Kolumne „Spiegelstrich“: Boris Johnson verliert die sprachliche und politische Balance
Er brüllt, lügt die Königin an und seine Gegner nennt er „Verräter“. Mit seiner Sprache zeigt Großbritanniens Premierminister zunehmend seine Unsicherheit.
Klaus Brinkbäumer war zuletzt Chefredakteur des „Spiegel“ und arbeitet heute als Autor unter anderem für „Die Zeit“. Für den Tagesspiegel schreibt er seine wöchentliche Kolumne über Sprache und Politik.
Großbritannien war sagenhafte Seemacht, das ist zu Großbritanniens Bedauern sehr lange her. Großbritannien war auch Sprachmacht, einst. „I have to be seen to be believed“, sagte Queen Elizabeth die Zweite, was auf die leicht nasale und jeden Buchstaben betonende Weise ein urbritischer Satz war, der im Deutschen gleich beides bedeutet: „Ich muss gesehen werden, damit man mir glaubt“ und „Ich muss gesehen werden, um geglaubt zu werden.“
Du nämlich, great and cool Britannia, hattest Oscar Wilde („Es gibt keine Sünde außer der Dummheit“) und Jane Austen („Ich muss lernen, damit zufrieden zu sein, glücklicher zu sein, als ich es verdiene“). Sogar deine Boulevardzeitungen beherrschten ihr Handwerk. Große Buchstaben passen am besten ja nicht zu gedanklichem Krach, sondern zu feinem Humor: „Weapon of mass deception“, Massentäuschungswaffe, schrieb die „Sun“ über Tony Blair. Ewig her.
„Wenn du durch die Hölle gehst, geh’ weiter“, das sagte Churchill. Doch kommt, wer wie Boris Johnson in eine Hölle namens Brexit stürmt, im großbritischen Himmel heraus?
Das Geheimnis lag im Schweigen
Im Kino können wir, die wir Johnsons Britannien beim Sterben zusehen, zumindest noch die stabile Welt von „Downton Abbey“ betrachten. „How you hate to be wrong“, sagte die gutmenschige Isobel; die Zynikerin Violett antwortete volltreffend: „I wouldn’t know, I am not familiar with the sensation.“
Das Geheimnis britischen Sprachruhms war Schweigen. Und erst nach dem Schweigen kamen wenige Worte und keines zu viel. Getöse und Zoten können gegen Intelligenz nicht gewinnen, sagt jene Lady Violett: „Vulgarity is no substitute for wit.“
Boris Johnson nennt die, die nicht seiner Meinung sind, „Verräter“ und die Ablehnung des Brexit „Verrat“. Er brüllt im Parlament, lügt die Königin an und wählt für ganz normale Debatten Metaphern des Krieges. Bevorzugt verachtet er Frauen. 2016 wurde die Brexit-Gegnerin Jo Cox ermordet, der Täter verwendete Johnsons Begriff: „Tod den Verrätern.“ Heute sagt die Labour-Abgeordnete Paula Sherriff, dass sie Morddrohungen erhalte, und Johnson sagt dazu „Humbug“.
Frauenfeindlichkeit ist Teil seiner Strategie oder Teil seiner Identität oder beides. Seine Wähler teilen diese Haltung, seltsamerweise auch viele Wählerinnen. Als er angeblich Journalist war, nannte Boris Johnson die weibliche Stimme seines Navigationsgeräts „so cool, so tief, so eierquetschend nachdenklich“. Als er einen Ferrari rezensierte, kam ihm dieses Bild: Die englische „Landschaft lag auf dem Rücken und öffnete ihre wohlgezüchteten Beine, um von dem italienischen Hengst verwüstet zu werden“.
Johnson verliert die Balance
Wenn die westlichen Gesellschaften nun die Führer haben, die sie verdienen, gilt das auch für die Sprache. Donald Trump, Johnsons Vorbild und Meister, nennt Frauen „fettes Schwein“, „Bimbo“ und „ekelhafte Tiere“. Das tut er seit Jahren. Seine politische Sprache aber hat er in den vergangenen vier Wochen noch einmal verschärft. Whistleblower sind jetzt „Spione“, oppositionelle Kontrolle ist „Landesverrat“.
[Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer.]
Trump und Johnson verlieren im real existierenden Machtspiel die Balance, und das spiegelt sich rhetorisch. Beide möchten ihre Länder in eine vermeintlich glorreiche Zeit zurückführen – Johnson scheint damit eher die Ära der Hooligans als jene Oscar Wildes zu meinen.
Dies war die dritte Folge dieser neuen Kolumne, und dass es schon wieder um sprachliche Gewalt und Radau ging, könnte ein Indiz für die Beschränktheit des Verfassers sein; oder aber ein Zeichen der Zeiten. Diese unsere Gegenwart dröhnt überlaut, und wie in den USA kommt nun in Großbritannien der Lärm von ganz oben. Bleiben wir wach.
Klaus Brinkbäumer