Kunstfund von München: Cornelius Gurlitt: Der alte Mann und sein Schatz
Mit einer Reporterin hat Cornelius Gurlitt nun erstmals über seine Beweggründe gesprochen, 1406 zum Teil verschollen geglaubte Kunstwerke über Jahrzehnte in der eigenen Wohnung gelagert zu haben. Dabei offenbart sich einer, der sich ohne jeden Zweifel für den rechtmäßigen Besitzer der Sammlung hält.
Es mutet seltsam an, wenn man in Schwabing von der Münchner Freiheit die 300 Meter zum Artur-Kutscher-Platz geht. Im Haus Nr. 1 wohnt das derzeit gefragteste Phantom Deutschlands: der Kunsthändlersohn Cornelius Gurlitt, 80 Jahre, der dort in seiner 100-Quadratmeter-Wohnung die 1406 von seinem Vater geerbten Bilder hütete, dem „Schatz von Schwabing“. Jahrzehnte hatte er mit den Kunstwerken hier gelebt, unentdeckt, unbekannt – und doch mittendrin im berühmtesten Viertel Münchens. Von außen wirkt der Klotz, typisch 70er Jahre, etwas heruntergekommen, sieben Stockwerke, fünf Wohnungen pro Etage. Auf dem Messingklingelschild am Eingang steht Gurlitts Name, fünfter Stock. Innen wirkt alles tiptop, ein quadratisches Atrium bildet das Zentrum, durch Scheiben an der hohen Decke dringt Tageslicht herein.
Cornelius Gurlitt ist ein zarter Greis
Cornelius Gurlitt. Ein zarter Greis, schütteres Haar, kindlicher Blick, staunend, verschreckt. So ist er jetzt im „Spiegel“ zu sehen. Die Reporterin Özlem Gezer hat ihn letzte Woche auf einer Dreitagereise zum Arzt begleitet, erstmals spricht das Phantom. Und erweist sich als ein Mann, der die Welt nicht versteht, weil er in seiner eigenen lebt, einer vergangenen, verblichenen Zeit. Ohne Rente, ohne Krankenversicherung, ohne Freunde, ohne Fernseher, ohne Internet, ohne Kontakt zur Gegenwart. Er hat sich in seiner Wohnung verkrochen, seit Anfang November die Beschlagnahme von 2012 bekannt wurde. „Warum jagen die mich?“ Er hat keinen Anwalt, er braucht keinen, glaubt er. „Ich habe noch nie eine Straftat begangen, und selbst wenn, wäre das verjährt.“ Er ist sich keines Unrechts bewusst, wollte sich immer korrekt verhalten, auch bei den Kunstverkäufen in die Schweiz, wegen denen die Zollfahndung auf ihn aufmerksam wurde. Nie, so beteuert er, habe er etwas illegal und unverzollt über die Grenze gebracht.
Man hätte doch warten können, "bis ich tot bin"
Gurlitt, aufgewachsen in Hamburg und Dresden, Odenwald-Internatszögling, Kunsthistoriker mit abgebrochenem Studium. Der schwache Sohn eines starken Vaters? Laut „Spiegel“ leidet er darunter, dass er das Erbe des Vaters, dass er Beckmann, Matisse und Chagall nicht vor dem Zugriff der Behörden schützen konnte, vor den „Fremden“, wie er es nennt. Anders als sein Vater, der Kunsthändler Hildebrand Gurlitt, der sie vor dem Krieg und den Alliierten gerettet habe. Der Staatsanwalt müsse den Ruf seines Vaters geraderücken, sagt Gurlitt. Und dass sie mit der Beschlagnahme hätten warten können, „bis ich tot bin“. Und dass er "freiwillig" nichts zurückgeben wolle von dem, was schon seit anderthalb Jahren anderswo lagert. Er wundert sich, dass ihm die Rückgabe einiger Bilder schriftlich angekündigt wurde, aber die Augsburger Staatsanwaltschaft sich ansonsten nicht bei ihm gemeldet habe. Am meisten wundert er sich über die Riesenaufregung um seinen Kunstschatz.
Cornelius Gurlitt: "Ich bin doch nicht Boris Becker"
„Ich bin doch nicht Boris Becker, was wollen diese Menschen nur von mir? Ich bin doch etwas ganz Stilles.“ In München, vor seinem Haus, wundert man sich, dass der stille Mann nicht etwa raus in die Stille gezogen ist, etwa an den Starnberger See in ein Haus mit hohen Schutzmauern. Nein, luftig lebte er, im fünften Stock, inmitten des Schwabinger Lebens. Es ist eine gute Lage am Artur-Kutscher-Platz, mit der Lach- und Schießgesellschaft gleich um die Ecke. Zum Englischen Garten mit dem Kleinhesseloher See sind es nur ein paar Schritte.
Patrick Guyton, Christiane Peitz