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Vom Krieg geprägt. Der Maler und Bildhauer Said Baalbaki wurde 1974 in Beirut geboren, später studierte er unter anderem an der UdK in Berlin.
© Doris Spiekermann-Klaas

Said Baalbaki im Auswärtigen Amt: Beim Pferd des Propheten

Zwischen Berlin und Beirut: Der Maler und Bildhauer Said Baalbaki arbeitet als Artist in Residence auf dem Dach des Auswärtigen Amtes.

„Mit einem Arm kann man nicht klatschen“, sagt ein libanesisches Sprichwort. Das berühmte Märtyrerdenkmal von Marino Mazzacurati auf dem gleichnamigen Platz in Beirut hat im Bürgerkrieg gelitten, es ist von Kugeln durchsiebt, eine Figur hat einen Arm verloren. „Ich habe diesen Arm mit der fehlenden Hand als historisches Objekt modelliert und in Bronze gegossen, es ist vielleicht mein reifstes Werk“, erzählt der Maler und Bildhauer Said Baalbaki im Atelier auf dem Dach des Auswärtigen Amtes, wo er drei Monate lang bis Ende Juli als Artist in Residence arbeiten darf.

Die fehlende Hand des Märtyrerdenkmals von Beirut.
Die fehlende Hand des Märtyrerdenkmals von Beirut.
© Doris Spiekermann-Klaas

„Für mich ist diese Plastik von Bedeutung, auch durch den Schaden, den sie genommen hat“, sagt Baalbaki. Errichtet wurde das Denkmal in Erinnerung an die arabischen Nationalisten, die 1916 als Aufständische gegen das Osmanische Reich auf dem zentralen Platz in Beirut gehenkt wurden. Nun ruht der fehlende Arm auf einem Gestell im Atelier im Auswärtigen Amt. Vielleicht könnte die Figur jetzt wieder klatschen, vielleicht könnten Wunden allmählich heilen.

Baalbakis Leben ist vom Krieg gezeichnet. Geboren wurde er 1974 in Beirut in einer Künstlerfamilie zu einer Zeit, als die libanesische Hauptstadt als das Paris des Nahen Ostens galt. Doch der im April 1975 ausbrechende Bürgerkrieg hat das alles zunichtegemacht. „Ich bin mit dem Krieg groß geworden“, erzählt Baalbaki, „ich habe Libanon nie als blühendes Land erlebt wie meine Eltern. Ich weiß erst im Nachhinein, was sie mit vier Kindern damals durchgemacht haben.“ Seine frühesten Erinnerungen reichen zurück bis 1978, als die Syrer Ost-Beirut bombardierten: „Ich wollte am Fenster unbedingt die Raketenwerfer sehen, sie waren für mich wie Feuerwerk.“

2002 zog Baalbaki nach Berlin, um an der UdK zu studieren

Baalbaki schüttelt den Kopf. Als Kind kannte er nichts anderes als Krieg und Gewalt. Als 1976 die ethnischen Säuberungen begannen, zog die Familie in das einstige jüdische Viertel Wadi Abou Jmil, wo sie Ruhe fand. Baalbaki erinnert sich an das offene Haus seiner Eltern, in dem Künstler ein und aus gingen, alleine acht Künstler zählt er in seiner Verwandtschaft, dazu Architekten und Schauspieler. In dieser Welt ist er aufgewachsen. „Ich stamme aus einer muslimischen Familie, meine Schwester ist strengreligiös, wir schätzen die Kultur des Islam und respektieren einander“, sagt er.

Es ist kein Wunder, dass er von 1994 bis 1998 an der Kunstakademie Beirut Malerei studierte. Das ursprüngliche Gebäude stand auf der Frontlinie, die Universität hatte leer stehende Häuser gemietet – und so studierte er nun im 9. und 10. Stock eines elfstöckigen Hochhauses im Nobelstadtteil Raouché. Im Keller war die Tonwerkstatt, im elften Stock die Bibliothek. „Wir saßen mit 20 Studenten eng gepresst in einem Raum, die Toiletten der Akademie in Berlin sind größer als damals unser Atelier.“

