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Planet der Waffen. Szene aus der freien Theaterproduktion „Erinnerung an die Zukunft“ in den Berliner Sophiensälen.
© Imago

Was ist los mit dem Freien Theater?: Bis zur nächsten Revolte

Die Freie Theaterszene ist immer professioneller geworden. Aber auch immer braver. Man spürt die Nähe zum Staatstheater.

Soll sich das Theater einmischen in die Gesellschaft mit seinen Themen – oder direkt helfen, wie es jetzt viele Bühnen tun, die sich um Flüchtlinge kümmern? Als kürzlich der Regisseur Alvis Hermanis eine Inszenierung am Thalia Theater Hamburg mit der irritierenden Begründung absagte, er wolle nichts damit zu tun haben, dass sich das Theater für Geflüchtete einsetzt, war die Aufregung groß. Hinter dem bösen Affront steckt die grundsätzliche Frage: Wie politisch kann und will Theater sein? Das betrifft die Staatstheater wie die Freie Szene. Günther Grosser ist künstlerischer Leiter des English Theatre Berlin.

„Disco Pigs“ und „Shoppen und Ficken“ in der Baracke des Deutschen Theaters, große Aufbruchsstimmung an den Berliner Theatern, nach den so unterschiedlichen Abgesängen von Botho Strauß und Heiner Müller wilde Stücke aus England und Irland, Sarah Kane, neue Formate, Energie, Enthusiasmus – das ist jetzt über 20 Jahre her.

Die Rückzugsgefechte an der Volksbühne sind geprägt von Melancholie und Durchhaltewillen auf Sitzsack. Jetzt ist die Zeit der Retrospektiven, etwas, das dem Theater mit seiner Kunst des Augenblicks, dem das Werk zwischen den Fingern zerrinnt, eigentlich fremd ist. Verbürgerlichung – und darum geht es doch, wenn wir ehrlich sind – geht immer mit einer gewissen Musealisierung einher, und jene Generation, die nach dem Mauerfall hier die Bühnen, Spielflächen und das eigene Leben mit neuem ungeheurem Schwung versorgte, lässt es langsamer angehen, hat einen neuen Blick auf die Welt, der da heißt „aufpassen, dass das Geld zusammenbleibt, gut wohnen, ordentliche Schule für die Kinder, hab jetzt grade keine Zeit für Revolte, sollen die andern mal.“

Man muss nicht gleich, wie Hans-Thies Lehmann, „die Diagnose endogener Leere in der Gegenwartskultur“ stellen. Aber war das nicht immer so, auch bei den Theater-Rebellen der vorigen Generation? Zuerst die Publikumsbeschimpfung, der Kommunismus und die Mitbestimmung, dann der Aufstieg in die Intendantenbüros und schließlich die gediegene Inszenierung. So ist das eben. Warum nicht nach all den verpoppten, durchgeschrienen, in Regieeinfällen ersoffenen Noras, Käthchens oder Maria Stuarts, warum nicht ein, zwei Spielzeiten lang einfach mal das Stück, hat man ja lange nicht gesehen. So wie Becketts „Warten auf Godot“ am Deutschen Theater; exakte, tiefe, perfekte Schauspielerarbeit, keine Mätzchen. Vielleicht macht man wieder Pause nach anderthalb Stunden, warum nicht?

Und die Freie Szene? Die Helden der letzten performativen Revolution, die Rimini Protokolls und She She Pops und Gob Squads, die das Theater von der Bühne in den öffentlichen Raum hievten und im Gegenzug den Bürger auf die Bretter holten und das demonstrierten, was bald „postdramatisches Theater“ heißen sollte, sie sind jetzt auf die Lehrstühle und Dozentenstellen gerückt und ziselieren weltweit die alten Ideen als Kunsthandwerk weiter.

Ein paar unruhige Köpfe irrlichtern noch durch die Gegend, ansonsten herrscht der Geist der Professionalisierung. Das ist gut so, denn das zeitgenössische Berliner Gewusel aus Dilettanten, Ich-auch-mal, Möchtegerns und zugereisten Profis aus der halben Welt, die in Friedrichshain und im Wedding auf ihre Chance warten, es braucht wachsame Augen, aufgeweckte Spielstättenbetreiber und eine solide professionelle Unterfütterung. Das leistet die Szene jetzt, mit LAFT (dem Landesverband der Freien darstellenden Künste), mit professioneller PR, mit gut aufgestellten Leitungsteams der Häuser, mit Tournee-Vernetzung, mit einer verstärkten Internationalisierung und mit (so jedenfalls vom Senat versprochen) besserer Finanzierung.

Der müde Zuschauer

Die Szene braucht diese Professionalisierung, denn nicht jedes Ideechen, das am Abendtisch einer Neuköllner deutsch-spanisch-griechischen WG aus dem Geiste der Solidarität und der performativen Vielfalt geboren wird, ist eine Aufführung wert. Der Zuschauer ermüdet nach dem x-ten Audiowalk, dem erneuten Abtasten einer unerforschten Kreuzberger Örtlichkeit mit einer Site-Specific Show und dem dreizehnten Discussion Panel zu den Verheerungen des Neoliberalismus dann doch irgendwann.

Dieser Zuschauer ist extrem wählerisch, kaum zu binden und schnell wieder verschwunden, wenn ihm die Chose nicht passt. Daher die Tendenz weg von den offenen Formaten des Anything-Goes wie dem „100 Grad“-Festival von HAU und Sophiensälen hin zu kuratierten Festivals und Reihen, daher die Zusammenarbeit mit Stadt- und Staatstheatern. Und daher im Übrigen auch die anhaltende Diskussion über Realismus und Ensemblearbeit contra offene Formen.

Nein, aufregend, aufrüttelnd, verstörend ist auch das Theater der Freien Szene derzeit nicht, manchmal ganz im Gegenteil wie neulich in den Sophiensälen „Von Affen und Engeln“, ein Stück(chen) von Christoph Nußbaumeder in verheerend schwungloser Inszenierung – aber als Koproduktion mit den Ruhrfestspielen, auch das ist ein Aspekt der Professionalisierung.

Die Szene kann nur das reflektieren, was die Zeit hergibt, und sie kann sich dabei nicht auf Erreichtem ausruhen, wie es die Staats- und Stadttheater immer mal wieder tun. Sie muss sich nach künstlerischer Brillanz strecken und gleichzeitig im Sumpf innovativen Durcheinanders wühlen, mit stetem Blick auf die Bewegungen, Verrenkungen und Irritationen der Gesellschaft. Momentan schmerzt dieser Spagat, aber sie bereitet sich vor, die neue Freie Szene, pickt sich die Perlen heraus, diskutiert Möglichkeiten, gibt Chancen, bis dann (hoffentlich) die nächste Revolte, der neue Schwung über sie hereinbricht.

Günther Grosser

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