DJ-Hell-Album "Teufelsswerk": Vollgas bis zum Untergang
Der Rezession kann man als Popmusiker auf verschiedene Weise begegnen. Entweder man passt sich den Gegebenheiten an und arbeitet sich am Sound einer neuen Bescheidenheit ab. Oder man macht es wie DJ Hell: Sein Doppelalbum "Teufelswerk" ist eine berauschende Stilmix-Party.
Sein viertes Album „Teufelswerk“ ist ein Manifest der Ausschweifung, das es in Zeiten pessimistischer Prognosen für die Zukunft physischer Tonträger eigentlich gar nicht geben dürfte. Während alle Welt darüber fabuliert, ob das Album als Kunstform zum Aussterben verurteilt ist, weil bald nur noch einzelne Songs von MP-3-sozialisierten Hörern konsumiert werden, wirft Hell einen gewaltigen Brocken auf den Markt: eine Doppel-CD, fast zwei Stunden lang, angelegt als aufwendiges Konzeptwerk mit einer „Night“– und einer „Day“-Seite. Das Ganze hat Hell nicht etwa am Computer zusammengeschraubt, sondern mit echten Musikern, einem beträchtlichen Aufgebot an Gaststars und freundlich helfenden Produzentenhänden umgesetzt.
Geier, 1962 im oberbayerischen Altenmarkt geboren, arbeitete sich nach bescheidenen Landdisko-Anfängen in die Clubs der Landeshauptstadt vor, wo er als DJ Hell das Fundament für seine Weltkarriere legte. Doch obwohl er seit gut 15 Jahren zum globalen DJ-Jetset gehört, konnte Geier im Gegensatz zu Kollegen wie Paul Van Dyk oder Sven Väth als Plattenkünstler nie so richtig reüssieren. Weder „Munich Machine“ (1998), die opulente Hommage an den Isar-Disco-Sound von Giorgio Moroder, noch das düstere Electroclash-Gewächs „N.Y. Muscle“ (2004) konnten in kommerzieller Hinsicht die Erwartungen erfüllen. Mit „Teufelswerk“ scheint Hell, dessen Label Gigolo Records nach einer unseligen Kooperation mit Universal kurz vor der Pleite stand, noch mal alles auf eine Karte zu setzen. Und wenn die Platte keine schwarzen Zahlen schreiben sollte, wäre sie zumindest ein stilvoller Abgang.
Denn was könnte stilvoller sein, als ein neunminütiger, von akkumulierenden Bässen und Synthiebreitseiten angeschobener House-Brecher, zu dem ausgerechnet Bryan Ferry mit verwehter Stimme vergangene Nachtlebeneskapaden besingt. „U Can Dance“ ist das generationenübergreifende Gipfeltreffen zweier Stilikonen: Hier der Glamrock-Aristokrat von Roxy Music, mit 63 immer noch ein Meister des melancholischen Hedonismus, dort der 17 Jahre jüngere Hell, dessen Selbstinszenierung als DJ-Dandy ohne Vorbilder wie Bryan Ferry oder Andy Warhol nicht denkbar wäre. Und „U Can Dance“ klingt noch viel besser, als es sich auf dem Papier liest: mindestens die beste Club-Hymne seit „Blind“ von Hercules And Love Affair. Da kann Hip-Hop-Großmaul P.Diddy als Gastrapper auf „The DJ“ nicht mithalten, auch wenn sein wirres Plädoyer für 20-minütige Maxiversionen ziemlich lustig ist. „Electronic Germany“ ist die von einer schnarrenden Computerstimme verlesene Kartografierung der Zentren elektronischer Musik in Deutschland: München, Frankfurt, Düsseldorf – und Berlin, wo Hell mit Unterbrechungen seit den Neunzigern lebt.
Bleibt „Night“ als virtuose Quersumme von Hells langjährigem DJ- Know-How durchaus im Rahmen des Erwartbaren, so geht der zweite Teil von „Teufelswerk“ darüber hinaus: Die schwebenden, fragilen Klanggebilde der „Day“-CD memorieren die Musik der kosmischen Krautrock-Kuriere der frühen Siebziger, ohne sie plump nachzustellen. So ist ein Stück wie „Germania“ einerseits Kraftwerk pur, wird aber von Hell mit den sanften Sphärenmodulationen von Tangerine Dream und dem Cut- Up-Lärm von Neu! verwoben. Ein Meisterwerk akustischer Suggestion ist das dreizehnminütige „The Angst“: Dessen Stimmungsbarometer reicht von der klirrenden Psychofolter italienischer Horrorfilm-Soundtracks bis zu spätsommerlichem Gitarrengeklimper, wie man es so unschuldig seit den Tagen von Eroc oder Bröselmaschine nicht mehr gehört hat. Eingespielt wurden die luftigen „Day“- Impressionen im Wiener G-Stone Studio von Peter Kruder, geholfen haben Christian Prommer von Fauna Flash und der Jazzpianist Roberto Di Gioia.
Mit „Teufelswerk“ bleibt Hell ein Suchender, der stur sein Ding durchzieht. Kein Track illustriert dies so anschaulich wie die kindlich anmutende Technikbegeisterung von „Hellracer“: Zum harten Sequenzer-Beat lässt Hell einen hochtourigen Rennwagen seine Runden drehen. Während Kraftwerk damals die „Autobahn“ im gemütlichen Bummeltempo vertont haben, rast der „Hellracer“ als Fanal einer untergehenden Epoche durch das virtuelle Betonoval. Dem Elektroauto mag die Zukunft gehören, bis dahin tritt Hell das Gaspedal voll durch. „Teufelswerk“ ist deutsche Techno-Wertarbeit als rührend renitentes Statement wider den Zeitgeist.
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