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Lebenslust am Landwehrkanal: Eine Szene aus "Berlin 2.0" von Mathilde Ramadier und Alberto Madrigal.
© Futuropolis

Stadt von Welt: Berlins Comicszene wird immer internationaler

Von „Berlin 2.0“ bis zum Festival Comicinvasion: Immer mehr internationale Comiczeichner ziehen nach Berlin und finden hier Inspiration.

Neulich beim Mini-Festival „Comics and the Beast“ in einer Neuköllner Bar mit Galerie: Da plauderten die Besucher auf Griechisch und Englisch miteinander, auf Französisch und Deutsch. Ebenso vielfältig waren die Sprachen der meist selbst publizierten Comics, die die Zeichner auf den Tischen ausgebreitet hatten. Eines von immer mehr Beispielen, die zeigen, wie international Berlins Comicszene inzwischen geworden ist – und wie die Stadt und die Künstler einander bereichern.

Die in Neukölln lebende französische Autorin Mathilde Ramadier (28) und den in Kreuzberg lebenden Zeichner Alberto Madrigal (33) zum Beispiel hat ihre Wahlheimat zu dem Comic-Album „Berlin 2.0“ inspiriert, das soeben beim renommierten französischen Verlag Futuropolis erschienen ist. Eine gezeichnete Ode an die Stadt als Magnet der Kreativszene, aber auch eine kritische Auseinandersetzung mit gängigen Berlin-Klischees und einigen weniger erfreulichen Realitäten: Die Geschichte handelt von der Pariser Literaturstudentin Margot, die es auf der Suche nach einem Job und kreativem Input nach Berlin verschlägt – und die neben vielen euphorischen Momenten auch derbe Enttäuschungen erlebt, als sie merkt, dass hier die Ausbeutung von Minijobbern und die Gentrifizierung ebenso zum Alltag gehören wie die öffentlich zelebrierte Lebenslust.

Buchpräsentation am 15. April

„So wie Margot habe ich das auch erlebt“, erzählt Mathilde Ramadier beim gemeinsamen Gespräch mit Alberto Madrigal in dessen Kreuzberger Wohnung. „Ich habe in Berlin in fünf Jahren 20 Nebenjobs gehabt und dabei mehr schlechte als gute Erfahrungen gesammelt.“ Am 15. April um 18 Uhr stellen die beiden ihr Buch, das in Frankreich gute Kritiken bekommen hat, in der Französischen Buchhandlung der Galeries Lafayette in der Friedrichstraße vor (mit Podiumsgespräch und Champagner, Eintritt frei).

Wahl-Berliner. Das Cover des Buches "Berlin 2.0" von Alberto Madrigal und Mathilde Ramadier.
Wahl-Berliner. Das Cover des Buches "Berlin 2.0" von Alberto Madrigal und Mathilde Ramadier.
© Futuropolis

Die filigranen, auf dem Computer-Tablet gezeichneten Bilder von Alberto Madrigal vermitteln ein sympathischeres Bild seiner Wahlheimat, wenngleich die pastellfarbene Kolorierung den Stadtansichten auch etwas Gedämpftes, Melancholisches verleiht. Das Leben der Figuren in „Berlin 2.0“ spielt sich ab an jenen Orten, die in keinem Reiseführer fehlen, die aber auch im Alltag der Autorin und des Zeichners eine wichtige Rolle spielen: Von Mauerpark und Tempelhofer Feld über Ankerklause und Berghain bis hin zur Admiralbrücke. Alberto Madrigal hat Berlin bereits in mehreren Comic-Büchern verewigt, kürzlich erschien von ihm die autobiografisch geprägte Erzählung „Va tutto bene“, vorerst nur auf Italienisch. „Die Medien daheim in Spanien reden über Berlin, als sei es das Paradies“, sagt Madrigal. „Unser Buch soll den Lesern vermitteln: Achtung, werdet erst mal erwachsen, bevor Ihr nach Berlin kommt.“ Vor allem aber sei es ein „Liebesbrief an die Stadt“, sagt Mathilde Ramadier, die zuvor auch einen Comic über die Berliner Techno- Szene („Rêves syncopés“) sowie zusammen mit der Zeichnerin Anaïs Depommier eine Comic-Biografie von Jean-Paul Sartre geschaffen hat, die am 4. Mai bei Egmont auf Deutsch erscheint. „Wir beide lieben Berlin, sonst wären wir nicht mehr hier.“

Von „Tank Girl“ bis zu „Beton“

Ähnliche Geschichten können viele der in Berlin lebenden Comicautoren erzählen: Die in Frankreich aufgewachsene Zeichnerin Claire Webster, deren Eltern aus den USA stammen, kam vor sechs Jahren und verarbeitet ihre Erlebnisse mit der Stadt seitdem in charmanten Episoden unter dem Titel „Master of Survival“ (clairikine.blogspot.de). Der griechische Zeichner Gounis (www.gounis.org), der von sich nur seinen Künstlernamen preisgibt, arbeitet in Berlin an seinen satirischen Adam-und-Eva-Comics, von denen kürzlich ein erster Sammelband erschienen ist. Und der Brite Rufus Dayglo (rufusdayglo.blogspot.de), den Comic-Fans aus aller Welt als Zeichner der Kultserie „Tank Girl“ verehren und der kürzlich die Punk-Serie „Last Gang in Town“ gestartet hat, zeigt auf Twitter regelmäßig Foto-Stillleben aus seiner Atelierwohnung in Neukölln und Schnappschüsse von seinen Stadtspaziergängen.

