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Wendezeit: Berliner mit Fahne und Transparent "Deutschland Einig Vaterland" im Dezember 1989 auf der Mauer am Brandenburger Tor.
© picture alliance / dpa

Lied der Deutschen: Brauchen wir eine neue Nationalhymne?

Das Gedenken ist groß in diesen Tagen. Und über das Nationale wird viel debattiert: Es könnte die Zeit für eine andere Hymne gekommen sein.

Ein Lied, zwo, drei, vier – halt, stopp! Das fängt falsch an. Es geht nicht um einen strammen Marsch durch die Geschichte, nicht in diesen Zeiten, in denen die Klänge der getragenen Weisen zum Gedenken kaum verhallt sind und schon die nächsten sich ankündigen: Zwischen 100 Jahren nach dem Ersten Weltkrieg und dem Volkstrauertag, an dem wir uns dazu noch der Toten des Zweiten erinnern. Millionen und Abermillionen, die ewige Geschichte vom Sterben und von Ländern in Schutt und Asche, Heimat, zertreten von Knobelbechern.

Von da kommt es her zu uns. Ein Lied, zwo, drei … Stopp. Da regt sich Widerwille: Warum ist die Junge Union so kritisiert worden, als sie gerade in Berlin zum 9. November das Marschlied vom Westerwald und dessen Höhen sang? Weil es als die Höhe empfunden wurde, an diesem Tag so zu singen. Ein Marsch, zur Waffe umgeschmiedet. Und waren es auch nicht alle Lieder – viele wurden von den Nazis so missbraucht, dass sie dem Gebrauch der Waffe dienten. Um Menschen zu einer Waffe zu formen.

Deutschland, deine Lieder. Da, wo über Heimat geredet wird, wo das Wort Volk im Munde geführt wird, wo der Versuch unternommen wird, der böswilligen, bösartigen Umdeutung der Vergangenheit etwas entgegenzusetzen, diese Begriffe zurückzuholen, wie es Ernst Bloch wollte – da ist Musik drin. Buchstäblich.

Der Autor Peter Zudeick kommt hier mit seinem Band „Heimat. Volk. Vaterland“ und seinen kämpferischen Begriffsdefinitionen „gegen rechts“ gerade recht. „Kein schöner Land in dieser Zeit“ mögen wir wohl singen, wenn wir dieser Meinung sind, selbst wenn man darüber streiten kann. Über ein Lied wie „Es zittern die morschen Knochen“ aber nicht, denn das gehört allein den Nazis und soll bei ihnen bleiben: in der Gruft, bedeckt vom Geröll der Geschichte.

Wes Lied ich sing – womit wir beim „Lied der Deutschen“ wären. Wolf Biermann war die Stimme, die eine neue Hymne wollte, als Deutschland sich aus zweien wieder zusammenfand. Und so, wie auf dem Deutschlandtag der Jungen Union weiland in Leipzig-Markkleeberg zu den Klängen, die Haydn komponiert hatte, von etlichen „Auferstanden aus Ruinen“ gesungen wurde – so hätte sich die übrige Politik nichts vergeben, einen neuen Ton zu setzen. Einen, der allen in der deutschen demokratischen Bundesrepublik auf dem Weg zu ihrer neuen gemeinsamen Heimat begleitet hätte.

Helgoland fürs Heldenland

Zumal in diesen Tagen des Gedenkens die Erinnerung daran zurückkehrt. Wird das Lied der Deutschen nicht allenthalben gespielt? Zudeick in seinem „Epilog“ lässt noch einmal wunderbar aufleben, wie der Text von Hoffmann von Fallersleben von Beginn an den Deutsch-Nationen gut in den Ohren klang.

Von Helgoland fürs Heldenland: Als die Insel, wo Hoffmann gedichtet hatte, 1890 deutsch wurde, war „Deutschland, Deutschland über alles“ die Begleitmusik. Auch als das Bismarck-Denkmal vor dem Reichstag im Beisein des Kaisers enthüllt wurde. Und dann, als am 11. November 1914 nach der Schlacht von Langemarck der Mythos behauptet wurde, junge Regimenter seien unter Singen dieses Liedes gegen feindliche Stellungen vorgerückt. Der Mythos vom fröhlichen Sterben.

So wurde 1940 die erste Strophe von den Nazis zur Nationalhymne gemacht, während das „Horst-Wessel-Lied“ als inoffizielle Zweithymne diente. In der Weimarer Republik waren es – auf Veranlassung des sozialdemokratischen Reichspräsidenten Friedrich Ebert – noch alle drei Strophen. Die dritte wiederum war von den Nazis verboten. Und das schlägt einen geschichtlichen Bogen. Nach dem Krieg, dem Zweiten, verboten die Alliierten beide Lieder. Und Gustav Heinemann, der nachmalige dritte Bundespräsident, damals noch Innenminister, wollte wie der erste Bundespräsident Theodor Heuss ein neues Staatslied.

Heuss ließ auch ein neues dichten und komponieren – Konrad Adenauer aber 1950 bei seinem Besuch in Berlin Haydn spielen und die dritte Strophe singen. Ostentative Ablehnung der Stadtkommandanten und harsche Kritik in den Hauptstädten der Alliierten irritieren ihn nicht. Heuss hingegen schon, und nur widerwillig ergab er sich dem „Traditionalismus und Beharrungsvermögen“.

Nun, Hoffmann ging es nicht um Erhebung Deutschlands über alle anderen Länder, sondern um den Aufruf zu einem einigen, einzigen Land. Doch es sind andere Zeiten. Als Richard von Weizsäcker 1991, nach der Einheit, in einem Briefwechsel mit Kanzler Helmut Kohl wieder das Lied zur Nationalhymne erklärte, das von den Nazis missbraucht und abgelehnt wurde von solchen, die der jungen Demokratie den Weg wiesen – da hat etwas falsch angefangen.

Es lässt an Biermann denken, der 2006 in der „Welt“ schrieb, es gebe ein Lied, das eines wirklich schönen Tages die neue Nationalhymne werden könne. „Das Lied existiert, sogar mit Musik, wir Deutschen haben es sozusagen in Reserve. Womöglich ist unser Land nur noch nicht reif dafür.“ Er meinte Brechts „Kinderhymne“. Die Tage des Gedenkens zeigen: Das Land wäre reif dafür.

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