Von Bedeutung war für ihn 2000 die Teilnahme an der Sommerakademie im Darat al Funun, dem Haus der Kunst, in Amman, wo er auf Marwan Kassab-Bachi traf, der dort Malerei unterrichtete. Marwan brachte dort zehn junge Künstler aus Gaza zusammen mit zehn jungen arabischen Künstlern, um voneinander zu lernen. Er gab Baalbaki auch den Tipp, an der UdK Malerei zu studieren. Das tat er dann auch bei Burkhard Held von 2002 bis 2005 und absolvierte anschließend das Aufbaustudium „Kunst im Kontext“ an der UdK. „In der Zeit habe ich angefangen, mich mit der Wahrnehmung im musealen Raum zu beschäftigen, mich für Glaubwürdigkeit und Geschichte zu interessieren. Ich habe zehn Jahre damit verbracht, eine Fiktion glaubwürdig zu machen“, erzählt er mit einem Lächeln.

„Religion ist eine von vielen Ideen.“

Gemeint ist sein Al-Burak-Projekt, in dem er eine Ausstellung über eine fiktive Ausgrabungsstätte des geflügelten Pferdes von Prophet Mohammed realisierte. Aber wie kommt der Maler zur Konzeptkunst? „Malerei geht über die Emotion. Wenn es mir nicht gut geht, kann ich nicht malen. Nach dem Libanonkrieg von 2006 konnte ich nicht mehr malen, ich musste etwas anderes machen.“ Konzeptkunst geht über den Kopf, auch nachts. Also fing Baalbaki an, über die Frühgeschichte des Islam, den Propheten und sein Pferd Al-Burak, mit dem er nach der Legende in den Himmel aufgestiegen ist, zu forschen.

Das "Al-Burak"-Projekt: Baalbaki erfindet eine wissenschaftliche Dokumentation zu dem Pferd des Propheten Mohammed.
Das "Al-Burak"-Projekt: Baalbaki erfindet eine wissenschaftliche Dokumentation zu dem Pferd des Propheten Mohammed.
© Dors Spiekermann-Klaas

Ein geflügeltes Skelett steht in einer scheinbar aus dem 19. Jahrhundert stammenden Glasvitrine, daneben Stiche des Skelettes wie aus alten naturkundlichen Büchern. Das habe sogar zu einem Streit unter Wissenschaftlern geführt, der eine ging auf die Missbildung ein, der andere auf die Mythenbildung. „Mir hat das Projekt gezeigt, dass Religion eine von vielen Ideen ist.“

Seit drei Jahren arbeitet Baalbaki nun an einem neuen Projekt, „einer realen Geschichte, die aber wie Fiktion wirkt“. Durch Marwan wurde er auf einen syrischen Künstler aufmerksam, der Anfang des 20. Jahrhunderts in Berlin lebte. „Marwan wusste den Namen nicht, aber ich habe ihn herausgefunden: Es war Jussuf Abbo, der 1911 nach Berlin kam und hier Bildhauerei und Malerei studierte.“ Doch welche Identität hatte Abbo? Er kam nach Berlin mit einem osmanischen Pass, sein Dorf gehörte zum Wilaya Beirut und Beirut zu Syrien. Dann hatte er seinen Pass verloren.

Eine Skulptur von Jussuf Abbo im Atelier des Künstlers Said Baalbaki im Dachatelier des Auswärtigen Amtes.
Eine Skulptur von Jussuf Abbo im Atelier des Künstlers Said Baalbaki im Dachatelier des Auswärtigen Amtes.
© Doris Spiekermann-Klaas

Balbaaki ist ein Geschichtensammler, ein Universalgelehrter

Es sind diese Fragen von Heimat und Identität, die den zwischen Berlin und Beirut pendelnden Künstler interessieren. Auch er hat inzwischen einen deutschen Pass, aber er lebt ständig in zwei Welten. „Für Abbo war die Kunst seine Heimat“, berichtet Baalbaki. Er hat mittlerweile 60 Arbeiten von Abbo zusammengetragen, Zeichnungen und Radierungen. Der Künstler hatte im Berlin der 20er Jahre Karriere gemacht, er war befreundet mit Else Lasker-Schüler und Jan Bontjes van Beek. Paul Cassirer und Alfred Flechtheim förderten ihn. Als das Osmanische Reich zerbrach, war Abbo staatenlos, und als die Nazis begannen, die Juden zu verfolgen, musste Abbo über Worpswede nach London fliehen, wo er verarmt starb – eine tragische Figur, die keine Gelegenheit hatte, ihr künstlerisches Talent voll zu entfalten.

