Ausstellung im Hamburger Bahnhof: Else Lasker-Schüler und das süße Theben
Die expressionistische Dichterin, Prosaautorin und Stückeschreiberin Else Lasker-Schüler, einst das Zentralgestirn der Berliner Avantgarde, wird im Hamburger Bahnhof als große Zeichnerin gezeigt.
Das Haupt hielt Prinz Yussuf von Theben schon immer leicht gesenkt, das verlieh seinem Profil eine edlere Linie. Doch in dem Blatt, das Else Lasker-Schüler um 1935 zeichnet, sinkt der Kopf ihres Alter ego fast auf die Brust. „Die verscheuchte Dichterin“ hat die Künstlerin später, in ihrem Jerusalemer Exil, darunter geschrieben. „Wüßt ich einen Strom wie mein Leben – / flösse mit seinen Wassern“, zitiert sie dazu aus ihrem ersten, 1902 veröffentlichten Lyrikband „Styx“.
Damals war sie die junge, aufstrebende Dichtern, die kurz zuvor mit ihrem Mann aus Elberfeld nach Berlin gezogen war und sich ins Bohemeleben stürzte: Scheidung, Heirat mit dem Galeristen und „Sturm“-Gründer Herwarth Walden, Zentralgestirn der Berliner Avantgarde, ungekrönte Königin im Café des Westens. Die Zeilen standen für Aufbruch, Lebenslust.
Vierzig Jahre später ist Else Lasker-Schülers Lebensstrom fast versiegt. Ihr Prinz Yussuf, der immer stolz auf Kamelen, Elefanten, Bisons geritten war, Paschas und Kalifen um sich geschart hatte, sitzt resigniert vor einem Zelt und muss sich trösten lassen. 1945 stirbt die Künstlerin vereinsamt mit 76 Jahren im Jerusalemer Exil. Die expressionistische Dichterin, Prosaautorin und Stückeschreiberin wurde zwar nicht vergessen und im Nachkriegsdeutschland wieder hoch geehrt, doch die Malerin, als die sich Else Lasker-Schüler gleichberechtigt sah, geriet in den Hintergrund. Ihre zauberischen Zeichnungen, die eine fantastische Welt des Orients zum Leben erwecken, wurden nur noch als Illustrationen wahrgenommen. Ihre Bedeutung als autonomes Werk ging verloren, bis die Literaturwissenschaftlerin Riccarda Dick die in alle Welt verstreuten Blätter katalogisierte und zu einer Ausstellung zusammenstellte.
In Berlin sei sie „am intensivsten“ Yussuf gewesen, hat Else Lasker-Schüler später über ihr Alter ego gesagt. Ihr Prinz von Theben war alles zugleich: Mann und Frau, biblischer Josef und der Yussuf des Korans, zwischen Zeiten und Kontinenten stehend. Ein halbes Jahrhundert später ist er nun an den Ort seiner Entstehung wieder zurückgekehrt. Nach der ersten Station im Frankfurter Jüdischen Museum zeigt der Hamburger Bahnhof nun die 150 Zeichnungen, Collagen, Briefzeichnungen, bemalte Postkarten umfassende Schau.
Die Nationalgalerie besaß immer schon eine Beziehung zu Else Lasker-Schüler: 1920 werden dem Museum von Freunden der Künstlerin, darunter ihr Verleger Paul Cassirer, 104 Zeichnungen geschenkt. Ganze drei haben die Aktion „Entartete Kunst“ der Nationalsozialisten überstanden und werden heute als Schatz im Kupferstichkabinett gehütet. Jetzt hängen sie an der tiefschwarz gefärbten Wand im Ausstellungssaal des Hamburger Bahnhofs und funkeln mit ihren Applikationen aus Stanniolpapier wie Sterne aus einer anderen Zeit. Nicht im Mies-van-der-Rohe-Bau, wo die Kunst bis zur Jahrhundertwende eigentlich zu sehen ist, sondern im Museum der Gegenwart werden die Blätter gezeigt, um ihnen eine stärkere Präsenz zu verleihen, die Lichtjahre zu verkürzen.
Die intensiven Farben, der schnelle Strich, die Porträtkarikaturen zeigen Lasker-Schülers Nähe zu den expressionistischen Malern, insbesondere zu Franz Marc, mit dem die Dichterin von 1912 bis zu seinem Tod im Ersten Weltkrieg eng befreundet war. Durch ihren künstlerischen Austausch gelangt das Signet des Sterns in beider Bilder; bei Lasker-Schüler markierte er fortan Yussufs Wange. Und doch lässt sich die Zeichnerin zeitlich nicht festlegen, das führt die Ausstellung selbst auf schönste Weise vor. Für die Figur des Prinzen Yussuf, seine charakteristische Darstellung im Profil, die wiederkehrende Staffelung des Bildpersonals ließ sie sich von den damals aufsehenerregenden Amarna-Funden inspirieren, die Ende 1913 für kurze Zeit im Ägyptischen Museum Berlin ausgestellt waren. Ein Echnaton-Kopf und die Reliefdarstellung eines Leichenzuges des Gottes Ptah, den das Neue Museum als Leihgabe für die jetzige Ausstellung überließ, demonstrieren die künstlerische Verwandtschaft über 3000 Jahre hinweg. Das flache Profil Yussufs könnte von der abgebrochenen Nase des Pharaonenkopfes stammen.
Als Lasker-Schüler nach 1939 dauerhaft im Land ihrer Träume bleiben musste, verzehrte sie sich nach Berlin, nach den Anregungen der Großstadt. Ihre Zeichnungen zeigen weiterhin das bunte Leben des Orients als ein fantastisches Treiben exotischer Figuren. Nur Prinz Yussuf stahl sich zunehmend daraus fort. Seine Schöpferin kannte keine Abenteuer mehr für ihn.
Hamburger Bahnhof, Invalidenstraße 50–51, bis 1. Mai; Di–Fr 10–18, Sa 11–20, So 11–18 Uhr. Katalog (Suhrkamp Verlag) 29 €
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