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Die Revolution kann nochmals beginnen. Möbelwagen als Barrikaden der Streikenden in der Prenzlauer Straße, nun schon am 7. März 1919.
© SMB/Photothek Willy Römer/ Paul Telemann

Fotografien der Revolution 1918/19: Berlin, halt ein, besinne dich

Während die Revolution im vollen Gange ist, geht das Berliner Alltagsleben weiter: Das Museum für Fotografie zeigt Bilder aus der Hauptstadt von 1918/19.

Kein politisches Ereignis zuvor ist derart oft in Fotografien festgehalten worden wie die Deutsche Revolution von 1918/19. Und die spielte sich, glaubt man den Aufnahmen, überwiegend, ja eigentlich überhaupt in Berlin ab. Darin spiegelt sich auch die Konzentration der Presse in der Reichshauptstadt. Vom 9. November 1918 an, dem Tag der Abdankung des Kaisers, waren Fotografen (und auch Kamerateams des noch jüngeren Mediums Film) auf den Beinen, um die Ereignisse festzuhalten.

Im Grunde ist es erstaunlich, dass so viele und präzise Aufnahmen gelangen. Immerhin standen sich zunehmend gewalttätige Gruppierungen gegenüber. Es wurde scharf geschossen, zumal bei den Kämpfen an Weihnachten 1918 und dann beim sogenannten Spartakusaufstand kurz nach Beginn des neuen Jahres. Doch die meisten sichtbaren Ereignisse, insbesondere also die Demonstrationen, Aufzüge und Massenversammlungen waren friedlicher Natur.

Brave Bürger mit Gewehr über der Schulter

Was die Bilder der Ausstellung „Berlin in der Revolution 1918/1919“ im Museum für Fotografie zeigen, sind brave Bürger in Hut und Mantel, auch wenn sie, wie die „Einwohnerwehr in Berlin-Friedenau“ am 6. Mai 1919, ein Gewehr über der Schulter tragen. Wie viele von ihnen mögen im Krieg gewesen sein und von der Waffe Gebrauch gemacht haben? Doch das demobilisierte Millionenheer war in seiner übergroßen Mehrheit eben nicht gewalttätig geworden oder zog marodierend durch die Straßen. Die übergroße Friedenssehnsucht, die das Ende des Krieges beschleunigt hatte, war tatsächlich die Sehnsucht nach allumfassender Friedfertigkeit. Die Kämpfe, die bezeichnenderweise im Berliner Zeitungsviertel kulminierten sowie im und am Schloss, in dem sich eine gewaltbereite „Volksmarinedivision“ verschanzt hatte, blieben auf wenige Straßen beschränkt. Beobachter wie Harry Graf Kessler wunderten sich denn auch, dass parallel zum Geschehen an Weihnachten 1918 flaniert und eingekauft wurde, als ob nichts sei.

Tatsächlich gehört es zu den Merkwürdigkeiten dieser Revolution, dass parallel das Alltagsleben nicht nur weiterging, sondern dies sogar mit nie gekannter Intensität. Nach dem Kriegsende stand der Sinn der bürgerlichen Schichten nach Unterhaltung, nach „Amüsemang“. Es war daher eine brillante Idee des Kuratorenteams um Museumsdirektor Ludger Derenthal, die Ausstellung anzureichern um Plakate aus dem Bestand der Kunstbibliothek, der das Fotografiemuseum offiziell hinzugehört. Mit den Plakaten kommt nicht nur Farbe ins Haus, die die Reportagefotografie des frühen 20. Jahrhunderts noch nicht bieten konnte, sondern eben auch die andere Seite der damaligen Wirklichkeit. Die zusätzlich in Vitrinen ausgelegte Tagespresse quillt geradezu über von Kleinanzeigen, die für „die größte Sensation des Jahres – Pola Negri“ werben, einen „Lustigen Abend“ im Beethovensaal oder „Neue Tänze“ von Anita Berber, einer der Skandalnudeln ihrer Zeit, malerisch verewigt von Otto Dix.

