zum Hauptinhalt
Strich für Strich.
© Bigna Fink

Bilder und Bomben: Comic-Zeichenkurse für Flüchtlinge

In einem Zeichenkurs verarbeiten Flüchtlinge ihre Erfahrungen künstlerisch. Jetzt soll das Projekt auf andere Einrichtungen ausgeweitet werden.

In der Notunterkunft für Flüchtlinge in Moabit ist es laut. Kinder flitzen mit Rollern durch die 2500 Quadratmeter große Traglufthalle. „Ich kann nicht zeichnen“, sagt Mahrus Alakel. Der 25jährige Syrer, groß und schlank, steht vor dem Zeichentisch, den Ali Fitzgerald im Aufenthaltsbereich der Halle vorbereitet hat. Seit Juni bietet die aus den USA stammende Künstlerin und Autorin den Geflüchteten einen Comicworkshop an. Jeden Dienstag breitet sie Papier und Stifte aus, auch Comicbücher, wie „Persepolis – eine Kindheit im Iran“ von Marjane Satrapi.

„Doch, das kannst Du“, sagt die 32jährige und fragt Alakel nach seinem Lieblingsessen. „Mahashi, ein leckeres syrisches Gericht: gefüllte Zucchini mit Reis.“ Fitzgerald holt eine ihrer Vorlagen heraus, die sie für die Kurse mit den Flüchtlingen vorbereitet hat. Darauf steht in Englisch und Arabisch: „Erinnerungen an mein Lieblingsessen“. Unter einem Teekrug und Gemüse sind Quadrate abgebildet, in die die Kursteilnehmer ihr Leibgericht zeichnen können. Schließlich nimmt Alakel doch einen Bleistift. Obwohl er schon seit 15 Jahren nicht mehr gezeichnet habe. Er fängt an, mit zarten Strichen eine Paprika abzuzeichnen.

Hemmungen vor dem Zeichnen nehmen

Eine weitere Zeichenhilfe zeigt drei große Herzen, darüber steht: „Menschen, die ich liebe.“ Die Vorlagen sollen den Leuten Hemmungen vor dem Zeichnen nehmen, erklärt Fitzgerald. Überall auf der Welt täten sich Erwachsene schwer, zu zeichnen. Aber im Flüchtlingsheim sei es eine besondere Herausforderung, Teilnehmer zu gewinnen, weil viele kein Englisch können und sich ja nicht wie etwa in einer Volkshochschule aus speziellem Interesse am Thema für diesen Kurs angemeldet hätten.

Kinder dagegen stürzen sich auf das Papier. Als Fitzgerald das Profil eines Mädchens auf dem Flipchart skizziert, staunen die Kleinen und fangen an zu zeichnen: Schmetterlinge, Häuschen, Blumen. Und ja, „Kinder hätten gelegentlich Waffen und Bomben gezeichnet“, erzählt die Künstlerin.

Die in Kalifornien geborene Fitzgerald hat in Texas Kunst studiert und lebt seit sieben Jahren in Berlin, derzeit in Friedrichshain. Ihre Comic-Kolumnen erscheinen im deutschen „Art-Magazin“ sowie im kalifornischen Magazin „McSweeney's“, darin über einen verkaterten Bären.

Comic über Traglufthallen-Kurs

Ihre Arbeiten zeigten das „New York Times Magazine“, das „Bitch Magazine“ sowie Galerien in Amerika und Europa. An Berliner Volkshochschulen lehrt sie Zeichnen, für den Broterwerb auch Business English. Über ihre Erfahrungen mit den Flüchtlingen hat sie einen Comic verfasst, der bei vox.com zu sehen ist. Gerade ist ihr zweiter Comic über den Traglufthallen-Kurs fertig geworden.

Einer ihrer Schüler ist Masuud Muhammad. Der Syrer sieht älter aus als seine 28 Jahre. Er zeichnet konzentriert. In Syrien hat er in der Telekommunikationsbranche gearbeitet, übersetzt Alakel. „Schon letzten Dienstag hat Muhammad so ein interessantes Bild gemalt“, erzählt die Zeichenlehrerin: Ein aufgeschlagenes Buch, das Syrien symbolisiert.

Um eine Hand herum, die aus der Buchseite ragt und die nach einem Seil fasst, hat er eine Waage abgebildet, sowie einen Davidstern, ein Kreuz und einen Mond. Heute zeichnet Muhammad das Gesicht einer jungen Frau, deren Schleier die Haare nur halb bedeckt. Fitzgerald ist begeistert, gibt ihm Tipps für die Schattierung. Dies hier ist ein klassisches „Freestyle-Zeichnen“, sagt sie, neben Bildabfolgen, Comics eben, lässt sie die Flüchtlinge auch einfach draufloszeichnen.

Während Muhammad ganz still ist, kaum Englisch spricht, erzählt Alakel von sich: Am meisten vermisse er Arbeit, eine sinnvolle Beschäftigung. Alakel hat in Damaskus BWL studiert und lebt seit einem Monat in der Traglufthalle, sie ist eigentlich für Aufenthalte von höchstens vier Tagen gedacht.

Comic als universelle Sprache

„Ich unternehme alles, um mich nicht nutzlos zu fühlen, besuche jede Deutschstunde, drei- bis viermal die Woche.“ Jeden Tag lese er zwei Seiten aus einem Roman, ausgeliehen von der Hallen-Bibliothek: „Verwehte Spur in Kanada“, ein altes deutsches Jugendbuch. Mit Übersetzungen hilft er in der Halle den Sozialarbeiterinnen der Stadtmission. Als Fitzgerald dies bemerkt, fragt sie ihn, ob er für sie im nächsten Kurs übersetzen könne. „Klar“, sagt Alakel.

Die Idee zu dem Comickurs stammt von Mathias Hamann. Der frühere Journalist arbeitet für die Stadtmission und ist Leiter der Notunterkunft in Moabit. Während eines Kunstfestivals traf er Ali Fitzgerald, ihre Zeichnungen inspirierten ihn. „Die Flüchtlinge haben so viel erlebt, gleichzeitig können mit Comics auf besonders empathische Weise Geschichten erzählt werden, in einer universellen Sprache“, sagt Hamann.

Dabei wurden Comics als Erzählform lange nicht ernst genommen. Fitzgerald ergänzt: „In den vergangenen zehn Jahre hat sich das geändert, auch durch dokumentarische Comics wie die Graphic Novel ‘Persepolis‘ über die islamische Revolution im Iran oder den Trickfilm ‘Waltz with Bashir‘ über den Libanonkrieg.“ Hamann ist froh, dass er Fitzgerald als Zeichenlehrerin gewinnen konnte. Die Comickurse werden von der Berliner Stadtmission finanziert, sowie von ComicInvasion und Amnesty unterstützt. Für Einrichtungen in Spandau und Karlshorst sucht Hamann jetzt weitere Comic-Lehrer.

Bigna Fink

Zur Startseite