zum Hauptinhalt
Sharon Dodua Otoo in Klagenfurt.
© Puch Johannes

Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb: Bin ich etwa ein Ei?

Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt: Was an Tag drei geschah.

Wer beim Bachmann-Wettbewerb die Lesungen und Diskussionen einmal nicht im Garten des ORF-Geländes, im Eingangsbereich oder im Café, also im Fernsehen schauen, sondern live im Studio dabei sein will, muss früh aufstehen und warten können: mal 15 Minuten, mal 20 und mehr. Lang ist die Menschenschlange vor der Tür, begrenzt die Plätze, knapp 150, und wann aufgemacht wird, folgt einer willkürlichen Zeitsetzung. Einmal drin, fragt man sich: Ist es das jetzt? Ist die Atmosphäre hier besser, unvermittelter? Lässt sich hier die Nervosität oder Coolness der Autoren und Autorinnen erspüren, kommt einem gar der Text näher? Oder gehört es nicht dazu, während der Lesungen übliche Verdächtige herumstreifen zu sehen: den in Klagenfurt lebenden Büchner-Preisträger Josef Winkler in seinem ewigen Rotrosa-Look, den Berliner Bachmann-Preisträger Peter Wawerzinek, die Schriftstellerin Valerie Fritsch? Die Konzentration ist das eine, aber das Zerstreute hat auch was – die Texte müssen sowieso ein zweites und drittes Mal im stillen Kämmerlein gelesen werden.

Lange warten musste man dieses Jahr auch auf einen echten Favoritentext. Genauer bis Samstagvormittag. Die in Berlin lebende Britin Sharon Dodua Otoo beginnt mit einer Leseanweisung, „Bitte sorgen Sie dafür, dass Sie bequem auf ihrem Stuhl sitzen. Es sollte Ihnen weder zu heiß noch zu kalt sein.“ Dann erzählt sie von den Frühstücksritualen des betagten Ehepaars Gröttrup, davon, wie sie ihm an diesem Morgen sein Ei nicht so hart gekocht hat, wie er es gewohnt ist, und was ihm dabei durch den Kopf geht. Otoo beschreibt alles detailliert, die Ei-Szene will und will nicht enden, doch dann gibt es glücklicherweise einen Bruch in Form einer weiteren Leseanweisung. Danach wechselt die Erzählperspektive ins Metaphysische, es gibt auf einmal ein Ich, das mal Ei, mal Lippenstift, mal etwas Schriftliches ist, es geht in die Familiengeschichte der Gröttrups (Helmut war Wernher von Brauns Assistent bei der Entwicklung der V2) und ins Philosophische: „Tote haben Bilder. Die, die noch nie gelebt haben, warten noch drauf.“

Die Jury ist begeistert, lobt das Coole des Textes, seinen Witz, seine Komik, das postmodernistisch Parabelhafte – und man wundert sich auf seinem Platz in der letzten Reihe: Sooooo witzig ist er nicht, sooooo cool. Die Ironie hat den Charakter eines Holzhammers, die Sprache ist auffällig unauffällig, inklusive übertrieben politisch korrekter Formulierungen („jemensch“ statt „jemand“). Sharon Dodua Otoos Text ist gut gemacht, perfekt auf Wettbewerb und Jury zugeschrieben, eine schöne Fingerübung, wie der von Nora Gomringer 2015. wie viel literarisches Potential letztendlich in Otoo steckt, verrät ihr Auftritt nicht. Ach, waren das noch Zeiten, als Iris Radisch nach der Lesung von Uwe Tellkamp ausrief: „Wir haben hier heute einen ganz großen Schriftsteller entdeckt!“

Zur Startseite