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Bradley Cooper ist der „American Sniper“.
© dpa

Bradley Cooper als "American Sniper": Clint Eastwood inszeniert den amerikanischen Albtraum

"American Sniper" erzählt vom Soldaten Chris Kyle, der im Irak-Krieg als Scharfschütze 150 Menschen tötete. Mit diesem Film bedient Regisseur Clint Eastwood das Bedürfnis seiner Landesleute nach Legenden.

Kann ein vielfach ausgezeichneter Kriegsheld zugleich ein sadistischer Killer sein? Natürlich. Wer 150 bewaffnete Feinde tötet, und sei es aus purem Vergnügen am Anblick von Menschen, die vor seinen Augen verenden, hat damit 150 individuelle Angriffe auf die eigenen Kameraden vereitelt. In gewisser Weise gilt das auch für die scheußlichste Heldenvariante, den Scharfschützen, der aus sicherer Entfernung via Zielfernrohr abknallt. Kriegsheld bleibt Kriegsheld, selbst wenn er später extrem publikumswirksam seine Freude am dienstlichen Morden feiert. Hauptsache, das Abschlachten geschah letztlich aus Vaterlandsliebe. Die deckt im sogenannten Verteidigungsfall ohnehin alles zu.

Chris Kyle war exakt so ein Typ. Vier Einsätze hatte er im Irak hinter sich, 1000 Tage zwischen 2003 und 2009, bevor ihn ein 25-jähriger kriegstraumatisierter Veteran in seiner Heimat Texas Anfang Februar 2013 erschoss. Erst wenige Monate zuvor hatte Kyle, Vater eines Sohnes und einer Tochter, mit 38 Jahren seine Autobiografie „American Sniper“ veröffentlicht, in der er sich als „tödlichster Scharfschütze der US-Militärgeschichte“ rühmt. Das Buch, das den Blutrausch als „geliebten Spaß“ feiert und ihn mit einer ordentlichen Portion Patriotismus gewissermaßen sakrosankt macht, wurde in den USA ein Bestseller. Gruselig genug: Knapp eine Million Leser delektierten sich an Sätzen wie „Ich scheiße auf die Iraker“ und „Ich hasse die verdammten Wilden“.

In den ersten vier Wochen hat der Film in den USA 300 Millionen Dollar eingespielt

Kann man einen solchen Charakter eins zu eins auf die Leinwand bringen, zumindest wenn man es auf Breitenwirksamkeit anlegt? Kaum. Folglich geht Clint Eastwoods „American Sniper“, der binnen vier Wochen sagenhafte 300 Millionen Dollar eingespielt hat und für sechs Oscars nominiert ist, in Sachen Heldenpsychologie und historischer Faktentreue extrem weite Wege. „Based on a true story“, im Filmgeschäft modisches Markenzeichen für jedwede realitätsbezogene Relevanz, ist hier allenfalls der grobe biografische Rahmen. Das große Schlachten im Irak bleibt – als Vergeltung für 9/11 – eine moralisch durchweg saubere Sache, und Chris Kyle alias Bradley Cooper ihr weißgewaschener Held: unbesiegbar am Zielfernrohr, aber auch im Nahkampf als Verstärkung für die tapferen Kameraden. Kyle geht auch ins Risiko – und ist stets vernünftig, umsichtig, fair. Gegen diesen mustergültigen Soldaten wirken sogar Feldprediger wie harte Hunde.

„The Legend“ wird Chris Kyle spätestens nach dem ersten Irak-Einsatz von seiner Navy-Seals-Einheit und den Marines genannt. Tatsächlich inszeniert Clint Eastwood entschieden eine Legende: den Mythos vom untadeligen Landser in neuzeitlichem Gewand. Sein „Rohr entjungfern“ muss Kyle zwar durch Doppeltötung einer Frau und ihres Sohns, aber wenn die beiden doch gerade einen US-Panzer per Granate explodieren lassen wollen? Später wird er, selber Vater geworden, vor dem Schuss auf einen Jungen in ähnlicher Situation beschwörend murmeln, das Kind möge die Waffe loslassen und davonrennen. Und also geschieht es, und Kyle darf – wenigstens einmal – ein sicheres Opfer verschonen.

Immer wieder führt Eastwood seinen Helden in Situationen, in denen er Kampfkraft und zugleich moralische Integrität beweist. Als im Häuserkampf die Lage für die Marines brenzlig wird, verlässt Kyle kurzerhand seinen Schießplatz und eilt ihnen zu Hilfe. Verhöre von irakischen Familien gestalten sich zartfühlender als noch im sanftesten „Tatort“: Nahezu entschuldigend werden Verdächtigen Fotos von Terror-Bossen hingereicht. Nur wenn sich die Schurken eindeutig als Schurken erweisen, wird – Mann gegen Mann, oder auch guter Sniper Chris gegen bösen Iraki-Sniper, der gern spiderman-like über ganze Gassen hinwegfliegt – kurzer Prozess gemacht. Waren die Amerikaner ihren Gegnern in diesem Krieg nicht zumindest militärlogistisch haushoch überlegen? Im Film schwebt ein einziges Mal eine einsame Drohne durchs Bild. Horrorgefängnis Abu Ghraib, CIA-Folterbericht? Nie gehört.

Richtig stark dagegen wird der in seinen zahlreichen Kampfszenen fraglos spannend inszenierte Kriegsfilm vor allem an der Heimatfront. Chris’ Besuche bei seiner Frau Taya (Sienna Miller) und den Kindern belegen seine dramatisch wachsende Entfremdung vom Zivilleben. Jedes Geräusch macht ihn hyperwachsam, und einmal ist er – zum Entsetzen einer Kindergeburtstagsgesellschaft – gerade noch davon abzubringen, einen etwas eifrig spielenden Hund mit ein paar Faustschlägen zu erledigen. Als Kämpferin erweist sich hier vor allem Taya, sie hält ihren Mann fordernd, aber mit aller Liebe und Sorge in der Welt.

Verglichen aber etwa mit Kathryn Bigelows Filmen „The Hurt Locker“ (Oscar-Gewinner 2010) und „Zero Dark Thirty“ (2012) bleibt Eastwoods Blick auf den Irakkrieg und die seelischen Versehrungen, die er allen Beteiligten antut, erschreckend altmodisch und eindimensional. Dass er nun bei den Oscars mitmischt, ist dem amerikanischen Grundbedürfnis nach Legenden geschuldet – und der aktuellen Sehnsucht, die schmutzige Erinnerung an den Irakkrieg zu überschminken.

Der zweifache Oscar-Preisträger Eastwood („Erbarmungslos“, „Million Dollar Baby“) macht es dem Publikum insofern leicht, als es sich mit einem nachdenklichen, besonnenen Helden identifizieren darf, und entsprechend verhalten setzt er den finalen Zapfenstreich in Szene. „American Sniper“ aber bleibt massive historische und biografische Schönfärberei, und das macht einen dritten Oscar-Triumph unwahrscheinlich.

Ab Donnerstag in den Kinos

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