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Ausverkauft: Die erste Auflage von "Today Is the Last Day of the Rest of Your Life".
© Fantagraphics

Ulli Lust und Reinhard Kleist: Berliner Exportschlager

Ulli Lust und Reinhard Kleist sind international die deutschsprachigen Comickünstler der Stunde – auch wenn sie bei den diesjährigen US-Comicpreisen leer ausgingen.

Am vergangenen Wochenende sind in den USA die Ignatz-Awards für die besten Independent-Comics vergeben worden. Nach der Vergabe der begehrten Eisner-Awards im Juli und der renommierten Harvey-Awards am ersten Septemberwochenende sind damit die letzten der drei traditionsreichsten und wichtigsten US-Comictrophäen verliehen worden.

Erstmals waren in einer Preissaison in allen drei Wettbewerben deutschsprachige Comiczeichner vertreten. Die österreichische Zeichnerin und Wahlberliner Ulli Lust war mit der englischsprachigen Ausgabe ihres avantgardistischen Comics „Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“ (avant-Verlag) gleich für zwei Eisner-Awards und einen Harvey-Award nominiert, der Berliner Zeichner Reinhard Kleist war mit der US-Ausgabe von „Der Boxer“ (Carlsen) bei den Ignatz-Awards im Rennen um eine der begehrten Trophäen.

"Today Is the Last Day of the Rest of Your Life" ist in den USA ausverkauft

Ulli Lusts „Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“ war einer der fünf nominierten Titel in der Kategorie Best U.S. Edition of International Material, konnte sich aber in der starken Konkurrenz nicht gegen die Gesamtausgabe von „Elender Krieg“ (Edition Moderne) von Jacques Tardi und Jean-Pierre Verney durchsetzen. In der Kategorie Best Reality-Based Work trug das Autorenkollektiv Vivek Tiwari, Andrew Robinson und Kyle Baker den Eisner-Award davon. Dessen prämierte Geschichte „Der fünfte Beatle: Die Brian Epstein Story“ (Panini) gewann in diesem Jahr auch noch zwei Harveys in den Kategorien Best Original Graphic Album und Best Biographical, Historical or Journalistic Presentation. Bei den Harvey-Awards war Lusts Album ebenfalls als Best American Edition of Foreign Material nominiert. Ausgezeichnet wurde aber der Japaner Hajime Isayama für den Auftakt seiner Manga-Serie „Attack on Titan“, die seit dem Frühjahr auch in deutscher Übersetzung vorliegt (Carlsen).

Comic-Botschafter: Die englischsprachigen Cover der beiden Erfolgstitel von Lust und Kleist.
Comic-Botschafter: Die englischsprachigen Cover der beiden Erfolgstitel von Lust und Kleist.
© Promo

Ulli Lust zeigte sich auf Nachfrage trotz dreier Nominierungen „ein bisschen“ enttäuscht. „Man kommt als österreichische Comiczeichnerin eher selten in die Nähe so einer Auszeichnung“, kommentierte sie die Nominierung für den Eisner-Award. Der Gewinn eines Eisner-Awards wäre aber nicht nur persönlich ein schöner Erfolg gewesen, sondern möglicherweise auch ein gewichtiges Argument für den Andruck einer zweiten Auflage. Zwar sei die erste US-amerikanische Auflage mit 2000 Exemplaren längst ausverkauft, ihr US-Verlag Fantagraphics Books aber unsicher, ob er nachdrucken soll. Da die erste Aufmerksamkeitswelle abgeebbt sei und die Verkäufe dann erfahrungsgemäß zurückgingen, fürchtet der Verlag die hohen Lagerkosten, sollte er auf der zweiten Auflage des mit 464 Seiten recht voluminösen Titels sitzenbleiben. „Mein amerikanisches Abenteuer könnte also sehr bald wieder zu Ende sein, und das tut mir leid, denn die englischsprachige Ausgabe bedient nicht nur den amerikanischen Markt, sondern theoretisch eine weltweite englischsprachige Leserschaft“, erklärt Ulli Lust.

„Outstanding Artist 2014“

Sie hat vor wenigen Tagen den mit 8000 Euro dotierten „Outstanding Artist Award 2014“ des österreichischen Bundeskanzleramts gewonnen, diesen allerdings nicht persönlich, sondern durch ihre Eltern entgegennehmen lassen. Wer ihren Comic „Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“ und die darin verankerte Auseinandersetzung der heranwachsenden Ulli Lust mit ihrem Elternhaus und ihrem Herkunftsland Österreich kennt, wird sich – ob zu Recht oder zu Unrecht sei dahingestellt – seinen eigenen Reim auf diese Geschichte machen.

Neben Ulli Lust war der Berliner Comickünstler Reinhard Kleist mit seinen gezeichneten Lebenserinnerungen des jüdischen KZ-Insassen Hertzko Haft Der Boxer“ (Carlsen) im diesjährigen Rennen um einen der begehrten US-Comicpreise. Die amerikanische Ausgabe seines Comics war in der Kategorie Outstanding Graphic Novel für einen Ignatz-Award nominiert. Dieser wird jedes Jahr in neun Kategorien an die besten Independent-Comics vergeben. Auch wenn sich Kleists Comic nicht gegen das Album „This One Summer“ des kanadischen Zeichnerduos Mariko und Jillian Tamaki durchsetzen konnte, äußerte sich der Berliner Zeichner recht zufrieden. Die Nominierung bedeute ihm eine Menge, schließlich sei es „natürlich etwas ganz besonderes“, in den USA erfolgreich zu sein. Kleist warnt allerdings auch davor, eine solche Nominierung zu überschätzen. Der Markt in den USA sei „nicht so groß, wie man erwarten könnte. Die Auflagen sind dort im Schnitt nicht viel höher als hier, zumindest was Graphic Novels angeht“, erklärt er im Gespräch. Nach seiner Comicbiografie „Cash – I see a darkness“ ist „The Boxer“ Kleists zweiter Comic auf dem amerikanischen Markt.