Ein Aquarell von Jussuf Abbo im Atelier des Künstlers Said Baalbaki im Dachatelier des Auswärtigen Amtes.
Ein Aquarell von Jussuf Abbo im Atelier des Künstlers Said Baalbaki im Dachatelier des Auswärtigen Amtes.
© Doris Spiekermann-Klaas

Baalbaki ist ein Geschichtensammler, ein Universalgelehrter, der wie ein Schwamm alles aufsaugt, was mit Europa und dem Nahen Osten, seiner komplizierten Geschichte, seiner Kultur und seinen Schätzen zusammenhängt. Seine Malerei der letzten Jahre spielt auch wieder mit Identität und Heimat, „Mon(t) Liban“ ist ein Wortspiel und kann „mein Libanon“ heißen, aber auch das Libanon-Gebirge meinen. Das Bild zeigt Haufen von zurückgelassenen Koffern, die sich zum Berg auftürmen, Zeichen von Flucht, Vertreibung, Heimatlosigkeit und Sehnsucht nach der alten Heimat. „Ich beschäftige mich schon länger mit dem Begriff der ,Libanisierung‘, das meint im französischen Sprachraum den Einfluss eines Bürgerkriegs auf ein Land.“

Aber Baalbaki hat auch Sinn für Humor. Bei einer Ausstellung im „Museum der Dinge“ hat ihn Kriegsschrott aus dem Zweiten Weltkrieg fasziniert, etwa der durchlöcherte Stahlhelm, der später als Küchensieb genutzt wurde. Das und eine gewisse Liebe zum Maler Arcimboldo, der Gesichter aus Obst und Gemüse malte, ließ das Projekt „Cookwar(e) 101“ entstehen, wieder ein Wortspiel aus Küchengerät und Krieg. „Das hat mich an meine Kindheit erinnert, als wir Patronenhülsen gesammelt und verkauft haben. Ich komme aus einer Gegend ständiger Gewalt, und ich suche die Lücke zwischen den Dingen. Also verwandle ich meine Küchenutensilien in Rüstungen und Panzer gegen Gewalt.“

Wanderer zwischen Malerei und Konzept

Und so schleppte er Tüten von Stahlschüsseln und Löffeln ins Auswärtige Amt, um sie zu archaisch anmutenden Rüstungen, Brustpanzern und Helmen zusammenzubauen. Dass das so einfach ging mit seinem Hausausweis, wundert ihn immer noch. „In einem arabischen Ministerium würde ich garantiert schon im Säurebad im Keller schmoren – und hier arbeite ich im Dachatelier des Auswärtigen Amtes, das ist schon manchmal schwer, sich das vorzustellen.“

Ein Element aus Baalbakis neuem Projekt „Cookwar(e) 101“, das Rüstungen aus Küchenutensilien zum Schutz vor Gewalt enthält.
Ein Element aus Baalbakis neuem Projekt „Cookwar(e) 101“, das Rüstungen aus Küchenutensilien zum Schutz vor Gewalt enthält.
© Doris Spiekermann-Klaas

Said Baalbaki ist ein Wanderer zwischen den Welten, zwischen Berlin und Beirut, zwischen der Geschichte und heute, zwischen Malerei und Konzept. „Das ist nicht immer einfach, durch die tägliche Arbeit hier baue ich etwas auf, lebe aber von der Malerei, die mir noch immer viel zu sagen hat. Sie ist eine Tagesaufgabe, die nur bei Tageslicht funktioniert“, sagt er. Und er malt grundsätzlich nur mit Öl wegen der langsamen Trocknung und des Geruchs. „Ölfarbe hat etwas Emotionales“, sagt er.

Die Konzeptarbeit sei etwas für die Nacht, dann habe er Zeit, in seine Ideen einzutauchen, und sie erfordere handwerkliches Geschick. Das hat er auch bei der Skulptur, als er den Kopf seines Vaters modelliert und in Bronze gießt. Gelernt hat er das nicht, es kommt aus seinen Händen. Baalbaki, der in der Skulptur die dritte Dimension der Zeichnung sucht, resümiert: „Zwischen dem Kopf, der Idee und der Hand muss es stimmen, dann kann es gelingen.“

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