„Ein Bericht für eine Akademie“ am Gorki Theater: Da lachen die Affen
Oliver Frljićs Inszenierung von „Ein Bericht für eine Akademie“ am Gorki Theater: Ein Pavian, viel Kafka und harte Zivilisationskritik.
Oliver Frljić mag starke, manche würden sagen: plakative Bilder. Für den Schluss seiner Inszenierung „Ein Bericht für eine Akademie“ nach Kafka am Maxim Gorki Theater wählt er jedenfalls eines, das man so schnell nicht vergessen wird. In einem Käfig aus goldenen Stäben, der dem Berliner Reichstag en miniature nachempfunden ist, kratzt sich ein Pavian (richtig, ein echtes Tier) ziemlich nachdenklich am Kopf und schaut verloren in den Saal. Zumindest hat es so den Anschein, man weiß ja letztlich nie, was in den Menschen vorgeht, und das gilt natürlich auch für Affen.
Währenddessen hält Rotpeter – der gründlich durchassimilierte Protagonist aus Kafkas Erzählung – eine Rede mit Nachhall in mehrfacher Hinsicht. Unter Verwendung von Zitaten eines Bundespräsidenten preist er unsere erfolgreiche Vergangenheitsbewältigung („Deutschland ist wie Phönix aus der Asche seiner Schuld gestiegen“). Und schlägt den Bogen zur demografischen Entwicklung unseres Landes, zur Migration als dringend benötigtem „Wanderungssaldo“, zu den Ausgaben für Geflüchtete in Milliardenhöhe schließlich, die doch „ein Stimulus“ für das Wirtschaftswachstum seien.
In diesem Finale steckt viel von dem, was Oliver Frljić mit Kafkas Geschichte von der Menschwerdung eines Affen gedanklich anstoßen möchte. Das Übliche jedenfalls – etwa die literaturwissenschaftlich durchgesetzte Lesart, wonach der Autor hier seine eigene Position als Jude in einer nichtjüdischen Gesellschaft reflektiere – genügt ihm nicht. Das wird schon klar, wenn Sesede Terziyan eingangs vors Publikum tritt und in gelehrter Diktion den Hallraum öffnet zu den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten.
Der Käfig als Essenz der Welt
Der Humanismus, die Versprechen einer so gern bemühten abendländischen Aufklärung, haben eine Erschütterung erfahren, die nicht „verarbeitet“ ist. Das bleibt als Hintergrundrauschen hörbar, wenn nun der Rotpeter vor die geneigte Zuhörerschaft tritt und von seiner gewaltsamen Entführung als Goldküstenbewohner, seiner Zurichtung im Hagenbeckschen Tierpark, schließlich seinem geglückten Ankommen in der Menschengemeinde erzählt. Bühnenbildner Igor Pauška hat dazu eine monumentale Bücherwand aus zwölf Etagen errichtet, die das geballte Gewicht jener Bildung verkörpern soll, die uns vor kaltem Effizienzdenken auch noch nie bewahrt hat.
Schlussendlich fällt sie den auf der Bühne Versammelten buchstäblich auf die Füße. Und das leere Regal sieht auf einmal aus wie ein gigantisches Gitter. „Der Käfig“, heißt es einmal, „ist die Essenz der Welt“. Nicht nur für den Pavian mit Namen Jeany aus der Filmtierschule, der davon sein ganz eigenes Lied singen könnte.
Dass Frljik seine Inszenierung – aufgeladen mit weiteren Kafka-Texten wie „Brief an den Vater“, „Die Kreuzung“, „Unglücklichsein“ oder „Vor dem Gesetz“ – bei all dem nicht auf eine einzige Deutung heruntergebrochen sehen will, das macht er klar, indem er den Autor höchstselbst auftreten lässt (gespielt von Mehmet Ateeçi). Seinem verwirrten Geschöpf Rotpeter erklärt Franz Kafka: „Sie stellen nichts dar. Ihre Bedeutung ändert sich ständig“.
Es wohnt ein Tier in uns allen
Durchweg präsent bleibt freilich das Motiv von Zurichtung und Selbstdressur, das Frljić auf die Spitze treibt, indem er seinen eloquenten Affen in die Familie Hagenbeck einheiraten lässt. Vater Hagenbeck – mit umwerfender Verausgabungsbereitschaft: von Aram Tafreshian – nutzt die Gunst der Stunde für ein Paradebeispiel in Sachen fehlgehender Vergangenheitsbewältigung. Gibt die kolonialen Verbrechen seiner Familie zu, nur um im nächsten Moment zu einer Eloge auf das „gitterlose Freigehege“ anzuheben und Gewalttaten zum Völkerverständigungsbeitrag umzudeuten. Und hat nicht der große Thomas Edison bei einem Besuch im Hagenbeckschen Tierpark gesagt: „The animals here are not in a cage, they are on stage“?
Gefangenschaft als Show - da steckt natürlich auch viel Wahres drin. Der diensthabende Priester (Svenja Liesau) befeuert diese bigotte Groteske mit einem Gebet für alle ausgestorbenen Arten: Tasmanischer Beutelwolf, Nasenbeutler, Labrador-Ente, die Liste ist lang.
Der finale Vermählungskuss zwischen den Brautleuten – Lea Dreager spielt Tochter Hagenbeck – gerät dann zu einem furiosen, ziemlich animalischen Gezüngel mit ansteckender Wirkung. Ja, es wohnt ein Tier in uns allen, doch wo es sich zeigt, wird es mit Vehemenz verachtet, weil der Gedanke an den dazugehörigen Käfig zu unerträglich ist.
Berlinale-Star Jonas Dassler glänzt
Der Regisseur Oliver Frljić, der in Berlin zuletzt den selbstreflexiven Rechtspopulismus-Abend „Gorki – Alternative für Deutschland“ inszeniert hat, glückt hier eine bestürmend offene, undogmatische Kafka-Version. Zu verdanken ist das nicht zuletzt Jonas Dassler, der die Rolle des Rotpeter innehat. Dassler – gerade auf der Berlinale für seine Hauptrolle in Fatih Akins „Der goldene Handschuh“ zu Recht gefeiert, hier ohne aufwendige Maske zu sehen – bringt einen Menschenaffen auf die Bühne, an dem das sogenannte Vorleben noch reißt, dem das Unheilvolle der zivilisatorischen Verbiegung im Leibe sitzt.
In einer der schönsten Szenen trägt Jonas Dassler seine Rotpeter-Passagen vor, während Pavian Jeany auf einem kleinen Podest neben ihm im Lichtkegel sitzt. Immer wieder schüttelt das Tier wie wild den Kopf, was natürlich für viel Gelächter sorgt. Der Affe hätte allen Grund, zurückzulachen.
Die nächsten Vorstellungen am 21. Februar sowie am 7. und 30. März, 19.30 Uhr.