Neil MacGregor kommt ans Humboldt-Forum: Bühne der Weltgesellschaft
Neil MacGregor wurde für das Amt des Gründungsintendanten des Berliner Humboldt-Forums berufen. Nun muss er es mit Leben füllen.
Goethe in der römischen Campagna, diese nationale Ikone von 1787, und dazu das schmiedeeiserne Tor des Konzentrationslagers Buchenwald – derart disparate Objekte hat Neil MacGregor im vergangenen Jahr zusammengebracht und daraus eine Geschichte geformt. Eine Ausstellung, die unter dem Titel „Deutschland. Erinnerungen einer Nation“ dem nachspürte, was Objekte transportieren: Erinnerungen, Gefühle, Mentalitäten. Die Ausstellung des British Museum in London, hoch gelobt und viel besucht, entpuppte sich als das unbeabsichtigte Bewerbungsschreiben MacGregors für das Amt des Gründungsintendanten des Berliner Humboldt-Forums, in das er nunmehr berufen wurde.
Im Humboldt-Forum würde MacGregor, in etlichen Gebieten des Wissens zuhause, nicht gleichermaßen mit den Objekten spielen können – wenn er denn noch da ist, im Spätherbst 2019, wenn das Humboldt-Forum schließlich eröffnen soll. Seine Amtszeit ist zunächst auf zwei Jahre begrenzt und wird einige Konzeptpapiere produzieren, nicht aber das Haptische einer Ausstellung, das MacGregor so eindrücklich beherrscht. An 100 Objekten hat er die Geschichte der Welt erzählt, in einem erfolgreichen Buch; 100 Objekten „seines“ Museums, das mit zehn Millionen Sammlungsstücken die Kulturen der ganzen Welt abbildet, nicht „in einer Nussschale“, aber doch in einem einzigen, weitläufigen Gebäude.
Um die ganze Welt soll es auch im Humboldt-Forum gehen, nur weiß noch niemand genau, wie. Es sind viele Worthülsen verschossen worden, wie es gar nicht anders sein kann, wenn ein Projekt von solchem, noch ganz unbekannten Ausmaß Gestalt annehmen soll. MacGregors Aufgabe wird es unter anderem sein, zu verdeutlichen, wie das Gespräch der Weltgesellschaft, wie das friedliche Austragen auch von anderenorts auf diesem Globus blutig ausgefochtenen Kontroversen aussehen könnte. Dafür hat ihn Kulturstaatsministerin Monika Grütters geholt, deren Wunschkandidat er war, spätestens seit sie seine Deutschland-Ausstellung besucht hat.
Neil MacGregor stehen Hermann Parzinger und Host Bredekamp zur Seite
Vernetzt sein zählt heutzutage, und da kann MacGregor, der in seinem Haus Ausstellungen aus und über alle Weltkulturgegenden veranstaltet hat, bestens mithalten – mit dem unschätzbaren Plus, über eine ganz altmodisch umfassende Bildung zu verfügen. Die aber braucht es, um das Hineindrängen des nur Modischen energisch abzuwehren.
Darüber wird MacGregor sprechen. Ihm zur Seite stehen mit Hermann Parzinger als Präsident der Stiftung Preußischer Museumsbesitz, deren Staatliche Museen den Hauptteil des Ausstellungsgeschehens schultern werden, und Horst Bredekamp, der die Humboldt-Universität als Hort von Objekten eigener Art erst wieder bekannt gemacht hat, zwei Wissenschaftler nicht nur erwiesenen Ranges, sondern auch bereit, über Fachgrenzen hinaus zu denken. Beispielsweise hat Bredekamp viel zum Verständnis barocker Wunderkammern beigetragen – eine solche war einst im Schloss beheimatet und kehrt in gewandelter Form, aber mit durchaus verwandten Objekten zurück. Und der Archäologe Parzinger weiß, welche mehrfachen Bedeutungswandel Objekte durchleben, vom Zeitpunkt ihrer Herstellung vor womöglich tausenden von Jahren bis zur (vorläufigen) Endstation im westlich-aufgeklärten Museum.
Wie sehr wird sich Frank-Walter Steinmeier am Humboldt-Forum engagieren?
Noch sehr im Nebulösen liegt die als „Agora“ geadelte Veranstaltungsstätte des Humboldt-Forums. Denn die Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst, die das Gros der zu zeigenden Objekte stellen, sprechen nicht unmittelbar. Sie sind auch nicht beliebig zu bewegen, auszutauschen, immer wieder neu und anders zu arrangieren. Sie müssen zum Sprechen gebracht werden durch ein Veranstaltungsprogramm, das den herkömmlichen Begriff des Museums dehnt und erweitert. Unter diesem Aspekt ist es aufschlussreich, wie sehr sich Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier für das Humboldt-Forum engagiert; so dass er die jüngste Botschafterkonferenz, die Versammlung aller deutschen Vertreter im Ausland, in den Schloss-Rohbau lud, um mit diesem künftigen Ort auch der Auswärtigen Kulturpolitik bekannt zu machen. Und was den Botschaftern dort musikalisch als „Heimatklänge“ präsentiert wurde, war Musik verschiedener Kulturen, die in Deutschland eine zweite, neue Heimat gefunden haben.
Es sind also womöglich noch gar nicht alle Akteure recht benannt, die dem Humboldt-Forum Profil geben können. Neil MacGregor hat im British Museum auch Ausstellungen von Gastkuratoren gezeigt, so beispielsweise eine Ausstellung über die islamische Pilgerfahrt, die Hajj, die von Saudi-Arabien gestaltet wurde. Das war, gelinde gesagt, nicht unproblematisch. Dass das aufgeklärte Verständnis von Werturteilsfreiheit sich mit den propagandistischen Absichten anderer Akteure reiben kann, wird am Humboldt-Forum nicht nur erwartet, sondern auch ausgehalten werden müssen, wenn es überhaupt zu einem Dialog der Kulturen und nicht zum clash of civilizations kommen soll.
Michael Müllers "Welt.Stadt.Berlin"-Konzept muss deutlich vertieft werden
Gegenüber solchen konzeptionellen Fragen nehmen sich die organisatorischen Aufgaben lösbar aus, die vor der Gründungsintendanz und dem diplomatischen Geschick MacGregors liegen. Gut möglich, dass die Struktur dieses temporären Gremiums bereits die dauerhaften Strukturen der Institution Humboldt-Forum vorwegnehmen. Und dann das Geld: Da hat sich Monika Grütters bei den Bundestags-Haushältern hoffentlich bereits soweit abgesichert, dass der von Hermann Parzinger auf 30 bis 50 Millionen Euro bezifferte Jahresetat des Humboldt-Forums tatsächlich bewilligt wird.
Über die 4000 Quadratmeter, die das Land Berlin ursprünglich mit einem Beitrag seiner Landesbibliothek zum Thema „Welt der Sprachen“ bespielen wollte, muss neu gedacht werden. Was der Regierende Bürgermeister Michael Müller unter dem Titel „Welt.Stadt.Berlin“ als Beitrag der Stadt vorschlägt, muss noch deutlich vertieft werden. Wenn Berlin sich vorstellen soll, dann doch wohl als Drehscheibe, Konfliktstätte, als Mikrokosmos eben desjenigen „Kosmos“, den der eine Humboldt, Alexander, so wortmächtig beschrieb. Während der andere, Wilhelm, die Bildung zur Grundlage des Gemeinwesens erklärte, als deren späte Blüte das Humboldt-Forum Gestalt annimmt.