Villa Grisebach: Beste Bedingungen
Die Villa Grisebach feiert ihren 30. Geburtstag mit rekordverdächtigen Versteigerungen. Eine Vorschau.
Bedrohlich nah rückt das aufgepeitschte Meer, die grünschwarzen Wellen türmen sich, die helle Gischt lässt die Kraft der Naturgewalten erahnen. Ganz verloren und verschmolzen mit den Wogen stemmen sich zwei dunkle Segelschiffe im Sturm gegen die Fluten. Ergriffen von dem Schauspiel, das sich ihm auf seiner Südseereise darbot, malte Emil Nolde dieses Naturspektakel, hielt es fest mit wildem Pinselstrich und innerlich dem gleichem Ungestüm, mit dem der Wind die Wellen in die Höhe treibt.
Auf der Reise, die Nolde mit seiner Frau Ada von Dezember 1913 knapp fünf Monate lang im Rahmen einer Expedition unternahm, schuf er das Gemälde unter schwierigen Bedingungen. Zahlreiche farbenprächtige Aquarelle und viele Zeichnungen auf Papier sind dabei entstanden, aber insgesamt nur 19 Ölgemälde. Die kleinen Formate ließen sich unterwegs besser handhaben als die sperrigen Leinwände. Und ausgerechnet die Gemälde gingen beim Rücktransport, bedingt durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges, verloren. Noldes Kisten mit seinen Bildern wurden im Ärmelkanal gekapert und nach England gebracht. Erst 1921 erfährt der Künstler, dass sie in London wieder aufgetaucht sind, und zu seiner größten Freude kann er seine Bilder zurückerwerben, darunter auch die eingangs beschriebene „Bewegte See II (Zwei Segler aneinander)“ von 1914.
Dieses Bild ist nur eines der Spitzenlose in der Jubiläumsauktion zum 30-jährigen Bestehen von Grisebach. Es soll die Millionengrenze kappen und bis 1,5 Millionen Euro bringen, ebenso wie das kubistische Gemälde mit der sonnig leuchtenden „Gelbe Gasse“ des deutsch-amerikanischen Bauhauslehrers Lyonel Feininger von 1932. Beide Lose gehören zu der stets mit Spannung erwarteten Abendauktion, die dieses Mal nach mittlerem Schätzwert allein 16 Millionen Euro des erwarteten Gesamterlöses von 29 Millionen einspielen soll.
Ein eindrucksvolles Liebermann-Selbstporträt kommt unter den Hammer
Garant dafür ist ein beachtliches Angebot an Werken der klassischen Moderne, darunter zwei weitere Nolde-Gemälde: „Königskerzen“ (1915) und „Leuchtende Sonnenblumen“ von 1950. Beide sind auf mindestens 800 000 Euro taxiert. Von Max Liebermann werden ein eindrucksvolles Selbstporträt aus dem Jahr 1926 und eine wunderbare „Studie zum Restaurationsgarten in Leiden“ mit bewegtem Licht- und Schattenspiel von 1900 versteigert; das eine ab 300 000, das andere zur unteren Taxe von 500 000 Euro.
Farbenfroh strahlt das „Stilleben mit brennender Kerze“, von Max Beckmann Anfang der zwanziger Jahre gemalt (ab 700 000 Euro). Es deutet an, dass sich Beckmanns Nachkriegsbitterkeit allmählich verflüchtigt hat und er einen Neuanfang wagt. Verspielt kommt Paul Klees „Burg auf dem Riff“ von 1927 daher (500 000–700 000 Euro), kühl-sachlich und ein wenig surreal wirkt Anton Räderscheidts „Haus Nr. 9“ von 1921.
Mit dem Miniaturbild des Belgiers René Magritte aus einer Reihe von Gemälden mit Wolken vor blauem Himmel, die seit 1931 entstanden und den hintergründigen Titel „La malédiction“ (200 000– 300 000 Euro) tragen, will Grisebach vielleicht an die kleine Sensation vom Frühjahr 2015 anknüpfen, als nach leidenschaftlicher Bieterschlacht ein anderes dieser Werke für satte 700 000 Euro weit über der Taxe den Besitzer wechselte. Charmant sind die Künstlerpostkarten von Ernst Ludwig Kirchner und Erich Heckel mit für sie typischen Motiven aus den Jahren 1910 und 1911. Weitere Werke von August Macke, Lovis Corinth, Karl Schmidt-Rottluff, Lesser Ury, Karl Hofer oder Fernando Botero runden das zugkräftige Angebot ab.
