„Grosz“ und „Der Flaneur“: Berliner Beobachter
Zwei neue Bücher laden zum historischen Flanieren durch die Hauptstadt ein - mit Lars Fiske, George Grosz, Tim Dinter und Kai Pfeiffer.
Wir sehen George Grosz, wie er durch das Berlin der 1910er und 1920er Jahre spaziert und sich amüsiert. Wir sehen mit seinen Augen aber auch das Elend der Nachkriegszeit, die Bettler und Kriegsbeschädigten, die Prostituierten und Gauner. Dann die Krisengewinnler, die Ausbeuter und schließlich die Nazis und Kommunisten im Wahl- und Straßenkampf.
Der Norweger Lars Fiske verschafft uns mit „Grosz“ fast ausschließlich zeichnerisch, nur mit vorangestellten kurzen Zitaten, einen intimen Einblick in das Leben und Werk des großen Karikaturisten und Malers Grosz, der unser Bild von der Weimarer Republik mit geprägt hat.
Die politisch-kulturelle Zeitdiagnostik und Gesellschaftskritik hat Fiskes Werk mit dem Buch „Der Flaneur“ gemeinsam, welches die 2002 auf den schnell eingestellten Berlin-Seiten der FAZ täglich erschienenen Vertikal-Strips von Tim Dinter und Kai Pfeiffer versammelt. Inzwischen ist auch der Blick in dieses Buch eine Zeitreise, nämlich in das Berlin der späteren Nachwendezeit.
Bekannt durch „Herr Lehmann“ und „Lästermaul und Wohlstandskind“
Hier sind die Texte poetischer und gelehrter, die Zeichnungen weicher, die beschriebenen Situationen weniger dramatisch und tragisch als bei Fiske. Den flanierenden Protagonisten zeichnet Dinter ohne Mund – er spricht nicht, genauso wie Grosz in Fiskes Band. Es geht also zuallererst um das Beobachten. Genauer, um ein entschleunigtes Beobachten der den Flaneur umgebenden Wirklichkeit.
Dinter, bekannt für seine Adaption von Sven Regeners „Herr Lehmann“ und für die Reihe „Lästermaul und Wohlstandskind“ in dieser Zeitung, findet dafür eine präzise zeichnerische Form, meist auf der Basis von Fotos, die entweder er selbst oder Kai Pfeiffer vor Ort machen.
Pfeiffer, dessen gemeinsam mit Dominique Goblet veröffentlichtes jüngstes Buch „Bei Gefallen auch mehr“ einen neuen Blick auf Online-Dating eröffnet, schließt an seine Reportage-Arbeiten an und erweitert seinen Stil um eine lyrische und philosophische Note. Auch ein gehöriges Maß an Melancholie ist im Spiel, wenn er den Beginn der Berliner Gentrifizierung betrachtet, sich sprachkritisch mit aufgeschnappten Dialogen aus verschiedenen Kontexten befasst und die aufkommende Prenzlauer-Berg-Holzspielzeug-Kultur aufs Korn nimmt.
Der Verfolgung durch die Nazis entgeht er nur knapp
„Der Flaneur“ ist vor allem ein Tag-Buch, Fiskes „Grosz“ entführt uns dagegen auch in das Berliner Nachtleben. Er orientiert sich stilistisch an Grosz’s Karikaturen und es gibt Ähnlichkeiten zu seiner Künstlerbiografie von Kurt Schwitters.
Dialoge fehlen völlig, aber die Panoramen und Wimmelbilder enthalten immer ein klares narratives Element, das uns erlaubt, Grosz’s politischen Aktivismus und seine berühmten Prozesse, zum Beispiel wegen Gotteslästerung (Freispruch!) mitzuerleben.
Der Verfolgung durch die Nazis entgeht er nur knapp; sein Atelier wird gestürmt und zerstört. Dennoch kehrt Grosz einige Zeit nach Kriegsende wieder aus New York in sein Berlin zurück. Von Depressionen und Alkoholismus gezeichnet, stirbt er kurze Zeit später durch einen Trunkenheitssturz.
Lars Fiske: Grosz, avant, 80 S., 25 €. Tim Dinter und Kai Pfeiffer: Der Flaneur, Breitkopf Editionen, 96 S., 22 €
Thomas Greven
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