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Sieben schöne Jahre. Publikum wie Mitarbeiter fühlten sich überraschend wohl im Charlottenburger Ausweichquartier.
©  Matthias Baus

Die Staatsoper kehrt heim: Alles im Griff auf dem singenden Schiff

Am Freitag endet das siebenjährige Exil der Berliner Staatsoper im Charlottenburger Schillertheater. Ein Gruß zum Abschied.

Ist das jetzt ein freudiges Ereignis? Am Freitag geht die definitiv letzte Vorstellung der Berliner Staatsoper im Schillertheater über die Bühne. Mit einem Klassiker der Moderne, Wolfgang Rihms Psychodrama „Jakob Lenz“, endet die Ausweichquartier-Ära, am Samstag beginnen die Techniker bereits mit den Umzugsvorbereitungen. Damit das generalsanierte Stammhaus Unter den Linden im Herbst dann tatsächlich zurückerobert werden kann, in zwei Schritten. Nach der fünf Tage währenden symbolischen Eröffnungsfeier ab 3. Oktober folgt noch eine letzten Schonfrist für die Arbeiter, damit sie letzte Handgriffe ausführen können, während parallel die Anpassung von 13 Repertoire-Stücken an die Gegebenheiten der neuen Bühne stattfindet. Der reguläre Spielbetrieb startet am 7. Dezember.

Sieben schöne Jahre waren das in Charlottenburg, zur allgemeinen Überraschung. Sowohl die Mitarbeiter der Staatsoper haben sich hier sehr wohl gefühlt als auch die Besucher. Hatte Intendant Jürgen Flimm vor dem Umzug noch befürchtet, das Publikum werde nicht nach Charlottenburg zu locken sein, konnte er schon bald das Gegenteil vermelden. Die Auslastung der 990 Plätze lag nach der ersten Exil-Saison bereits bei 84 Prozent, pendelte sich anschließend bei 87 Prozent ein. Selbst die Nähe zur Deutschen Oper, in Sichtweite an der Bismarckstraße gelegen, führte zu keinerlei Verdrängungswettbewerb.

Die Kalamitäten mit dem hohen Grundwasserspiegel in Mitte haben, man kann es nicht oft genug wiederholen, zur Renaissance eines architektonischen Juwels der Berliner Nachkriegsmoderne geführt. Satte 20 Millionen Euro investierte der Senat, um das Schillertheater für Daniel Barenboim und seine Truppe zu ertüchtigen. Und damit die Spuren seiner traurigen jüngeren Geschichte zu tilgen. Die Schließung der Staatlichen Schauspielbühnen 1993 markierte den Beginn des traurigsten Kapitels in der hauptstädtischen Lokalpolitik, einer Phase des Kleinredens und Kaputtsparens, die erst Klaus Wowereit zu stoppen wusste, als er neben dem Job des Regierenden Bürgermeisters auch noch den des Kultursenators übernahm.

Niemand fühlte sich für die Immobilie verantwortlich

Zwar diente das Schillertheater bis zur Jahrtausendwende alljährlich im Mai noch als zentraler Ort des Theatertreffens – bis den ausrichtenden Berliner Festspiele ein anderer Nachwende-Verlierer zur Bespielung zugesprochen wurde, die Freien Volksbühne nämlich –, doch hauptsächlich gastierten in dem Haus seit 1993 Entertainment-Produktionen, von Broadway-Musicals über Max Raabes Schellack-Revivals bis hin zu ABBA-Imitatoren. Der Lappen ging zwar noch hoch, wie die Theaterleute sagen, doch keiner der Kurzzeit-Nutzer fühlte sich wirklich für die Pflege der Immobilie verantwortlich. Zum Erbarmen traurig sah die darum irgendwann aus, verwohnt und abgeschabt.

Um so größer war die Freude für alle, die sich noch an glorreiche Zeiten erinnern konnten, als das Publikum im Herbst 2010 wieder ins aufgemöbelte Schillertheater eingelassen wurde. Wie freundlich wirkte der Saal, nachdem unter der schwarzen Wandfarbe wieder die ursprüngliche helle Holzverkleidung zum Vorschein gekommen war! Wie licht waren die Foyers, wie gut kam nun wieder die Kunst am Bau zur Geltung, Bernhard Heiligers Relief im Eingangsbereich, Hans Kuhns Wandbilder in den Stiegenhäusern, die grandios großzügige, eigenwillig-elegante Fensterfront im Rangfoyer von Ludwig Peter Kowalski! Statt der stickigen Enge des Stammhaus Unter den Linden empfing den Besucher hier eine freundliche Weite, mit viel Luft zum Atmen und Platz zum Flanieren.

Auch von außen will dieses Haus ja ganz bewusst kein Tempel sein, sondern ein Versammlungsort, der sich bereitwillig zur Straße öffnet, zu seiner Umgebung. Linden stehen auch hier, auf einer geradezu ländlich anmutenden Klee- Wiese, durch die zwecks noch besserer Zugänglichkeit von den neuen Nutzern ein zusätzlicher gepflasterter Weg gebahnt wurde. Der zu den fünf Türen führt, die zum Eintreten einladen, in die zeittypisch ausgestattete, nierenförmige Eingangshalle, in der es niemals zu Gedrängel kommt.

