Eine Rembrandt-Ausstellung in Amsterdam: Blick in die Menschenseele
Die Amsterdamer Hermitage feiert mit einer großen Ausstellung den Besuch von Meisterwerken Rembrandts aus Russland – und das „goldene Jahrhundert“ der Kunst. Ein Rundgang.
Die Geschichte ist so herzwärmend wie eine romantische Oper: Zar Peter, der gerade erst den russischen Thron bestiegen hat, geht inkognito nach Holland, um das Handwerk des Schiffszimmerers zu erlernen. Tatsächlich ist die Geschichte wahr. In der Hafenstadt Zaandam bezog Peter im Jahr 1697 ein Holzhaus. 1881 kam das „Huisje“ in den Besitz des Zarenhauses und wird seither offiziell vom russischen Staat gepflegt.
Peter, später „der Große“, brachte aus Holland nicht nur die Kenntnis des Schiffbaus mit nach Hause, sondern auch die holländische Malerei. Das zu Ende gehende 17. Jahrhundert war das Gouden Eeuw, das goldene Jahrhundert der holländischen Kunst, und sie zu sammeln geradezu Pflicht aller europäischen Fürsten. Als Peters Nach-Nachfolgerin Katharina II. – auch sie, die von 1762 bis zu ihrem Tod 1796 regierte, wurde später „die Große“ – in Sankt Petersburg den Winterpalast bezog, besaß sie bereits zahlreiche niederländische Gemälde. Es war die Geburtsstunde des heute weltberühmten Museums der Eremitage. Katharina kaufte in wahrhaft imperialem Stil: Die Sammlung des Berliner Kaufmanns Ernst Gotzkowsky, die sie 1764 erwarb, umfasste 317 Gemälde, darunter etliches aus dem kulturell so fruchtbaren Land am Meer.
Viele Gemälde Rembrandts gingen nach Russland
Bald war der Petersburger Bestand an Holländern der größte außerhalb der Niederlande selbst, darin als Herzstück nicht weniger als 46 Gemälde von Rembrandt. Katharina selbst glaubte schließlich 59 Rembrandts zu besitzen. Von ihnen musste mit der Zeit einiges abgeschrieben werden – wie man sieht, sind die Enttäuschungen, die sich in jüngerer Zeit an den rigorosen Abschreibungen des „Rembrandt Research Project“ entzündet haben, keineswegs neu.
Insgesamt zählte der Katalog von Katharinas Sammlung Ende der 1780er Jahre 2658 Eintragungen. Heute sind allein rund 1500 niederländische Werke des 17. und 18. Jahrhunderts in der Eremitage vereint. Die große Wunde sind die erheblichen Verkäufe, die Diktator Stalin in den 1930er Jahren gegen harte Devisen vorzunehmen befahl, um Industriegüter im Westen kaufen zu können.
Sechs Gemälde Rembrandts sind nun aus der Eremitage nach Amsterdam gekommen, als Kern einer 64 Gemälde umfassenden Auswahl niederländischer Meister. In Amsterdam unterhält die Eremitage ihre einzige Auslandsdependance. Regelmäßig werden in der „Hermitage Amsterdam“ Ausstellungen aus den Petersburger Sammlungen gezeigt. Mit Niederländern in den Niederlanden aufzutreten, ist allerdings eine Premiere.
Und was für eine! Effektvoll ist die große Halle der Amsterdamer Hermitage, eines früheren Waisenhauses, zur Bühne für die Rembrandts hergerichtet worden, denen gegenüber Arbeiten seiner beiden Schüler Ferdinand Bol und Govert Flinck arrangiert sind. Von Rembrandt sind Portraits zu sehen, die sich um die berühmte „Flora“ gruppieren. Auch dies ist im Grunde ein Portrait, nämlich von Rembrandts erster Frau, Saskia van Uylenburgh, deren Tod 1642 den Künstler aufs Schwerste traf. In diesem Werk des 28-Jährigen kommt seine ganze Raffinesse in der Darstellung kostbarer Stoffe zum Ausdruck, ohne die Zartheit des Gesichts zu überdecken.
Vom „Bildnis eines Gelehrten“ von 1631 über das „Bildnis eines alten Juden“ von 1654 bis zum „Bildnis eines Mannes mit Bart und Barett“ von 1661 lässt sich die Entwicklung von Rembrandts Malweise als eine der Reduktion auf das Wesentliche erkennen. Rembrandt blickt in die Menschenseele. Tatsächlich handelt es sich bei den späten Werken nicht um Portraits realer Personen, sondern um Typen. Sie wurden in fürstlichen Sammlungen gern als Darstellungen antiker Philosophen oder alttestamentarischer Propheten verstanden. Rembrandt kam für seine Darstellungen zugute, das er jahrzehntelang in Nachbarschaft emigrierter Juden lebte, die vor allem nach den ukrainischen Pogromen von 1648 ins weltoffene Amsterdam geflüchtet waren und an ihrer traditionellen Kleidung festhielten.
