Warten auf Godot in der Staatsoper: Barenboims Verlängerung verzögert sich ungewöhnlich lange
Kultursenator Klaus Lederer verschleppt einen neuen Vertrag mit Staatsopernchef Daniel Barenboim. Geht es am Ende um Geld?
Wer von der Berliner Senatskulturverwaltung wissen will, wie der Stand der Verhandlungen über die künftige künstlerische Leitung der Staatsoper Unter den Linden ist, erhält keine Antwort: „Zu einzelvertraglichen Angelegenheiten äußern wir uns generell nicht. Auch alles, was im engeren oder weiteren Sinne Bestandteil von möglichen Vertragsverhandlungen ist, werden wir nicht öffentlich be- bzw. verhandeln.“
Daniel Barenboim, der Generalmusikdirektor des Hauses, der das gerne auch in Zukunft sein möchte, sieht das anders. Er selber war es, der die Verlängerungsfrage öffentlich machte. Und zwar im Rahmen der Diskussion um seinen Führungsstil, die im Februar aufflammte.
Zuerst hatte das Online-Klassikmagazin „Van“ einen Bericht veröffentlicht, in dem von einem Dutzend anonymer Stimmen die Anklage erhoben wurde, an der Lindenoper herrsche ein Klima der Angst. Anschließend meldeten sich zwei ehemalige Mitglieder der Staatskapelle zu Wort, die im Detail erklärten, auf welche Weise der Dirigent seine Musiker in den Proben schikaniere. Daniel Barenboim erklärte die Causa damals kurzerhand zur Kampagne gegen seinen Verbleib Unter den Linden.
Barenboim findet sich fit genug zum Weitermachen
„Warum kommt das ausgerechnet jetzt in die Öffentlichkeit?“, fragte er in der Wochenzeitung „Die Zeit“. „Ich bin seit 28 Jahren in Berlin und ich habe mich nicht so sehr verändert.“ Im selben Interview stellte er sich auch gleich ein Attest aus: „Meine Ärzte haben mir Anfang des Jahres eine sehr gute Gesundheit bescheinigt.“ Weshalb es eben auch kein Problem sei, wenn er sein derzeit bis 2022 laufendes Engagement um fünf Jahre verlängere. Bis ins Jahr 2027, wenn er seinen 85. Geburtstag feiert.
Die Diskussion um die Kommunikationskultur an der Staatsoper ist im Sand verlaufen, weitere Personen haben sich nicht bei den Medien gemeldet, justiziable Verfehlungen können dem Maestro nicht nachgewiesen werden. Es scheint so, als sei er mit zunehmendem Alter einfach ungeduldiger geworden, sein Ton ruppiger. Was vielen Menschen passiert.
Staatskapellen-Mitglieder sind Top-Verdiener
So richtig offensiv hat der Vorstand der Staatskapelle in der Öffentlichkeit zwar nicht dafür geworben, dass Daniel Barenboim Chef bleiben soll – doch Staatsopernintendant Matthias Schulz beteuerte jüngst im Tagesspiegel, dass die Mehrheit der Musikerinnen und Musiker ihn unbedingt am Haus halten wollten. Was ja durchaus verständlich ist: Denn Daniel Barenboim hat sie weltberühmt gemacht. Als er 1992 seinen Job antrat, war die Staatskapelle ein zwar traditionsreiches, doch auch stark verunsichertes Ensemble.
Dass ihr Chef ihnen jede Menge Schallplattenaufnahmen verschafft hat, dass er mit ihnen um den Globus tourte, dass er sie auch jenseits des Orchestergrabens glänzen ließ, ihren Status als Konzertorchester aufwertete, das hat sie stolz gemacht. Und wohlhabend: Denn Barenboim kämpft mit Vehemenz um finanzielle Vorteile für seine Schutzbefohlenen. Nach dem Fall der Mauer lag die Staatskapelle im bundesweiten Gehaltsranking auf Platz 23, inzwischen gehören sie zu den Top-Verdienern. Monatlich bekommen die Orchestermitglieder tausend Euro mehr überwiesen als ihre Kolleginnen und Kollegen an der Deutschen Oper.
Lederer setzt sich vor allem für prekäre Kunstschaffende ein
Genau hier aber liegt das Problem für Klaus Lederer. Ungeachtet der Frage, ob es für die Fortentwicklung einer Kulturinstitution sinnvoll ist, wenn ein und derselbe Chefdirigent 35 Jahre lang die ästhetische Linie des Hauses prägt, bedeutet eine Vertragsverlängerung für Barenboim, noch mehr Geld für die Staatskapelle locker zu machen. Die bereits jetzt 18 Prozent des 58-Millionen-Etats der Lindenoper verschlingt.
Höchstgagen für die Hochkultur – das ist eigentlich gegen die Prinzipien des Linken-Politikers. Weil er sich als eine Art urbanen Robin Hood sieht, der für die Erniedrigten und Beleidigten kämpft. In seiner Amtszeit hat er sich bislang konsequent – und erfolgreich! – für all jene eingesetzt, die unter prekären Bedingungen Kunst machen. Für die Kinder- und Jugendtheater hat er mehr Mittel herausgeholt, das Rockhaus gerettet, die Zuschüsse für populäre Veranstaltungen wie den Karneval der Kulturen oder die Fête de la Musique erhöht, die kulturelle Bildungsarbeit in den Bezirken und Kiezen nachhaltig gestärkt.
Spektakuläre Coups sind nicht der Stil des Kultursenators
Er hat den Kauf des Radialsystems durch den Senat ermöglicht, er kämpft dafür, dass im Innenstadtbereich Ateliers und Probenräume durch den Senat der Gentrifizierung entzogen werden, er hat die Alte Münze als Coworking-Space für Künstler gesichert und die früheren Räume der Ernst-Busch-Hochschule zu Berlins größtem Produktions- und Probezentrum der Freien Szene gemacht.
Noch mehr Euro in jenen Bereich umzuleiten, der ohnehin schon einen Riesenbatzen seines Haushalts verschlingt, muss Klaus Lederer gegen den Strich gehen. Zumal mit dem Extrageld für die Staatskapelle die Ungleichbehandlung innerhalb der Opernstiftung weiter zementiert würde.
Natürlich könnte sich Klaus Lederer auch hinstellen und Barenboim erklären, dass im Sommer 2022 für ihn Schluss ist. Dafür müsste er allerdings einen Nachfolger aus dem Hut zaubern können. Mit spektakulären personellen Coups jedoch tut sich der Senator noch schwer, wie gerade an der Volksbühne zu erleben ist.
Im Staatsopernfall lässt sich ein ebenbürtiger Generalmusikdirektor kaum finden, weil Daniel Barenboim nun einmal schon selber der berühmteste Klassikinterpret des Planeten ist. Aber ein deutlich jüngerer, ästhetisch ganz anders ausgerichteter Kandidat ist denkbar, ein Maestro des 21. Jahrhunderts. Einer wie Gustavo Dudamel. Dessen aktueller Vertrag als Musikchef des Los Angeles Philharmonic läuft zufälligerweise genau bis zum Sommer 2022.
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