Das Auktionshaus hat von seiner Hauptstadtlage profitiert
Zum 30. Geburtstag will das Auktionshaus einmal mehr die eigenen Rekorde brechen. Es sei „die qualitativ und quantitativ größte Auktion in der Geschichte des Hauses“, wirbt Grisebach. Als das Haus 1986 unter anderen vom Bremer Kaufmannssohn Bernd Schultz gegründet wurde, der sich allmählich als geschäftsführender Gesellschafter aus dem aktiven Geschäft zurückzieht, ahnte niemand, dass es sich zu einem der erfolgreichsten Auktionshäuser Deutschlands entwickeln würde. Einzig die Erinnerung an Berlins Vergangenheit als Metropole des Kunsthandels in den zwanziger Jahren ließ auf eine vielversprechende Zukunft hoffen. Rückblickend erkennt Schultz unterschiedliche Gründe für den Erfolg: „Ich hatte eine Vision, und der Fall der Mauer hat sie auf wunderbare Weise befördert. Dazu wurde Berlin 1991 auch noch Hauptstadt unseres Landes. Neben einem außergewöhnlichen Team gehört zum Erfolg auch die notwendige Portion Glück. Das haben wir reichlich gehabt.“ Schultz ist überzeugt davon, dass das Haus auch künftig von der Entwicklung Berlins als Hauptstadt profitieren wird. Die schrittweise Erweiterung des Spektrums, das ursprünglich auf die deutsche klassische Moderne beschränkt war, hat die Umsätze kontinuierlich wachsen lassen und das Haus sicher aufgestellt. So halten beim diesjährigen Jubiläum nicht nur die Abendauktion, sondern alle Abteilungen starke Angebote bereit.
Ein Portfolio mit posthumen Abzügen von George Grosz-Aufnahmen
Im Bereich des 19. Jahrhundert sind es ein frühes Gemälde von Max Liebermann (350 000–450 000 Euro), etliche Werke von Adolf Menzel und ein Gemälde Carl Spitzwegs. Bei den Zeitgenossen warten ein Beuys-Porträt von Andy Warhol und das große Nagel-Diptychon „Gespaltenes Feld“ von Günther Uecker , die je mindestens 400 000 Euro einspielen sollen. Dazu etliche Arbeiten aus dem Umfeld der Zero-Gruppe, Robert Indianas Skulptur „Love“ (300 000–400 000 Euro) und vieles mehr. Spitzenlose der Fotografie sind František Drtikols Akt mit Äpfeln, der um 1925 entstand und 50 000 Euro kosten soll, Albert Renger-Patzschs „Bäumchen“ von 1929 im Stil der Neuen Sachlichkeit und drei Kontaktabzüge aus einer französischen Privatsammlung, die Mies van der Rohes spektakuläre Hochhausprojekte dokumentieren. Ebenfalls zur Auktion steht ein Portfolio mit posthumen Abzügen der Aufnahmen, die George Grosz 1932 bei seiner Ankunft in New York gemacht hat, sein einziger Ausflug in die Fotografie mit bemerkenswertem Blick für formale Komposition (ab 10 000 Euro).
In der Abteilung Orangerie mit ausgewählten Objekten reicht das Angebot von antiken Möbeln und klassischen Designerstücken wie einer Deckenleuchte von Hans Poelzig (6000 Euro) über einen restaurierten Oldtimer der Marke Jaguar Mark 2 (ab 60 000 Euro) bis hin zu einer zweiflügeligen Silbertür aus dem Palast des Maharawal von Dungarpur und einem Gedicht Else Lasker-Schülers in ihrer Handschrift für eine Untertaxe von 4000 Euro.
Grisebach, Fasanenstr. 25, 27, & 73, Vorbesichtigung: bis 29.11., Sa–Mo 10–18 Uhr, Di 10–15 Uhr / Jubiläumsauktionen: 30.11.–03.12.
Angela Hohmann
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