Pionier der Underground-Szene: Comiczeichner Richard Corben gestorben
Richard Corben war in den 1970er und 80er Jahren einer der Protagonisten des modernen Comics. Jetzt ist er mit 80 an den Folgen einer Herzoperation gestorben.
Muskulöse Helden, leicht oder unbekleidete, dralle Frauen vor Endzeitkulissen – vor allem diese typische Darstellung des menschlichen Körpers prägt sich ein, wenn man an Richard Corbens Fantasy-Comicwelten denkt. Doch das wäre zu kurz gegriffen. Seine Muskelmänner sind selten Helden in klassischem Sinne, sondern gebrochene, oft innerlich zerrissene oder traumatisierte Charaktere voller Widersprüche. Die sexy Frauen wiederum sind keine Objekte, sie sind den Herren der Schöpfung in puncto Selbstvertrauen oft überlegen und zeichnen sich durch Intelligenz und körperliche Stärke aus.
Am 2. Dezember ist Corben im Alter von 80 Jahren an den Folgen einer Herzoperation gestorben, wie am Donnerstag bekannt wurde. Seine Frau Dona Corben schrieb dies in einer bei Facebook veröffentlichten Mitteilung.
Der am 1. Oktober 1940 geborene Richard Corben war jenen Lesern ein fester Begriff, die den Boom der „Erwachsenencomics“ in den 1980er Jahren miterlebt haben, vor allem im (1984 aufgegebenen) Volksverlag wurden zahlreiche Bücher von ihm publiziert und in dessen Magazin „Schwermetall“. In der vergangenen Dekade erschienen nur noch vereinzelt Übersetzungen seiner Werke, wie etwa Corbens „Bigfoot“-Version nach einem Szenario von Steve Niles und Rob Zombie (Cross Cult 2009).
Das erste Comic-Buch, das als „Graphic Novel“ angepriesen wurde
Ende der 1970er, Anfang der 80er Jahre wurde er durch epische Fantasy- und Science-Fiction-Werke wie „Den“ oder das im November 2020 im Splitter-Verlag neu aufgelegte „Mutantenwelt“ berühmt, die stilistisch und inhaltlich aber die Genregrenzen sprengten, frei von gängigen Stereotypen sind und ganz neue Seherfahrungen zuließen.
Nebenbei erwähnt sei, dass seine erste in Buchform erschienene Erzählung „Bloodstar“ (eine Adaption einer Geschichte des „Conan“-Autors Robert E. Howard), 1976 das erste Comic-Buch war, das im Schutzumschlag als „Graphic Novel“ angepriesen wurde – zwei Jahre vor Will Eisners „Vertrag mit Gott“. Eisner war selbst ein großer Fan des damals jungen Zeichners Corben.
Der in Anderson, Missouri geborene Richard Corben war schon Ende der 60er Jahre ein Protagonist der amerikanischen Underground-Zeichnerszene. Bevor er durch Veröffentlichungen im bahnbrechenden, 1975 von Jean Giraud/Moebius und weiteren Künstlern gegründeten französischen Comic-Magazin „Métal Hurlant“ (dass später als „Heavy Metal“ in den USA und als „Schwermetall“ in Deutschland erschien) weltbekannt wurde, veröffentlichte er in vielen kleinen Undergroundmagazinen. Ohne Zweifel war Richard Corben einer der wichtigsten Modernisierer des amerikanischen Comics, vergleichbar mit Moebius in Europa.
Körperkult und schwarzer Humor
Von Anfang an entwickelte er seinen markanten Stil, der zwischen Karikatur und Naturalismus schwankt, sich vor allem aber durch eine ausdrucksstarke Farbgebung auszeichnet, die er unter anderem mit Airbrushtechnik und durch Eingriffe in die Drucktechnik erreichte. Sofort wiedererkennbar sind seine Zeichnungen auch durch die enorme Plastizität in der Körperdarstellung, die höchste anatomische Kenntnisse verraten und nicht selten eine dreidimensionale Wirkung erzeugen. Corbens eigensinniger Körperkult um seine Protagonisten wird meist durch groteske Elemente und einen hintersinnigen schwarzen Humor konterkariert.
Die ersten professionellen Veröffentlichungen hatte Richard Corben in den Comic-Magazinen des Warren-Verlages, der seit Anfang der 1960er Jahre auf das Horrorgenre spezialisiert war. (Eine Ausgabe des Comicfachmagazins „Reddition“ widmete sich vor einigen Jahren dem vielfältigen Wirken des Warren Verlages und stellt seine wichtigsten Künstler vor). Richard Corbens Talent wurde schnell erkannt und er wurde vertraglich dazu verpflichtet, für die Horror-Magazine „Creepy“ und „Eerie“ eine immense Menge an Stories in Comicform umzusetzen. Eine Gesamtausgabe dieser zwischen 1970 und 1978 entstandenen vierzig Short Storys ist vor sechs Jahren im Splitter Verlag erschienen (eine Übersetzung der amerikanischen Dark Horse-Ausgabe).
Der Band zeigte eindrucksvoll die Entwicklung Richard Corbens auf – und seine Wandelbarkeit im Umgang mit Stoffen und Stilen. Während die ersten der chronologisch angeordneten Geschichten meist in Schwarzweiß und noch recht grob gezeichnet sind – was zu den oft kruden Horrorstorys nur allzu gut passt-, verfeinert Corben seinen Stil immer mehr, variiert von Story zu Story den Stil und passt das Seitenlayout der jeweiligen Stimmung an.