Natürlich ist die Genremalerei in dieser Musterschau der Eremitage reich vertreten, ob Gabriel Metsus „Austernesser“ von 1662 oder Pieter de Hoochs häusliches „Konzert“ von 1680. Dass die Niederlande dieses „goldenen“ Jahrhunderts – das sich auf wenige Jahrzehnte nach 1640 zusammendrängt – prosperierten, macht das großformatige Lebensmittel- Stillleben von Bartholomäus van der Helst deutlich, der 1666 den „Neumarkt in Amsterdam“ als Fleisch- und Gemüseschau inszeniert: Der Tisch war, jedenfalls für die Kaufmannschaft, immer reich gedeckt.
Dann die Landschaften des Zeitgenossen Jacob van Ruisdael, wobei die „Hütte unter Bäumen“ von der Hand des erst 17-Jährigen stammt. 20 Jahre später malte er den „Sumpf“ mit derselben Akkuratesse. Derlei brachte ihm zahlreiche Sammler ein; Kaiserin Katharina erwarb einmal in Dresden auf einen Schlag acht Ruisdaels.
Ferdinand Bol (1616–1680) und Govert Flinck (1615–1660) waren nur zehn Jahre jünger als Rembrandt, aber gingen bei dem bereits etablierten Meister zu Beginn der 1630er Jahre in die Werkstatt. Man kennt ihre „rembrandtesken“ Werke, die oft für solche von der Hand des Meisters gehalten wurden. Flincks „Junger Mann mit Federbarett“ und noch mehr Bols „Alter Mann vor einem Tisch mit Globus“ zeigen die für Rembrandt typische Konzentration auf die Physiognomik des Gesichts bei gleichzeitiger Verunklarung des Hintergrundes.
Reiche und vielfältige Bilder
Nun zeigt das Amsterdam Museum einen repräsentativen Querschnitt des Lebenswerks der beiden Schüler Bol und Flinck; zudem sind Zeichnungen der beiden Künstler in den intimen Räumen des Rembrandt-Hauses zu sehen. Als Rembrandt ab Mitte des 19. Jahrhunderts zum einsamen Genie der holländischen Malerei verklärt wurde, sanken seine Schüler in der Wahrnehmung der Kunstfreunde zu bloßen Epigonen herab. Gleichrangig vereint waren Meister und Schüler zuletzt in der großartigen Rembrandt-Ausstellung im Alten Museum Berlin 1992.
Jetzt sieht man in Amsterdam erstaunlich reiche und vielfältige Bilder. Für das Ansehen beider Maler spricht beispielsweise, dass sie den Bürgermeistersaal im neuen Rathaus auf dem Dam – das heutige Königliche Palais – mit Großformaten bestücken duften. Im Amsterdam Museum sind Gruppenbildnisse der Schützengilden zu sehen, die so typisch sind für die Selbstdarstellung der wehrhaften Republik und die in jener Zeit für jede Gilde quasi Pflicht waren. Da ist nichts von Rembrandts dunklen Schatten; die Auftraggeber wollten sich schließlich in hellstes Licht – im Bilde wie auch im übertragenen Sinne – gestellt sehen. Beide Maler schufen zudem eine große Zahl von antiken Szenen, die als Tugendvorbilder den Wertekanon der reformierten Holländer spiegeln. In den Zeichnungen, die in Rembrandts Wohnhaus gezeigt werden, ist die Nähe zum Meister naturgemäß ungleich größer: Viele stammen aus den Lehrjahren der beiden Künstler, und manche sind tatsächlich genau hier, in Rembrandts eigener Werkstatt entstanden.
Insgesamt ist in Amsterdam Gelegenheit, nicht nur schwer erreichbare Gemälde von Rembrandt zu bewundern, sondern auch im Vergleich mit seinen engsten Schülern die Eigenarten beider Seiten zu studieren und abzuwägen. Es gibt mehr als nur das Rijksmuseum!
Hermitage Amsterdam, Amstel 51, bis 28. Mai. Katalog (nl./engl.) 34,95 €. – Amsterdam Museum, Kalverstraat 92, und Museum Het Rembrandthuis, Jodenbreestr. 4, bis 18. Februar. Katalog (nl./engl.) 29,95 €
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