Barenboim und die Berliner Staatsoper: Bleiben, wenn’s am schönsten ist
Daniel Barenboim verlängert seinen Vertrag als Musikchef der Berliner Staatsoper um fünf weitere Jahre bis 2027
"Ich wüsste nicht, welcher Wunsch mir unerfüllt geblieben wäre.“ Das hat Daniel Barenboim 2012 gesagt, in einem Interview anlässlich seines 70. Geburtstags. Und auch jetzt hat es sich wieder bewahrheitet: Kultursenator Klaus Lederer (Linke) gab Dienstagnachmittag die Verlängerung des derzeit bis 2022 laufenden Barenboim-Vertrags um weitere fünf Jahre bis 2027 bekannt. Dann wird der Maestro seinen 85. Geburtstag begehen. Über finanzielle Fragen, die mit der Entscheidung verbunden sind, wollten die Beteiligten nicht reden.
Angesprochen auf seine Aussage „Ich will keinen Cent mehr, aber die Staatskapelle braucht mehr Geld“, die er im Februar in der „Zeit“ gemacht hatte, reagierte der Maestro unwirsch und erklärte, darum könne es an diesem Tag nicht gehen: „Das Geld für die Staatskapelle hängt nicht mit meinem Vertrag zusammen.“ Der Senator kündigte seinerseits an, bei weiteren Verhandlungen mit Barenboim über die finanziellen Entwicklungen auch den Dissens aushalten zu wollen. Der Politiker weiß, dass eine Gehaltserhöhung für die ohnehin gegenüber den anderen Opernorchestern bevorzugte Staatskapelle neue Neiddebatten auslösen würde.
Daniel Barenboim betonte, dass er nur so lange Chefdirigent bleiben werde, wie es seine Kräfte zuließen. „Ich will nicht als Reliquie hier bleiben.“ Sollte er feststellen, dass es gesundheitlich anstrengend werde, wolle er sich sofort zurückziehen. Ohne zu lächeln fügte er hinzu: „Ich freue mich auf – ich weiß nicht, wie lang. Aber ich freue mich.“
Drei Monate lange habe er intensiv mit den Beteiligten geredet, vor allem mit den Musikerinnen und Musikern, erklärte Klaus Lederer, um „ein Gefühl zu entwickeln“, wie die Zukunft der Staatsoper aussehen könne. Dabei habe er feststellen können, dass es „alle gemeinsam stemmen wollen“: „Ich habe mich entschieden, das zu respektieren.“
Alles geht weiter wie bisher Unter den Linden
Sehr verklausuliert äußerte sich der Senator auch zur Mediation, die er angestoßen hatte, nachdem Vorwürfe wegen Barenboims Führungsstils laut geworden waren. Man stehe erst am Anfang des Prozesses, Ziel sei es, die jedem Betrieb innewohnende „Fehlerkultur zu reflektieren“. Etwas Justiziables aber habe die Untersuchung nicht ergeben. Eine Vertreterin des Orchesters kritisierte das Verhalten der Presse in der Angelegenheit: „Wir möchten uns von außen nicht das Verhältnis zu unserem Chef erklären lassen.“ Insgesamt verlief die Pressekonferenz im Apollosaal der Staatsoper in frostiger Atmosphäre, nach nur 24 Minuten erklärte der Senator, er müsse jetzt dringend zum nächsten Termin.
Es geht also alles weiter wie bisher an der Staatsoper. Daniel Barenboim wird wohl tatsächlich das werden, was ihm als Ehrentitel bereits von der Staatskapelle verliehen wurde: „Chefdirigent auf Lebenszeit“. Die Musikerinnen und Musiker lieben ihn nicht nur dafür, dass er dem Orchester über die Jahre ein Traumgehalt verschafft hat, sondern eben auch für seine Art, Kunst zu machen. Dazu gehört, dass er stets von allen Beteiligten maximales Engagement fordert. Wobei er die höchste Maßstäbe bei sich selber anlegt. „Erst wenn die Interpreten nicht mehr ihre ganze Konzentration dafür brauchen, die Noten korrekt umzusetzen, beginn die Musik zu fließen“, betonte er einmal in einem Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Wer sich frei fühlt, spielt auch freier. Genau das möchte ich dem Publikum anbieten: Ein Orchester, das sich wirklich auskennt mit den Stücken.“
Barenboim wird ab 2022 einen neuen "Ring" herausbringen
Gemünzt war dieses Credo auf die Werke der Moderne, und in der Tat hat Barenboim hier eine langfristig angelegte Erziehungsarbeit geleistet, insbesondere, was die Komponisten Alban Berg, Pierre Boulez und Eliott Carter betrifft. Aber auch das Kernrepertoire der Klassik hat er sich seit 1992 immer wieder mit der Staatskapelle vorgenommen, die Sinfonien Beethovens, Bruckners, Mahlers, Brahms’ aufgeführt am liebsten in zyklischer Form. In den Nullerjahren legte der Dirigent einen Schwerpunkt auf russische Musik, zuletzt hat er sich intensiv mit der französischen Tradition beschäftigt, vor allem mit Claude Debussy.
Im Bereich des Musiktheaters wiederum brachte er Unter den Linden fast alle relevanten Werke bereits mehrfach heraus. Mozarts Trilogie aus „Don Giovanni“, „Figaro“ und „Così fan tutte“ zunächst mit einem Altmeister, Thomas Langhoff nämlich. Und in der kommenden Spielzeit startet er nun erneut in Sachen Mozart, diesmal mit dem jungen Regisseur Vincent Huguet. Alle zehn Meisterwerke von Richard Wagner erarbeitete er zunächst mit Harry Kupfer als Partner – und dirigierte sie dann auch bei den legendären Festtagen 2002 am Stück hintereinander. Ein zweites Mal brachte er die „Ring“-Tetralogie mit Guy Cassiers heraus, die nächste Phase seiner Amtszeit wird er ab Herbst 2022 mit einer dritten Interpretation von Wagners Gesamtkunstwerk beginnen.
Aber Daniel Barenboim bedient nicht nur seine lebenslangen Vorlieben, er hat sich immer wieder auch Neues erschlossen. Und oft war er dann sogar am Besten: Jules Massenets „Manon“, Bohuslaw Martinus „Juliette“ sind da aus jüngerer Zeit besonders in Erinnerung geblieben, zum Start der Saison 2019/20 wagt der Maestro sich dann sogar an die leider so schlecht beleumundete deutsche Spieloper: Am 3. Oktober dirigiert er die Premiere von Otto Nicolais „Die lustigen Weiber von Windsor“.
In einem Punkt hat das Wünschen Daniel Barenboim allerdings nicht geholfen: bei den Berliner Philharmonikern. Als Wilhelm Furtwängler 1954 dem 11-jährigen Wunderknaben anbot, in Berlin zu debütieren, entschied sein Vater, für einen Juden sei es zu früh, wieder in Deutschland aufzutreten. Das erste Mal spielte Barenboim 1964 als Klaviersolist mit den Philharmonikern, seit genau einem halben Jahrhundert dirigiert er sie auch regelmäßig. Als das Orchester 1989 Karajans Nachfolger wählte, entschied es sich für Claudio Abbado, als 1999 dann die Chefdirigentenstelle erneut frei wurde, stand am Ende Simon Rattle als strahlender Sieger da.