne – The High Sun“ von Dalibor Matanić seine internationale Premiere in Cannes. Und das kammerspielartige Drama „Sauerkirschen – The Ungiven“ von Branko Schmidt lief zuerst in Russland. Beide Werke spiegeln – auf ganz unterschiedliche Weise – in Paarbeziehungen die Folgen des kroatisch-serbischen Kriegs Anfang der neunziger Jahre.
Serben und Afrikaner diskutieren über Polygamie
Aus Serbien kommt der aktuellste Film des Festivals. Jurymitglied Želimir Žilnik zeigt im Special seine Dokumentation „Logbook Serbistan“, in der er Flüchtlinge durch sein Land begleitet. Ohne Zusatzkommentar oder die Namen der Menschen einzublenden, schaut er einfach zu, wie ein Kameruner und ein Ghanaer sich Richtung Ungarn durchschlagen. Oder wie ein junger Syrer, der als Übersetzer arbeitet, sich mit neu ankommenden Landsleuten austauscht. Es ist noch vor der Massenwanderung durch das kleine Balkanland, dessen Ruf, relativ freundlich mit den Flüchtlingen umzugehen, sich vor Žilniks Kamera bestätigt: Auf einem Dorffest werden zwei Afrikaner in den Kreistanz integriert, man diskutiert beim Bier über Polygamie oder vermittelt einer kleinen Familie ein leer stehenes Haus.
Russische und ukrainische Filmemacher können in Cottbus ungestört reden
Ähnlich nah am Zeitgeschehen ist Inna Denisova, die für ihre Dokumentation „Heimkehr“ nach dem Anschluss der Krim an Russland in ihre Heimatstadt Simferopol zurückkehrte. Sie interviewte Tourismusunternehmer, deren Geschäft am Boden liegt, und Künstler, die wegziehen. Auch Ausschnitte aus dem Prozess gegen den ukrainischen Filmemacher Oleg Senzow sind zu sehen. Senzow wurde kürzlich wegen „Terrorismus“ zu 20 Jahren Haft verurteilt. Sein Debütfilm „Gamer“ wurde letztes Jahr in Cottbus noch einmal auf einer Solidaritätsveranstaltung gezeigt. Aber auch Russland ist auf dem Festival unter anderem mit dem traditionellen Russkiy-Den-Programm sowie dem Wettbewerbsbeitrag „Das Land von Oz“ wieder stark vertreten. „Nach Cottbus kommen Filmemacher aus Russland und aus der Ukraine, die natürlich neugierig aufeinander sind,“ sagt Bernd Buder, der das Festival auch als Dialog-Plattform betrachtet. „Das Gute an einem exterritorialen Festival ist, dass es die Gelegenheit bietet, unbeobachtet in Kontakt zu treten.“
Zur Eröffnung läuft der erste deutsch-polnische "Polizeiruf 110"
Die Cottbuser Dialogfunktion drückt sich auch in der Wahl des Eröffnungsfilms aus. Am heutigen Dienstag wird im Staatstheater eine Vorpremiere des ersten deutsch-polnischen „Polizeiruf 110“ unter dem Titel „Grenzgänger“ gezeigt, in dem die brandenburgische Kommissarin mit einem polnischen Kollegen zusammenarbeitet. Die 100.000-Einwohner-Stadt Cottbus mit ihrer sorbischen Minderheit liegt näher an der polnischen Grenze als das rund 120 Kilometer entfernte Berlin.
Dennoch gebe es durchaus Vorbehalte gegenüber den Nachbarn, so Buder. „Ein populärer Krimi kann solche Vorbehalte ironisieren und entkräften. Außerdem kann er die vielen Gemeinsamkeiten zeigen, die es gibt“, sagt der in Berlin lebende Programmdirektor, der schon seit 1996 beim Cottbuser Festival mitarbeitet und im letzten Jahr die Leitung von Roland Rust übernahm.
Buder sieht die wichtigste Aufgabe des Festivals, das jährlich rund 20 000 Zuschauer besuchen, in der Bekämpfung von Klischees: „Das reicht vom spirituellen Klischee à la Tarkowski bis hin zu Säufer- und Gewaltklischees, wie man es aus vielen Balkanfilmen kennt.“ Davon gelte es wegzukommen und Osteuropa in einer großen Bandbreite zu zeigen. Was im Jubiläumsjahrgang zumindest im Wettbewerb schon mal gelingt – auch dank der auffallend vielen durchsetzungsstarken Frauenfiguren, die die alten Macho-Klischees infrage stellen.
So geht es etwa in Lili Horváths Drama „Mittwochskind“ um eine junge Mutter, die mithilfe eines Mikrokredits einen Waschsalon eröffnet. Sie hofft, damit genug Geld zu verdienen, um ihren kleinen Sohn aus dem Heim zu holen, in dem auch sie selber aufgewachsen ist. Vor allem durch den kleinkriminellen Vater des Kindes, mit dem sie eine Hassliebe verbindet, muss sie Rückschläge einstecken. Doch sie bleibt stur.
„Solche dynamischen Frauenfiguren gibt es im Moment häufig im osteuropäischen Kino. Sie kämpfen sich mit einer unglaublichen Energie durch die Widerstände der Gesellschaft“, sagt Buder. Mit Darijan Pejovskis „Drei Tage im September“ hat er einen weiteren Frauenpower-Film im Wettbewerb. Darin kehrt die Tochter eines ehemaligen Ministers zurück in ihr Heimatdorf, in dem sie eine alte Rechnung zu begleichen hat. Zufällig und zunächst eher widerwillig bildet sie eine Schicksalsgemeinschaft mit einer Prostituierten, die auf der Flucht vor der Polizei ist. Wie zwei mazedonische Cousinen von Thelma und Louise setzen sich die beiden gegen brutale, korrupte Männer durch – und müssen am Ende nicht mal in einen Abgrund rasen.
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