„Das Tagebuch der Anne Frank“ als Comic: Briefe aus dem Hinterhaus
Ari Folman und David Polonsky haben Anne Franks Aufzeichnungen als Comic umgesetzt. Der eignet sich vor allem für jüngere Leser als Einstieg ins Thema.
Es ist ein besonderes Geschenk, das Anne von ihren Eltern zum 13. Geburtstag bekommen hat: ein Tagebuch. Anne beschließt, es „Kitty“ zu nennen und es fortan wie ihre beste Freundin zu behandeln, der sie alles anvertrauen kann. Im Juni 1942 bekommt Annelies Marie Frank ihr erstes Tagebuch geschenkt, das sie bis zum 1. August 1944 weiterführen sollte. Am 4. August wird die Familie Frank in ihrem Versteck in der Prinsengracht 263 verhaftet. Anne, ihre Mutter und ihre Schwester sterben in Konzentrationslagern, nur ihr Vater Otto Frank überlebt und veröffentlicht Annes Aufzeichnungen erstmals 1947 in den Niederlanden. Anne Frank sollte dadurch weltberühmt werden.
Das Besondere: aus der Sicht einer jungen Jüdin erfuhr der damalige Leser aus erster Hand die Einzelheiten der Judenverfolgung im während des Zweiten Weltkrieges besetzten Amsterdam. Nachdem die Franks zuvor bereits vor den Nazis aus Frankfurt am Main nach Holland geflohen waren, konnten sie sich zunächst noch frei in Amsterdam bewegen. Angesichts zunehmender Repressionen und wachsender Bedrohung beschloss der Vater, seine Familie und eine weitere jüdische Familie im Hinterhaus seiner eigenen Firma zu verstecken...
Das selbe Team wie bei „Waltz with Bashir“
Nun ist „Das Tagebuch der Anne Frank“ auch als „Graphic Diary“ bei S. Fischer erschienen. Es ist bereits die zweite Comicversion, nachdem der Stoff schon für die Bühne und für mehrere Filme adaptiert wurde.
Der 1962 in Haifa geborene Autor und Filmemacher Ari Folman, selbst Kind von Holocaust-Überlebenden, hat das Szenario geschrieben, das dem Illustrator David Polonsky (geboren 1973 in Kiew) als Vorlage für das Graphic Diary diente.
Die beiden hatten bereits 2008 am Film (und der gleichnamigen Graphic Novel) „Waltz with Bashir“ zusammengearbeitet, der vom Bürgerkrieg im Libanon erzählte.
Folman strebte eine kompakte, trotzdem anschauliche Comicversion des Tagebuchs an und musste dafür eine Auswahl aus dem rund 300seitigen Originaltext treffen. Das Ergebnis bleibt eng am Original, verdichtet die beschriebenen Geschehnisse behutsam und behält vor allem Annes lockeren wie humorvollen Erzählton bei. So werden Sprechblasen sparsam verwendet, ihre Äußerungen meist in kleine Blöcke über bzw. unter die Bilder gesetzt.
Leichter Zugang für jüngere Leser
Einige wichtige Tagebuchstellen werden vollständig zitiert, sodass der Leser eine Vorstellung von Annes Sprache und ihren oft schon sehr reifen Gedankengängen bekommt, die zunehmend schwermütig ausfallen. Anne hinterfragt zum Beispiel oft das verlogene Verhalten der Erwachsenen und beginnt unter dem dauerhaften Eingesperrtsein zu leiden.
Irritierend erscheint dem Leser womöglich die leuchtende Kolorierung von David Polonskys Bildern, die auf den ersten Blick so gar nicht zur düsteren Thematik zu passen scheint. Doch das Konzept geht auf: die freundliche Farbigkeit erleichtert den Zugang für jüngere Leser und passt gut zu Annes oft ausufernder Phantasie.
Polonskys in klarem Stil gehaltene Zeichnungen sind zugleich detailreich und voller verspielter Bildeinfälle. Variantenreich nutzt er die Möglichkeiten der Seitenlayouts: so füllt einmal der Querschnitt des Verstecks eine ganze Seite aus; oder die Mitglieder der achtköpfigen Schicksalsgemeinschaft werden auf einer Doppelseite am Essenstisch zu unterschiedlichen Tiercharakteren.
Stilsicher greift Polonsky oft zum Mittel der Karikatur und der Überspitzung. Ebenso gelingt es ihm, einfühlsam Annes Gedankenwelt, ihre Alpträume oder auch ihre pubertäre Phantasie in witzige, surreale Bilder zu übertragen.
Vor allem als Einstieg in die Welt der Anne Frank ist das Buch von Ari Folman und David Polonsky bestens geeignet, um auch Interesse für das ganze Tagebuch zu wecken. Und für den Menschen dahinter.
Ari Folman / David Polonsky: Das Tagebuch der Anne Frank, S. Fischer, 160 Seiten, 20 Euro
Ralph Trommer
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