Ein Forum, an dem deutsche und französische Independent-Comiczeichner zusammentreffen, ist das deutsch-französische Comicmagazin „Beton“, dessen fünfte Ausgabe kürzlich erschienen ist. Thema diesmal: Piraten. Arbeitslose somalische Seeräuber gehen da in der Berliner U-Bahn betteln, die Arbeitsagentur rät einem frustrierten Piraten zur Politikerlaufbahn, und das Lied einer geliebten Person verscheucht bei einer Autorin die Gedankenpiraten im Kopf: drei von 28 Comic-Kurzgeschichten, die sich in der fünften Ausgabe finden. Das mit jeder neuen Nummer an Umfang und Qualität gewachsene Heft wird von der in Berlin lebenden Französin Laëtitia Graffart herausgegeben und bietet eine kurzweilige Mischung an Independent-Arbeiten. Neben deutschen Szene-Größen wie Ulli Lust, Aike Arndt und Felix Pestemer kann man vor allem viele bislang kaum bekannte Autoren und Zeichner entdecken. Wechselnde Schwerpunktthemen verbinden Witziges und Verstörendes, Kunstvolles und punkig Hingerotztes. Und mit den zweisprachigen Texten kann man nebenbei auch noch sein Französisch trainieren. (70 Seiten, 7 Euro, Bestellung: www.beton.ink)

„Die Stadt inspiriert mich jeden Tag aufs Neue“

Einer der jüngsten Neuzugänge ist der kalifornische Zeichner Rahsan Ekedal, der zusammen mit dem Autor Matt Hawkins die Thriller-Serien „Think Tank“ und „The Tithe“ geschaffen hat. Er zog vor zwei Jahren zusammen mit seiner Frau aus Los Angeles nach Neukölln – ohne Berlin je zuvor besucht zu haben. „Mich zog der Ruf der Stadt an als ein Ort, in dem Künstler aus aller Welt willkommen sind und Erfolg haben“, sagt Ekedal. „Das war ein großes Risiko, aber es hat sich gelohnt: Ich liebe die Stadt, sie inspiriert mich jeden Tag aufs Neue.“ Die soziale und kulturelle Vielfalt gerade in Neukölln bereichere seine Arbeit und seine Art, Geschichten zu erzählen. Manchmal ganz direkt: In der neuen Folge von „Think Tank“, die am 6. April erscheint, sollen mehrere Szenen in Berlin spielen. Und Ekedal arbeitet schon an einer weiteren neuen Erzählung: Sie soll auf dem Tempelhofer Feld spielen.

„Auf und davon – zu einem besseren Ort“ - das diesjährige Poster der Comicinvasion.
„Auf und davon – zu einem besseren Ort“ - das diesjährige Poster der Comicinvasion.
© Ali Fitzgerald

Viele der in Berlin gelandeten Comicschaffenden aus aller Welt kann man in den kommenden Wochen persönlich kennenlernen: Seite dem 1. April läuft das Satellitenprogramm der „Comicinvasion“ (www.comicinvasionberlin.de), die aus zahlreichen Ausstellungen und Präsentationen an unterschiedlichen Orten besteht und in einem zweitägigen Festival am 16. und 17. April im Urban Spree gipfelt (Revaler Straße 99, Friedrichshain, 12-20 Uhr, Eintritt frei). Bis zu 200 Künstler erwartet Organisator Marc Seestaedt zu der nunmehr fünften Comicinvasion – gut ein Drittel davon stammt nicht aus Deutschland, schätzt er. Wie die Künstlerin Ali Fitzgerald, die es aus Austin, Texas, nach Friedrichshain verschlagen hat. In Berlin arbeitet sie an neuen Bildern, veranstaltet einen viel beachteten Zeichen-Workshop für Bewohner von Berliner Flüchtlingsunterkünften und hat auch das Poster der diesjährigen Comicinvasion gezeichnet. Das zeigt ein Gewässer voller Haie und Krokodile und darüber eine Frau mit Koffer, die sich mit einem Balanceakt von einer Insel auf die andere rettet. Das ist als Metapher für das Schicksal vieler Flüchtlinge gedacht, mit dem sich auch der diesjährige Festival-Wettbewerb „Auf und davon – zu einem besseren Ort“ beschäftigt. Man kann das Bild aber auch als Allegorie auf die Künstler-Wahlheimat Berlin lesen.

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