Wiederbelebte Mumien und meuchelnde Weihnachtsmänner
Schon mit seiner ersten Farbarbeit, der Werwolfgeschichte „Lycanklutz“, entwickelte er seinen typischen, vollkommen neuartigen Umgang mit der Farbe (kräftige, antinaturalistische Farben, die die Plastizität der Charaktere und des Dekors unterstützen) und hatte damit auch enormen Erfolg bei der Leserschaft. Der Coffeetable-dicke Band bietet eine bunte Mischung von Geschichten unterschiedlicher Qualität, die von wiederbelebten Mumien, Lovecraft´schen Dämonen oder meuchelnden Weihnachtsmännern handeln - auf die heute inflationär auftretenden Zombies wird weitgehend verzichtet.
Die meisten Stories wurden von professionellen Szenaristen geschrieben, die Corben dann umsetzte. In der Zusammenarbeit mit Autoren wie Bruce Jones, Richard Margopoulos oder Jan Strnad schuf Corben einige seiner besten Arbeiten. Besonders hervorzuheben sind drei Edgar-Allan-Poe-Adaptionen, die zum Inspiriertesten gehören, was Corben je gezeichnet hat („Das ovale Porträt“, „Der Rabe“ und „Schatten“).
Um den Meister des Schreckens adäquat umzusetzen, verzichtet er vollkommen auf grobe Effekte oder sonstige Manierismen des Genres, konzentriert sich ganz auf subtile Zwischentöne und beweist psychologisches Einfühlungsvermögen im Umgang mit den Charakteren. „Der Rabe“ ist ein Musterbeispiel dafür, wie filmische Erzählweise im Comic funktionieren kann. Nah- und Detailaufnahmen (im Auge des Raben spiegelt sich der Erzähler) wechseln mit Totalen und Erinnerungsbildern, die Schwingen des Raben verwandeln sich von Bild zu Bild in ein Grabkreuz. Die ebenso eindringliche, bewusst in schwarzweiß gehaltene Adaption von Poes „Das ovale Portrait“ liegt hier in deutlich besserer Reproduktion vor als in früheren Ausgaben, in denen manche Details der Zeichnungen kaum erkennbar waren.
Neben diesen Klassikern gibt es berührende Geschichten wie „The Hero Within“ (Text: Steve Skeates), in dem ein schwächlicher Junge, der in einer lieblosen Pflegefamilie aufwächst, sich in seiner Phantasie ein starkes Alter Ego erträumt. Nicht minder ergreifend ist die an den Frankenstein-Stoff erinnernde, dreiteilige Erzählung „Kind“ um einen künstlich erschaffenen Menschen mit Kindergesicht und ebensolchem Gemüt. Grausamkeiten sind allerdings auch in diesen Geschichten zu finden – insbesondere in den Schlusspointen - zarte Gemüter seien gewarnt! „The Butcher“ ist eine fiese Gangster-Pulp-Story, in der ein Gangster seinen Vater und seine Brüder meuchelt, um zum neuen Paten aufzusteigen.
Wiederentdeckung eines alten Meisters
Eine der inhaltlich wie grafisch vollendetsten Storys ist die vom Film „Jaws“ („Der weiße Hai“) inspirierte Geschichte „In Deep“ um ein Paar, das auf offenem Meer mit seinem Segelboot schiffsbrüchig wird und an einen Rettungsring geklammert umhertreibt – bis die Haie kommen. Die fast fotorealistisch gestaltete Szenerie, die vor allem aus Meer, Himmel und unterschiedlichen Lichtstimmungen besteht, erstrahlt in leuchtend-schönen Farben und steht im Kontrast zum grauenerregenden Geschehen.
Science-Fiction-Fans kommen unter anderem bei der dreiteiligen Geschichte „Within you… Without you“ (Text: Bruce Jones) auf ihre Kosten, in der eine typische Corben-Heroine – dralle Blondine, zugleich eigensinnige Wissenschaftlerin – auf Zeitreise-Mission in der Urzeit unterwegs ist. Doch nicht nur Saurier stellen hier eine Gefahr dar, vielmehr der Wunsch des Menschen, in die Geschichte einzugreifen. Eine actionreiche und zugleich intelligente „Avatar“-Variante mit überraschenden inhaltlichen Wendepunkten.
Auch wenn nicht jede Story ein Meisterwerk ist – die meisten bieten soliden Grusel und liegen durch die Restaurierung in deutlich besserer Qualität vor als in früheren Ausgaben. Sie laden zur Wiederentdeckung eines etwas aus dem Rampenlicht getretenen Meisters ein.
Richard Corben, Creepy – Gesamtausgabe, Splitter, 350 Seiten, 49,80 Euro. Mutantenwelt / Sohn der Mutantenwelt, Splitter, 160 Seiten, 35 Euro.
Dazu empfehlenswert: Reddition Nr. 59 Dossier „Warrens Horror-Magazine“, 76 S., 10 Euro.
Redaktioneller Hinweis: Dieser Artikel wurde erstmals 2014 auf den Comicseiten des Tagesspiegels veröffentlicht und jetzt nach Bekanntwerden des Todes von Richard Corben aktualisiert.
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität