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Auch mal angriffslustig: Alexander Ridha, 33, wuchs in Hamburg auf und wohnt seit 13 Jahren in Berlin.
© Shane McCauley

Boys Noize: Ein Porträt des Berliner DJs: Bis die Sterne vom Himmel regnen

Alexander Ridha alias Boys Noize ist DJ und Technoproduzent. Gerade ist sein Album „Mayday“ erschienen. Ein Treffen.

Der Irrsinn hat kein Herz für die Kunst. Vor allem aber mag er keine elektronische Musik. Diese Erfahrung hat zumindest Alexander Ridha gemacht. Der DJ und Produzent, bekannt unter seinem Künstlernamen Boys Noize, zählt zu den Protagonisten seines Genres. Seit 13 Jahren lebt der gebürtige Hamburger mittlerweile in Berlin. In seiner schick sanierten Altbauwohnung in Prenzlauer Berg hatte sich Ridha ein Home-Studio eingerichtet, dort entstand auch ein Großteil seiner Musik. Man muss hierfür die Vergangenheitsform bemühen, denn seit einiger Zeit ist damit Schluss. Ein neuer Nachbar zog ein und beschwerte sich immer wieder über Lärm. „Richtig terrormäßig“ sei das gewesen, erzählt Ridha und gab entnervt auf.

"Mayday" ist sein viertes Album

Und so kommt es, dass Boys Noize an einem sonnigen Nachmittag knapp zwei Kilometer Luftlinie von seiner Wohnung entfernt zum Gespräch lädt. Er sitzt in einem kleinen dunklen Raum. Linkerhand stapeln sich Keyboards in einem Regal, geradezu steht ein Rechner. Die Wände sind größtenteils mit Schaumstoff verkleidet – neben der Tür kleben Fotos von Oldtimern. Seit knapp einem Jahr ist das Ridhas Exil. Nicht so komfortabel wie das Heimstudio zwar, aber er kann hier ungestört arbeiten.

In den zurückliegenden Monaten hat Alexander Ridha in diesem Raum sehr viel Zeit verbracht. Wenn er nicht gerade irgendwo auf der Welt auflegte, arbeitete er hier an seinem Album „Mayday“, das am Freitag erschienen ist. Es ist sein viertes, das letzte liegt vier Jahre zurück. Nach dem Maßstab der Generation Internet ist das eine Ewigkeit. Zumal Streamingdienste und Plattformen wie Soundcloud jeden Tag eine Fantastillarde neuer Songs anschwemmen. Setzten sich Fans einst intensiv mit dem Werk eines Künstlers auseinander, springen sie heute oft nur noch von einem Lied zum nächsten. Aufmerksamkeit erregt, was neuer, besser, greller erscheint.

Neben der Schule jobbte er in einem Plattenladen

Ist die Veröffentlichungsform Album da überhaupt noch zeitgemäß? Der Künstler guckt ernst: „Wenn man ehrlich ist, nein. Für mich ist es aber immer noch wichtig. Es ermöglicht mir, Dinge auszuprobieren und Dynamiken ganz anders aufzubauen.“ Dann ist „Mayday“ also nur aus egoistischen Gründen entstanden? „Genau“, sagt der 33-Jährige und lacht. So ganz stimmt das natürlich nicht, und dafür gibt es Beweise: Als Ridha am Tag der Arbeit ein unangekündigtes DJ-Set am Schlesischen Tor spielte, um Werbung für die Platte zu machen, versammelten sich innerhalb kürzester Zeit hunderte Menschen vor seiner Anlage.

Junge Mädchen, alternde Raver, Hipster, Touristen. Mit seinem Mix aus treibenden Beats, abstrakten Klängen und elegischen Melodien zog Boys Noize sie in seinen Bann. Knapp anderthalb Stunden legte er auf, dann kam die Polizei. Unter Pfiffen und Buhrufen beendete sie die Aktion. Dass Alexander Ridha aus dem Stand ein Publikum für seine Musik begeistern kann, liegt vermutlich daran, dass er sein Handwerk – man muss es so altmodisch formulieren – von der Pike auf gelernt hat. Schon als kleiner Junge geht er in Hamburg in Plattenläden. Erst mit seinem zehn Jahre älteren Bruder, dann allein. „Ich liebe diesen Ort als kulturelle Zelle und sozialen Raum, daran hat sich bis heute nichts geändert“, sagt er. Neben der Schule jobbt er in einem Plattenladen, fünf Mark die Stunde gibt es dafür. Von dem Geld kauft er sich seine erste Anlage.