Ein Buch dokumentiert alle Inszenierungen im Schillertheater

Sieben schöne Jahre. Publikum wie Mitarbeiter fühlten sich überraschend wohl im Charlottenburger Ausweichquartier.
Sieben schöne Jahre. Publikum wie Mitarbeiter fühlten sich überraschend wohl im Charlottenburger Ausweichquartier.
©  Matthias Baus

„...und abermals verstrichen sind sieben Jahr!“ heißt das großformatige Buch, das Intendant Jürgen Flimm und sein Chefdramaturg Detlef Giese jetzt pünktlich zum Auszug aus dem Schillertheater herausgebracht haben. Der Titel ist mit Selbstironie gewählt, stammt er doch aus der Auftrittsarie von Richard Wagners Fliegendem Holländer, „Die Frist ist um“. Darin erzähl der Seemann vom Fluch, der auf ihm lastet und ihn zum heimatlosen Umherirren auf der Weltmeeren zwingt – es sei denn, er wird durch die bedingungslose Liebe einer Jungfrau erlöst. Nur alle sieben Jahre darf er einen Versuch dazu unternehmen, bislang vergebens. „War ich Unsel’ger Spielball deines Spottes“, ruft er mit donnernder Bassstimme in der Oper dem Allmächtigen zu, „als die Erlösung du mir zeigtest an?“ Wenn das mal kein Menetekel ist bezogen auf die schon viele Male verschobene Rückkehr der Staatsoper ins Stammhaus Unter den Linden.

Eine merkwürdige Mischung aus Coffeetable Book und detailpusseliger Dokumentation ist der 296-Seiten-Band geworden, gemacht ohne übertriebene Ambition, eben so, wie man es im laufenden Theaterbetrieb schaffen kann. Sehr kurz sind die Texte geraten, um so umfassender der chronologisch-archivarische Teil, der wirklich jede künstlerische Regung in diesen sieben Jahren von 2010 bis 2017 verzeichnet. Am meisten Spaß macht natürlich die Fotostrecke aller im Schillertheater gespielten Werke. Weil sich der Betrachter dabei seine Top-5-Listen zusammenstellen kann. Zum Beispiel mit Inszenierungen, die er gerne schnell wieder vergessen möchte. Den blutleeren „Ring“ von Guy Cassiers etwa, Andrea Moses piefige „Meistersinger“, Harry Kupfers Oberseminar-„Fidelio“, und natürlich die beiden Produktionen mit den Trichter-Bühnenbildern, Sasha Waltz’ „Tannhäuser“ und Michael Thalheimers „Freischütz“.

In bester Erinnerung hat der Autor dieser Zeilen dagegen gleich aus der ersten Exil-Saison Krzystof Warlikowskis wüsten „Rake’s Progress“ sowie Vincent Boussards „Candide“, der beim ersten Ansehen so hinreißend verspielt wirkte und erst auf den zweiten Blick seine schwarzhumorige Abgründigkeit offenbarte. Patrice Chéreaus „Aus einem Totenhaus“ gehört zweifellos dazu, ebenso wie die Wiederentdeckung von Bohuslav Martinůs surrealistischer „Juliette“ und die Versuchsanordnung „Mord an Mozart“, die mit angenehm altmodischen Theatermitteln am überkommenen Salieri-Mythos kratzte.

2018 ziehen die Ku'damm-Bühnen ein

Unbedingt ein Wiedersehen Unter den Linden sollte es schließlich mit diesen fünf Volltreffern geben: Zweimal ist Claus Guth dabei, derzeit der wohl klügste Psychologisierer unter den Musiktheaterregisseuren, mit „Don Giovanni“ und „Turn of the Screw“. Atemberaubend gut gelang es Dmitri Tcherniakow und Daniel Barenboim, Rimsky-Korsakoffs „Zarenbraut“ in Heute zu holen. Ein Spektakel, das gleichermaßen Auge wie Ohr entzückt, ist Philipp Stölzls Comic-„Trovatore“, und die gelungenste Arbeit des Hausherrn Jürgen Flimm ist zweifellos sein sommerleichter „Figaro“.

2500 Veranstaltungen, mehr als 100 Premieren auf der großen Bühne wie in der viel genutzten Werkstatt, das von Flimm erfundene „Infektion!“-Festival für die Musik der Gegenwart, über 550 Konzerte, 1,3 Millionen Besucher – die Bilanz am Ende von sieben Jahren im „First-Class-Provisorium“ (Barenboim) kann sich sehen lassen.

Lediglich der beigefarbene Teppichboden in den Foyers wird nun erneuert werden müssen, weil er doch arg fleckig worden ist. Dann aber ist das Schillertheater schon wieder bereit für die nächsten Künstler, die hier Asyl finden. Weil die Komödie und das Theater am Kurfürstendamm abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden, ziehen Martin Wölffer und sein Team ab Herbst 2018 in der Bismarckstraße ein. Genau ein Vierteljahrhundert nach der schmachvollen Schließung findet auf der Bühne dann wieder Schauspiel statt, jene Kunstform, für die das Haus einst erbaut wurde.

Ob 2022 die Komische Oper nachfolgen wird, darüber verhandeln die Betroffenen derzeit noch intensiv. Intendant Barrie Kosky wünscht sich, dass sein marodes Haus bei laufendem Betrieb saniert werden kann, in der Kulturverwaltung favorisiert man dagegen eine Exilvariante wie bei der Staatsoper.

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