Wie die Welten aufeinanderprallten, verdeutlicht eine Notiz aus der „Berliner Mittagszeitung“ vom 12. Januar 1919. Da gab es am Vorabend rund um den Gendarmenmarkt eine „heftige Schießerei“: „Eine eigenartige Note bekam das Straßenbild dadurch, dass zur Zeit des heftigsten Feuers gerade die Vorstellung im Schauspielhause beendet war“, heißt es da: „Es begann eine wilde Flucht der Theaterbesucher. In wertvolle Kleidung gehüllt, quetschten sich die Damen und Herren hart an den Häuserwänden entlang...“

Darf ich bitten? Notentitelblatt zu Ernest Tompas Foxtrot „Mariposa“, Berlin 1919.
Darf ich bitten? Notentitelblatt zu Ernest Tompas Foxtrot „Mariposa“, Berlin 1919.
© Drei Masken-Verlag / Privatsammlung

An just diesem 12. Januar nahm der Pressefotograf Willy Römer eine beschauliche Szene auf, betitelt: „Die Soldaten der Regierungstruppen werden von der Bevölkerung mit heißen Getränken bewirtet.“ Was am 12. Januar sonst noch geschah, ist in der Ausstellung in einer Chronologie abzulesen; leider nicht im ansonsten vorzüglich ausgestatteten Katalog, der insoweit hinter seinen Vorgänger zurückfällt. Dieser Vorgänger-Katalog begleitete die Ausstellung der Neuen Gesellschaft der bildenden Kunst, die im Winter 1989 dasselbe Thema der Fotografie und der Revolution bearbeitet hatte. Zumindest Willy Römer, der offenbar ununterbrochen tätige Fotograf, dieser wahre Chronist der Berliner Ereignisse, 1989 noch eine Entdeckung, ist heute ganz selbstverständlich in den Olymp der deutschen Reportagefotografie aufgenommen. Einzig die „Erste Verkündigung der neuen Regierung durch Philipp Scheidemann vom Balkon des Reichstagsgebäudes aus“ am 9. November 1918 hielt allein ein Amateur fest.

Die Republik ergab sich von allein

Die Ereignisse überschlugen sich, die Zeitung „B.Z. am Mittag“ verbreitete die Nachricht von der Abdankung des Kaisers. Daraufhin trat Scheidemann ans Fenster „und verkündete den Sturz der Dynastie“, wie ein Zeitungsbericht einige Tage später erläuterte. Freilich, von der „Ausrufung der Republik“, die heute mit dem besagten Foto illustriert wird, war nirgends die Rede. Die Republik ergab sich gewissermaßen von alleine; was zählte, war die endlich verkündete Abdankung Wilhelms. Nun begannen die großen Tage der Fotografie, von denen die jetzige Ausstellung kündet. Willy Römer sticht mit der brillanten Schärfe seiner Glasplattenaufnahmen hervor; auch anderes, wie die Aufnahme „Regierungstruppen auf dem Brandenburger Tor“ von Paul Wagner, wurde legendär.

„Berlin, halt ein! Besinne Dich. Dein Tänzer ist der Tod“, stand auf einem Plakat, das sich an den Litfaßsäulen merkwürdig zwischen politische Aufrufe und Werbung für den täglichen Ball in den Amor-Sälen drängte. Festgehalten hat es ein unbekannter Fotograf im Januar 1919. In dieser Aufnahme fließt das Paradox der damaligen Wochen zusammen. Die Ausstellung im Museum für Fotografie leistet, wozu sich berufenere Institutionen wie das Deutsche Historische Museum nicht imstande sahen: an die Deutsche Revolution zu erinnern, die in Berlin ihr Zentrum hatte.

Museum für Fotografie, Jebensstraße 2-3, bis 3. März. Katalog (Vlg. Kettler) 38 €.

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