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Bariton Christian Gerhaher.
© dpa

Christian Gerhaher singt „Die schöne Müllerin“: Schmerz und Hingabe

An diesem Abend erklingt kein lauter Ton bei Schuberts Liedzyklus "Die schöne Müllerin". Bariton Christian Gerhaher nimmt sein Publikum mit auf diese Reise, mit jedem Wort.

Mit einem leichten Poltern setzt der Pianist Gerold Huber ein schweres Mühlrad in Gang: Das Wandern ist des Müllers Lust – gleich ist man in eine ferne romantische Welt entrückt, ahnt nicht, zu welcher Erschütterung die rüstig begonnene Reise führen wird und dass man für den munteren Müllergesellen eine Träne verdrücken wird, wenn ihn der Bach zum Schluss zärtlich zur ewigen Ruh’ wiegt.

Christian Gerhaher nimmt sein Publikum mit auf diese Reise, mit jedem Wort. Kein lauter Ton erklingt an diesem Abend bei Schuberts Liedzyklus „Die schöne Müllerin“ im Kammermusiksaal. Niemals bricht Gerhaher die Intimität des Zwiegesprächs mit sich selbst auf, so wenig Druck lastet auf seinem sanften Bariton, so weich und natürlich sind die Stimmeinsätze platziert, so nahtlos die Übergänge zwischen Registern und Dynamiken: eine Vollkommenheit, die immer wieder vergessen lässt, dass Gerhaher singt.

Der international gefragte Bariton entfaltet außergewöhnliche Präsenz – nicht nur im Lied. Das hat er in dieser Saison als Artist in Residence der Berliner Philharmoniker – der erste Sänger seit Bestehen des Programms – bereits mit einem vielfältigen Repertoire unter Beweis gestellt. Das Gespräch mit dem Bächlein könnte plastischer, lebendiger nicht sein, ob nun im optimistischen „Wohin?“, in dem Gerhaher über der flach plätschernden Begleitung in großen Phrasen nach vorne denkt, oder in der beseelten „Danksagung an den Bach“, in der er die Töne wie das zerbrechliche Glück des jungen Müllergesellen am liebsten festhalten möchte. Er bringt sein dramatisches Potenzial in sublimierter Form zur Geltung, zeichnet mit phänomenaler Nähe am Sprachduktus ein Psychogramm des liebeskranken Müllergesellen, das von keifenden Eifersuchtsanfällen auf den verhassten Jäger bis zur größtmöglichen Erbitterung über den Liebesverlust jede Gefühlsnuance ausleuchtet. Mit maximaler Einfachheit steuert das vielfach ausgezeichnete Duo Gerhaher/Huber den kritischen Momenten entgegen, in denen die Musik zu überschwänglicher Hingabe verführt. Größten Schmerz und größtes Glück kehren sie mit Contenance nach innen, lassen den Zuhörer dieses Innerste aber einsehen, ja geradezu betreten.

So sensibilisiert kann einem nichts mehr entgehen: nicht das immer schnellere Sterben der Phrasen gegen Ende des Zyklus, nicht die pointierte Einsilbigkeit des Klaviers ohne Nachhall in „Trockene Blumen“, nicht der ermattete Puls in „Des Baches Wiegenlied“, der in Gerhahers und Hubers Interpretation Tür an Tür wohnt mit dem anderen großen Jenseitstaumel der Schubert’schen Liedzyklen, dem „Leiermann“ am Ende der „Winterreise“, die die beiden am heutigen Dienstag im Kammermusiksaal zu Gehör bringen werden.

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