Ihre Bücher liest man in China, Korea, und Brasilien

Auch wenn Ulli Lust und Reinhard Kleist bei den diesjährigen Preisverleihungen leer ausgingen, sind sie die deutschsprachigen Comiczeichner der Stunde auf dem US-amerikanischen Comicmarkt. Die Nominierung ihrer Werke spricht nicht nur für die Anerkennung der hohen Qualität der sequentiellen Kunst aus Deutschland, sondern ist auch folgerichtig, betrachtet man ihr Wirken auf dem dortigen Markt. Zwar ist dieser deutlich größer als der hiesige, wird er jedoch weiterhin von den Action-Comics aus Traditionshäusern wie Marvel und DC dominiert.

Insofern war es schon ein großer Erfolg, als Reinhard Kleist mit seinem ersten, auf dem US-Markt platzierten Comic, der amerikanischen Ausgabe von „Cash – I see a darkness“ vor vier Jahren erst für einen Eisner-Award in der Kategorie Best Writer/Artist-Nonfiction und nur wenige Wochen darauf auch für einen Harvey-Award in der Kategorie Best New Talent nominiert wurde. Kleist war damals der erste deutsche Zeichner überhaupt, der sich Hoffnung machen durfte, einen der renommierten US-Comicpreise zu gewinnen. Ganz gereicht hatte es 2010 jedoch nicht. Bei den Eisners unterlag Kleist keinem geringerem als Joe Sacco und dessen „Gaza“-Band (Edition Moderne), bei den Harveys musste er sich Rob Guillorys Auftakt der auch hierzulande erfolgreichen Crime-Serie „Chew“ (Cross Cult) geschlagen geben.

Ulli Lust konnte dann im vergangenen Jahr schließlich als erste deutschsprachige Comiczeichnerin eine der drei begehrten US-Comictrophäen davontragen. Sie gewann mit der US-Ausgabe von „Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“ einen Ignatz-Award in der Kategorie Outstanding Graphic Novel. In der Rubrik Outstanding Artist war sie ebenfalls für einen Ignatz nominiert, hier gewann aber Michael DeForge mit dem vierten Band von „Lose“.

Glücklich eine Szene, die solche Künstler hat

Der Einfluss von Ulli Lust und Reinhard Kleist auf das wachsende Renommee von Comics aus dem deutschen Sprachraum ist aber nicht nur in den USA, sondern auch in Frankreich immens. Nirgendwo in Europa ist der Absatz von Comics so hoch wie in unserem westlichen Nachbarland. Beim dortigen Comicfestival in Angoulême, dem größten und einflussreichsten in Europa, gewann Ulli Lust 2011 mit der französischen Ausgabe von „Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“ einen der renommierten Comicpreise, den Prix révélation. Außerdem erhielt sie den feministischen Comicpreis Prix Artémisia. Ihr autobiografischer Comic liegt inzwischen in insgesamt neun Übersetzungen vor.

Neben Lust gelang es nur wenigen deutschsprachigen Comicautoren, sich auf dem französischen Markt zu behaupten. Einer dieser wenigen Autoren ist Reinhard Kleist, der als der erfolgreichste deutsche Zeichner in Frankreich gelten kann. Zwar konnte er noch keine der begehrten Fauve d’Angoulême gewinnen, aber mit Les pris des ados in Deauville und dem Grand Prix 2013 in Lyon zwei anderen französische Comicpreise. Seine Comics erscheinen bei Casterman, dem Comicverlag in Frankreich, was ihm hierzulande den Ruf des „Starautoren“ eingebracht hat. Diese Bezeichnung entspricht zwar nicht dem zurückhaltenden Gemüt des Berliner Zeichners, dass er aber eine Art internationales Aushängeschild des deutschen Comics ist, kann er nicht ganz von der Hand weisen. Seinen Comics begegnet man in Ländern wie China, Korea, Frankreich, Serbien, Mazedonien, Brasilien und den USA, ohne großartig danach suchen zu müssen. „Ich habe als Comiczeichner angefangen, als man als Künstler aus Deutschland international kaum Beachtung fand. Da hat sich in den letzten zehn Jahren viel verändert“, sagt Kleist in aller Bescheidenheit.

Dass diese Entwicklung vor allem auf Künstler wie ihn oder Ulli Lust zurückzuführen ist, anerkennt inzwischen auch die deutsche Comicszene selbst. Als Lust im Juni auf dem Comic-Salon Erlangen als beste deutschsprachige Comic-Künstlerin ausgezeichnet wurde, lobte sie Jurymitglied Lars von Törne als „erfolgreichste Vertreterin des deutschsprachigen Comics im Ausland“. Dass Reinhard Kleist eine ähnliche Auszeichnung gebührt, ist unstrittig. Fraglich ist nur noch der Zeitpunkt, wann er diese bekommt.

Glücklich eine Szene, die solche Künstler hat. Was fehlt, ist die Anerkennung über die Szene hinaus. Deren Ausbleiben hat aber eher etwas mit der allgemeinen Missbilligung des Mediums Comic als mit den kraftvollen Arbeiten von Reinhard Kleist oder Ulli Lust zu tun. Aber auch das ändert sich zunehmend. Dazu beigetragen haben nicht zuletzt… Aber gut, lassen wir das. Antwort ist bekannt.

Mehr von unserem Autor Thomas Hummitzsch finden Sie auch auf seiner Website www.intellectures.de.

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