Ridha arbeitete mit Chilly Gonzales zusammen...

Alexander Ridha fängt an, als Warm- Up-DJ in kleinen Clubs aufzulegen. 50 Mark bekommt er dafür, dazu das unbezahlbare Gefühl machen zu dürfen, wovon er immer geträumt hat. Das Produzieren bringt er sich selbst bei. Mit einem Freund, der zuvor für die Absoluten Beginner und Samy Deluxe gearbeitet hatte, gründet er das Duo Kid Alex. Der Titel „Young Love (Topless)“ wird 2003 ein Hit. Ridha ist da gerade 20 Jahre alt. Der frühe Ruhm hätte ihm zu Kopf steigen können. Doch statt abzuheben, konzentriert er sich weiter auf die Musik und veröffentlicht seine Aufnahmen auf renommierten Labels wie Kitsuné und Gigolo Records, der Plattenfirma seines Kollegen DJ Hell. 2005 gründet er schließlich Boysnoize Records, auf dem er später sein erstes Soloalbum „Oi Oi Oi“ herausbringt.

Das Geheimnis seines Erfolgs liegt vermutlich darin, dass sich Alexander Ridha nicht für Trends interessiert. So wie damals, als er nach Berlin zog. Zu jener Zeit war Minimal-Techno der Clubsound der Stunde. Kalt, reduziert, unvermittelt. Also das komplette Gegenteil zu Ridhas vielschichtiger Klangwelt. „In Berlin war damals die harte Gangart angesagt“, erzählt Boys Noize. „Hamburg hingegen stand für Handtaschen-House, darüber machte man sich lustig.“ Er blieb seinem Stil trotzdem treu: „Ich machte in meinem Verständnis modernen Punk.“

Und mit den Pet Shop Boys, Rammstein, Daft Punk und vielen mehr

Sich auf gängige Kategorien festzulegen, ist dem Produzenten ohnehin fremd. Für den Kollegen Chilly Gonzales erschuf er den Klangteppich für dessen überdrehte Raps auf dem Album „Ivory Tower“. Ihr letztes gemeinsames Projekt heißt Octave Minds. Bei Live-Auftritten saß Gonzales am Piano, Boys Noize stand hinter seinen Drum-Machines, neben ihm ein Streicher-Quartett. Diese musikalische Offenheit ist es auch, die internationale Künstler zu schätzen wissen. Die Liste der Namen, mit denen und für die er bislang gearbeitet hat, ist lang. Sie reicht von Depeche Mode, Bloc Party, Marilyn Manson über Snoop Dogg, Daft Punk und Rammstein bis hin zu den Pet Shop Boys.

Ridha ist kein Freund des Namedroppings. Im Gespräch betont er lediglich, mittlerweile auf persönlichen Treffen zu bestehen. „Dadurch wird das Ergebnis organischer. Den Spaß, den man im Studio zusammen hat, kann man durch die Musik transportieren.“ So war das offenbar auch bei „Starchild“, der zweiten Single des neuen Albums. Das Stück beginnt mit sphärischen Klängen, dann setzt ein zarter Frauengesang ein. Die Stimme gehört Channy Leaneagh, der Sängerin der amerikanischen Indietronic-Gruppe Poliça. Mit ihr verbrachte Ridha drei Tage in einem Studio in Miami. Schon lange stand die Sängerin auf seiner Wunschliste. Der Kontakt kam über Justin Vernon zustande, den musikalischen Kopf von Bon Iver.

Im Video zu „Starchild“ läuft Channy Leaneagh gedankenverloren durch die Straßen von Miami. Zwischendrin ist ein dunkel funkelnder Erdball als überdimensionale Discokugel zu sehen. Am Ende steht Leaneagh in einer Art Sternenregen, zerbrechlich schön und ganz bei sich. Boys Noize tritt in dem knapp vierminütigen Clip nicht einmal in Erscheinung.

„Mayday“ ist bei Boysnoize Records erschienen.

Nana Heymann

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