Debatte über Flüchtlingspolitik: Bitte nicht beschädigen
In einer Erklärung protestieren Uwe Tellkamp, Thilo Sarrazin und Eva Herman gegen "illegale Masseneinwanderung". Formiert sich ein neuer Konservatismus?
Manchmal kommen Debatten nicht von der Stelle. Sie werden nur immer lauter. So ist es beim Streit um die Flüchtlingspolitik, der sich zuletzt in den Äußerungen des Schriftstellers Uwe Tellkamp und in einer im Internet verbreiteten „Gemeinsamen Erklärung“ materialisiert hat. Aber handelt es sich überhaupt noch um einen Streit zur Sache, geht es nicht lange schon nur noch ums Rechthaben? Die Erklärung, die von der ehemaligen DDR-Bürgerrechtlerin und ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Vera Lengsfeld initiiert wurde, lässt sich kaum als Aufruf beschreiben, dafür wirken die beiden dürren Sätze, aus denen sie besteht, zu hermetisch.
Es fehlt eine nach vorne gerichtete Stoßrichtung, stattdessen geht es um die Solidarisierung mit Demonstranten, die sich dafür einsetzen, dass „die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt“ werde. Man denkt an Pegida und an Aktivisten, die Deutschlandfahnen schwenken, manchmal aber auch Galgen mitführen, an denen Politiker aufgehängt werden sollen. In beiden Sätzen des Textes steckt jeweils eine Unterstellung: das Narrativ vom Rechtsbruch an den Grenzen und das Beklagen einer „Beschädigung“ Deutschlands durch „illegale Masseneinwanderung“.
Rechtmäßige Flüchtlingspolitik
Der Sound erinnert an eine Schallplatte, die einen Sprung hat und beharrlich knisternd weiter lärmt. Immer noch kreist die Diskussion ums Jahr 2015, in dem 820000 Asylsuchende nach Deutschland kamen. Als Bundeskanzlerin Merkel damals die Grenzen offen hielt, hat sie den Bundestag darüber vorher nicht diskutieren oder abstimmen lassen. Fehler in ihrer Kommunikation gestand sie am Mittwoch in ihrer Regierungserklärung ein. Aber illegal war das, was die Kanzlerin im September 2015 unternahm, nicht. Etwa tausend Anzeigen gegen sie gingen später beim Generalbundesanwalt ein. Alle wurden eingestellt, weil sie sich als haltlos erwiesen. Auch der Europäische Gerichtshof bestätigte, dass die deutsche Flüchtlingspolitik rechtmäßig gewesen ist. Rund siebenhundert besorgte Bürger haben die Erklärung bislang unterschrieben, unter ihnen Prominente wie Uwe Tellkamp, die ehemalige „Tagesschau“-Sprecherin Eva Herman, der Kabarettist Uwe Steimle und die Publizisten Henryk M. Broder und Matthias Matussek. Überzeugender wäre ihre Angst vor einer Beschädigung des Landes durch Ausländer allerdings, wenn sie ebenso vehement auf die Beschädigungen hingewiesen hätten, die Ausländer davongetragen haben, etwa durch die Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU).
Front der Unterzeichner
Zeigt sich da ein neuer, kämpferischer Konservatismus? Immerhin reicht die Front der Unterzeichner vom ehemaligen SPD-Politiker Thilo Sarrazin über altbekannte Neurechte wie Karlheinz Weißmann und den Gründer der „Junge Freiheit“ Dieter Stein bis zu Martin Lichtmesz, dem Frontmann der Identitären Bewegung in Österreich. Eine Union, bei der offenbar noch Maßnahmen zur Selbstregulierung existieren. Die Unterschrift von Ellen Kositza, Ehefrau des neovölkischen Verlegers Götz Kubitschek, verschwand wieder von der Liste.
Einige Unterzeichner – darüber berichtet die „Zeit“ – kennen sich aus einem Debattenkreis, der halbjährig in Berlin tagt, unter anderem in der Bibliothek des Konservatismus an der Fasanenstraße. Zu den Größen dieses Salons gehört Rüdiger Safranski. Er hat die Erklärung nicht unterschrieben, aber dem „Spiegel“ ein Interview gegeben, in dem er sich gegen eine „Pflicht zur Fremdenfreundlichkeit“ ausspricht. Vermischung solle es „nur bis zu einem bestimmten Grad“ geben, dafür aber „Artenschutz“ nicht bloß für Schnecken, sondern auch „für die Unterschiede der menschlichen Kulturen“. Warum warnt er nicht gleich vor Rassenvermischung? Der Ex-Maoist versackt in der Rhetorik des Sozialdarwinismus.
Richtigstellung: In einer früheren Fassung des Artikels haben wir behauptet, dass auch der Historiker Prof. Dr. Jörg Barberowski und die Publizistin Cora Stephan die "Gemeinsame Erklärung" mit unterzeichnet hätten. Hierzu stellen wir richtig, dass dies nicht zutrifft. Der Artikel wurde am 28.3.2018 geändert. Ein weiteres Mal wurde der Artikel am 9. April geändert. Die Redaktion.