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Christian Gerhaher und Gerold Huber: Nachtviolen. Schubertlieder.
© promo

Klassik-Cd  der Woche: "Nachtviolen": Christian Gerhaher, der skeptische Wanderer

Bariton Christian Gerhaher präsentiert auf seiner neuen CD "Nachtviolen" eine persönliche Auswahl an Schubert-Liedern - dabei viel und selten Gehörtes, aber auch Überhörtes.

Sieht man sich Porträts von Christian Gerhaher an, kann man kaum glauben, dass gegenwärtig nur wenige Sänger so gefragt sind auf Erden wie dieser immer etwas missmutig dreinblickende Mann. Fern liegt seinem Ausdruck jeglicher Anflug von Triumph, selbst eine nur vorübergehende Zufriedenheit würde man ihm nicht zutrauen. Lange musste man Gerhaher bitten, drängen, beschwören, sein Leben ganz dem Gesang zu widmen. Der Bariton, 1969 in Straubing geboren, schloss sein Medizinstudium ab, während er – all seinen Skrupeln zum Trotz – erste Preise bei Wettbewerben gewann. Unendlich lange her scheint das, wenn man Gerhahers aktuelle Erfolgsliste betrachtet, die ihn gewiss dazu anhalten würde, über das unauflösliche Ineinander von Singen und Niedergang zu sinnieren. In Frankfurt gestaltete er einen abgründig schwermütigen Don Giovanni, in München jüngst Orfeo als krassen Außenseiter in einem bunten Hippie-Spektakel. Gerhaher, der an allem zweifelt, scheint alles zu können. Was für eine wunderbare romantische Paradoxie.

Sie durchweht auch sein neues Album mit einer persönlichen Auswahl an Schubert-Liedern, wie immer am Klavier begleitet von Gerold Huber. „Persönlich“ darf hier nicht mit Bekenntnis verwechselt werden, mit Gradlinigkeit oder gar pädagogischem Eifer des Gesangsprofessors und Bewunderers von Dietrich Fischer-Dieskau. Weit aufgetan wird hier der Horizont, unter dem sich Hymnen, Balladen und Volkslieder spannen, viel und selten Gehörtes, auch Überhörtes. In jeden Frühlingsgruß ist der Herbst eingeschrieben, jedem Freundesgedenken der Abschied. So eine Aufnahme im Sommer, im vollen Festivalgetümmel zu veröffentlichen zeigt, wie sehr man Gerhaher zutraut, hinter die Klischees von Weltschmerz und wohlfeiler Rührung zu schauen.

„Nachtviolen“ heißt die CD, auf der es dem Bariton abermals gelingt, die inzwischen beinahe aberwitzigen Erwartungen an seine Kunst zu übertreffen. Die titelgebende Blume aus der Familie der Kreuzblütengewächse galt in der Antike als Mittel gegen Melancholie und Schlaflosigkeit. Schubert destilliert aus ihr die wehmütige Hymne auf eine Freundschaft, die im Leben zerbrochen, in der Kunst aber als „heilige Verbindung“ fortdauert. Hier lauert trügerischer Weiheton in jeder Strophe, billiger Trost nebst tränenreicher Selbststilisierung. Gerhaher aber findet seinen Weg hindurch, als ein skeptischer Wanderer, der vieles sah und dem manches davon in sein Singen übergegangen ist. Ja, diesem Sänger folgt man gar ins Grab, wo er uns eine hintersinnige Vorstellung davon gibt, wie weich die Erdschollen einst über uns liegen werden. Eine Sternstunde, flankiert von einem überraschend lesbaren wie lesenswertem Booklet.

(Erschienen bei Sony.)

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